POLITIK
Behandlung von Vergewaltigungsopfern: Moral gegen Patientenwohl?
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Zwei katholische Kölner Krankenhäuser haben eine vergewaltigte Frau abgewiesen. Ein Missverständnis, sagt der Träger. Die Diskussion um den Vorfall geht trotzdem weiter.
Die Kritik an katholischen Krankenhäusern und an ihrem Umgang mit Vergewaltigungsopfern reißt nicht ab. Auch innerhalb der katholischen Kirche gibt es Diskussionen über Themen wie die „Pille danach“. Ausgangspunkt der Debatten ist ein Vorfall an zwei Kliniken der Cellitinnen-Stiftung in Köln. Dort hatten Ärzte unter Hinweis auf die Ethikrichtlinien ihrer Häuser die Behandlung einer vergewaltigten Frau abgelehnt, weil sie möglicherweise die „Pille danach“ hätten verschreiben müssen.
Was war geschehen? Eine 25-jährige Frau war offenbar mit K.-o.-Tropfen betäubt worden und auf einer Parkbank zu sich gekommen. Sie ging in die kassenärztliche Notdienstpraxis Köln-Nord in Nippes. Die dortige Allgemeinärztin konnte eine Vergewaltigung nicht ausschließen und wollte eine gynäkologische Untersuchung zur Beweissicherung veranlassen. Doch auf telefonische Anfrage der Ärztin verweigerte man diese im benachbarten St.-Vinzenz-Hospital und in einem weiteren katholischen Haus. Die „Pille danach“ hatte die Allgemeinärztin bereits verordnet.
Am 16. Januar berichtete der „Kölner Stadt-Anzeiger“ über den Vorgang und löste eine Welle der Empörung aus. Kritik an der Abweisung des mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers übte auch Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein und Vorsitzender des Marburger Bundes. So etwas habe er „noch nicht gehört“, sagte er. Zwischen dem Klinikträger und den Ärzten müsse ein „schweres Missverständnis“ vorliegen, „und das ist ein schweres Kommunikationsproblem“. „Mindestens die Beratung, und zwar komplett und richtig, hätte man dieser jungen Frau geschuldet“, betonte Henke.
Die katholischen Krankenhäuser im Verbund der Hospitalvereinigung St. Marien GmbH kündigten eine interne Prüfung an. Sie betonen, dass im Rahmen der Erstversorgung alle medizinischen Maßnahmen geleistet werden, allerdings keine Abgabe der Notfallkontrazeption. Auch der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner entschuldigte sich. Es müsse jetzt erforscht werden, was dazu führte, dass die Frau nicht aufgenommen worden sei. „So etwas darf sich auf keinen Fall wiederholen.“
Staatsanwaltschaft nimmt keine Ermittlungen auf
Der Vorfall rief auch die Politik auf den Plan: Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium teilte mit, dass aus den Stellungnahmen des Krankenhausträgers nicht erkennbar sei, dass er sich nach Rechtsprinzipien der Krankenhausaufsicht pflichtwidrig verhalten habe. Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Bündnis 90/Die Grünen) sagte allerdings, sie sehe grundsätzlichen Klärungsbedarf: „Eine Frau, die nach einer Vergewaltigung in einem Krankenhaus zur stationären Behandlung aufgenommen wird, muss dort die Möglichkeit erhalten, selbstbestimmt über die Einnahme einer ,Pille danach‘ zu entscheiden.“
Mit juristischen Konsequenzen haben die beiden Kölner Kliniken und die Ärzte unterdessen nicht zu rechnen. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wird es in dem Fall nicht geben. Der Kölner Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer teilte auf Anfrage mit, es gebe keinen Anfangsverdacht auf eine Straftat. Weder liege ein Fall von unterlassener Hilfeleistung vor noch von Strafvereitelung durch Unterlassen. Eine unterlassene Hilfeleistung setzt nach Angaben Bremers einen akuten Unglücksfall voraus. Der Patientin sei aber nicht die Behandlung, zum Beispiel einer Verletzung, verwehrt worden, sondern die Spurensicherung. Und sie war schon in ärztlicher Behandlung. Eine Strafvereitelung würde eine Garantenstellung des Krankenhauses voraussetzen. Das sei aber nicht der Fall. Die Spuren hätten auch an anderer Stelle gesichert werden können.
Fragwürdige oder missverständliche Vorgaben des Trägers sind die eine Sache. Doch was ist mit der persönlichen Verantwortung des einzelnen Arztes? Dazu Henke: Selbstverständlich sei es jetzt auch Aufgabe der Ärztekammer Nordrhein nachzuprüfen, ob und inwieweit im konkreten Fall gegen Berufsrecht verstoßen worden sei. „Dazu führen wir Gespräche, um uns über den Ablauf so genau wie möglich klar zu werden“, sagte er. Ein Treffen mit den verantwortlichen Chefärzten habe schon stattgefunden. Gespräche mit den beteiligten Ärztinnen in der KV-Notdienstpraxis und im Krankenhaus seien vereinbart.
