ArchivDeutsches Ärzteblatt8/2013Interview mit Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer: „Die Unikliniken sind benachteiligt“

POLITIK: Das Interview

Interview mit Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer: „Die Unikliniken sind benachteiligt“

Flintrop, Jens; Stüwe, Heinz

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Die Probleme der Universitätsmedizin kennt Frank Ulrich Montgomery aus eigener Erfahrung: Der Facharzt für Radiologie arbeitet trotz seiner politischen Funktionen einen Tag in der Woche am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Foto: Georg J. Lopata
Die Probleme der Universitätsmedizin kennt Frank Ulrich Montgomery aus eigener Erfahrung: Der Facharzt für Radiologie arbeitet trotz seiner politischen Funktionen einen Tag in der Woche am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Foto: Georg J. Lopata

Eine zusätzliche Finanzierungssäule, die Integration von Krankenversorgung, Lehre und Forschung, eine Aufwertung von Forschern und Lehrenden – Frank Ulrich Montgomery mahnt politische Entscheidungen zur Zukunftssicherung der Universitätsmedizin an.

Die Klage, dass die Universitätsmedizin im DRG-System nicht adäquat abgebildet sei, gibt es seit Inkrafttreten des neuen Abrechnungssystems vor gut zehn Jahren. Warum greifen Sie das Problem jetzt auf?

Montgomery: Trotz vorhandener Vorteile des DRG-Systems haben wir die Erfahrung gemacht, dass die reine Wettbewerbsorientierung gravierende Effekte hat: Krankenhäuser, die sich auf besonders lukrative Eingriffe verlagern, haben Vorteile. Und Krankenhäuser, die im Sinne der Daseinsvorsorge die breite Palette der Leistungen vorhalten, geraten ins Hintertreffen.

Und die Universitätsklinika gehören in die zweite Kategorie.

Montgomery: Die Universitätsklinika haben nun einmal besondere Aufgaben. Dazu zählt erstens die Supramaximalversorgung, also die Erbringung von seltenen, teuren, aufwendigen und im DRG-System nicht ausreichend abgebildeten Leistungen. Zweitens sind das die Aufgaben in der Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte. Hier muss eine ausreichende Finanzierung über die Wissenschaftshaushalte erfolgen, was nicht in allen Bundesländern der Fall ist. Bei uns in Hamburg gab es beispielsweise gerade eine heftige Debatte über eine Kürzung des Staatszuschusses für Forschung und Lehre. Das ist übrigens auch ein gutes Beispiel dafür, dass Politik gerne versucht, Querfinanzierungen aus Mitteln der Krankenversorgung zu nutzen, anstatt klar zu sagen, was ihnen Ausbildung und Forschung wert sind. Und drittens gibt es schon lange eine Diskussion über ausreichende Finanzkomponenten für die ärztliche Weiterbildung, die nicht nur in Universitätskliniken erfolgt, aber da ganz besonders. Die vielen spezifischen Aufgaben führen alle zusammen dazu, dass die Universitätsklinika im jetzigen System finanzielle Nachteile gegenüber anderen Krankenhäusern haben. Und die müssen wir jetzt benennen.

In dem Positionspapier wird eine dritte Finanzierungssäule für die Universitätsmedizin angeregt. Warum ist die notwendig?

Montgomery: Sie dürfen nicht vergessen: Wir haben wegen der herausragenden Bedeutung der Universitätsklinika in der Supramaximalversorgung, aber auch in der zukunftsorientierten Forschung und in der Grundlagenforschung in der Vergangenheit immer eine dritte Säule gehabt. Erst mit der Föderalismusreform ist diese weggebrochen. Bis dahin gab es unter anderem auch die Förderung von Großgeräten durch Hochschulbauförderungsprogramme. Der Bund hat sich hier „auf lau“ verabschiedet und die Förderung in die Kompetenz der Länder übergeben. Die Länder erfüllen diese Aufgabe aber nicht in dem Maße, wie es nötig ist. Und Großgeräte wie Protonenbeschleuniger, die schnell mal 100 Millionen Euro kosten, überfordern natürlich auch Landeshaushalte.

Sie ziehen einen Bundeszuschuss aus Steuermitteln für die Universitätsmedizin einem DRG-Zuschlag vor. Warum? Der Streit um die Kürzung des Bundeszuschusses in der GKV zeigt doch, wie unsicher eine solche Finanzierung ist.