Last darf nicht auf die Ärzte abgeschoben werden
„Wir sehen es aber auch als unsere Aufgabe als Kammer an, Ärzten zu helfen, wenn sie in Gewissenskonflikte kommen“, stellte Henke klar. Die Last könne nicht allein auf die behandelnden Ärzte abgeschoben werden, die am Ende der Kette stünden. Man müsse es den Ärzten ermöglichen, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben – ohne Angst vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen. „Wir akzeptieren keine Weisungen, die mit der Berufsordnung nicht vereinbar sind“, sagte Henke. Das wäre für ihn zum Beispiel der Fall, wenn ein Träger eine umfassende Aufklärung über die „Pille danach“ untersagt.
Für den Kammerpräsidenten steht außerdem fest, dass katholische Krankenhäuser nach dem Vorfall in Köln nun in der Pflicht sind, ihre Abläufe verlässlich zu organisieren. „Das Vorgehen in katholischen Häusern muss klar und transparent sein“, sagte Henke. Wenn sich die Patientin nach einer korrekten Beratung für die „Pille danach“ entscheide, müsse gewährleistet werden, dass diese auch verordnet werde. „Das muss so organisiert werden, dass die Patientin nicht zusätzlich belastet wird“, erklärte Henke.
Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft haben eine Sonderrolle. Grundlage dafür ist Artikel 137 Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung. Dieser wurde gemäß Artikel 140 des Grundgesetzes Bestandteil der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Der Kölner Kirchenrechtler, Prof. Dr. Stefan Muckel, betont, dass aufgrund dieser grundgesetzlichen Regelung die Kirchen „ihre eigenen Angelegenheiten ordnen und verwalten dürfen“. Die katholische Kirche beruft sich moraltheologisch unter anderem auf die Enzyklika Humanae vitae. Danach ist nicht nur eine Abtreibung, sondern auch die „Pille“ als Verhütungsmittel verboten. Allerdings zeigt sich in der Praxis: Die Vorgaben werden unterschiedlich umgesetzt.
Katholische Kliniken wollen mit den Bischöfen sprechen
Der Geschäftsführer des Katholischen Krankenhausverbandes Deutschland, Thomas Vortkamp, kündigte im WDR-Fernsehen an, sein Verband werde neu über die „Pille danach“ nachdenken. Es gehe um die Frage, ob man das Opfer alleinlasse und einer vergewaltigten Frau sage, sie müsse das Kind austragen, oder ob man auch die Rechte der Frau ernst nehme. „Und das sind Punkte, die wir mit den Bischöfen jetzt auch besprechen müssen“, erklärte Vortkamp.
Unterdessen hat sich der Kölner Kardinal Meisner erneut in die Debatte eingeschaltet. Er hält nun die Abgabe zeugungshemmender „Pillen danach“ an Missbrauchsopfer für akzeptabel. Der Einsatz von Präparaten, die eine Einnistung bereits befruchteter Eizellen verhindern sollen, sei hingegen nicht hinnehmbar. Henke begrüßt die jüngste Kurskorrektur des Kölner Kardinals, wonach die Verordnung von Levonorgestrel und Ulipristal zur Empfängnisverhütung nach einer Vergewaltigung doch der katholischen Lehre entspreche.
Dr. med. Birgit Hibbeler, Gisela Klinkhammer
Berufsrecht
„Ärztinnen und Ärzte haben ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen bei ihrer Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Sie haben dabei ihr ärztliches Handeln am Wohl der Patientinnen und Patienten auszurichten. Insbesondere dürfen sie nicht das Interesse Dritter über das Wohl der Patientinnen und Patienten stellen.“
§ 2 Absatz 2 der (Muster-)Berufsordnung für Ärzte
3 Fragen an . . .
Prof. Dr. med. Bettina Toth, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
Ist die „Pille danach“ eine Abtreibungspille?
Toth: Nein. Es handelt sich um eine medikamentöse Ovulationshemmung. Sobald der Eisprung stattgefunden hat, findet keine Unterdrückung der Befruchtung beziehungsweise der Implantation statt. Es gibt derzeit keine Hinweise, dass die „Pille danach“ einen klinisch relevanten Einfluss auf das Endometrium hat, der eine Implantation beeinträchtigen könnte. Das gilt sowohl für Levonorgestrel als auch Ulipristalacetat.
Viele katholische Krankenhäuser geben die „Pille danach“ nicht aus. Ist es einer Patientin zumutbar, nach einer Vergewaltigung mehrere Kliniken aufzusuchen?
Toth: Ich finde das nicht zumutbar. Es könnte sogar dazu führen, dass weniger Frauen derartige Vorfälle anzeigen. Denken Sie an ländliche Regionen, wo nur ein Krankenhaus am Ort ist. Jeder, der mit vergewaltigten Frauen gearbeitet hat, weiß: Das ist ein ganz schwerer Gang für die Betroffenen.
Im konkreten Fall in Köln wurde der Frau nicht nur die „Pille danach“ verweigert, sondern auch die Untersuchung zur Beweissicherung. Wie bewerten sie das?
Toth: Ich denke, das zeigt vor allem: Wir brauchen in Notfallambulanzen ein standardisiertes Vorgehen bei der Behandlung von Vergewaltigungsopfern – egal, ob katholisches Haus oder nicht. Dann kommt es auch nicht zu Missverständnissen, wie es hier möglicherweise passiert ist. Die Frauen brauchen verlässliche Anlaufstellen.
Müller, Hans E.
Overdick-Gulden, Maria
Pistner, Hans; Pistner, Ines
Kiworr, Michael