Montgomery: Dies ist nun einmal originäre Aufgabe der Politik, und dafür soll sie auch die finanzielle Verantwortung tragen. Und auch der DRG-Zuschlag wird letztlich als System von der Politik beschlossen. In einem Punkt darf ich Sie korrigieren: Für die besonderen Probleme der Supramaximalversorgung möchten wir durchaus einen Zuschlag auf die DRG haben. Für Großgeräte und Hochschulbauförderung, also die investiven Maßnahmen, benötigen wir einen Bundeszuschuss.

Aber ist die Einführung einer zusätzlichen Finanzierungssäule realistisch?

Montgomery: Es wäre sicher vermessen zu glauben, dass das alles eins zu eins und umgehend kommt. Aber wir müssen Position beziehen. Auch und gerade in einem Bundestagswahljahr müssen wir klare Richtungsentscheidungen fordern.

In dem Papier ist eine deutliche Präferenz für die öffentliche Trägerschaft von Universitätskliniken und vor allem auch für die maximale Integration von Krankenversorgung, Lehre und Forschung im sogenannten Integrationsmodell erkennbar. Spiegeln sich darin auch die Erfahrungen aus Marburg und Gießen wider?

Montgomery: Wir bewerten den Verlauf der Trennungsbemühungen des Landes Hessen vom zuvor fusionierten Universitätsklinikum Gießen und Marburg durchaus kritisch. Aber die Tatsache, dass man eine Sache unter schwierigen Umgebungsbedingungen falsch gemacht hat, heißt nicht, dass das ganze Prinzip falsch ist. Wir sind in dieser Frage durchaus offen, aber wir sind eben auch wachsam.

Aber eine vollständige Privatisierung eines Universitätsklinikums einschließlich einer vollständigen Integration von Krankenhausversorgung, Forschung und Lehre ist doch aus heutiger Sicht undenkbar, oder?

Montgomery: Das würde ja eine auskömmliche Finanzierung in all diesen Bereichen voraussetzen, so dass für die privaten Träger die Aussicht bestände, hier Geld zu verdienen. Und das sehe ich nun wirklich nicht. Es sei denn, man würde den Studierenden wie in Amerika 30 000 bis 50 000 Euro Studiengebühren abknöpfen – wir wollen das nicht.

Inwiefern beeinflusst denn die „Ambulantisierung“ der Medizin die Ausbildung in den Universitätsklinika?

Montgomery: Sehr. Ein Großteil der medizinischen Aus- und Weiterbildung kann heute de facto nicht mehr an den Universitätskliniken geleistet werden, zum Beispiel in Fächern wie Augenheilkunde oder auch Dermatologie. Wir dürfen aber nicht einfach nur Weiterbildung „auslagern“, wir müssen viel mehr noch als bisher zu Kooperationen kommen mit akademischen Lehrkrankenhäusern und ambulanten Einrichtungen oder auch mit Tageskliniken und Praxiskliniken – wegen der Besonderheiten klinischer Krankheitsbilder ist und bleibt die Verbindung zur universitären Medizin essenziell.

Welche Anreize könnte man denn setzen, um die Motivation der niedergelassenen Ärzte zu erhöhen, sich in der Aus- und Weiterbildung ihrer jungen Kollegen zu engagieren?

Montgomery: Es zählen ja nicht nur die materiellen Anreize. Es ist einfach ein tolles Gefühl, das eigene Wissen weiterzugeben. Auch mit dem Ehrentitel „Lehrpraxis“ kann man schon Ärztinnen und Ärzte motivieren. Aber es geht natürlich auch um Geld, das für die Aus- und Weiterbildung zur Verfügung gestellt werden muss. Man muss es beispielsweise dem niedergelassenen Arzt ermöglichen, einem Arzt in Weiterbildung ein Gehalt zu zahlen, das dem im Krankenhaus entspricht. Sonst wird das nichts.

Leistungen in der Lehre sollten besser bewertet werden, heißt es in dem Papier. Aber wie?

Montgomery: In dem Auswahlverfahren für Spitzenkräfte an den Universitäten spielt die Lehre leider nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Da sind die Universitäten aufgerufen, Prioritäten neu zu setzen und mehr Freiraum für die Lehre zu schaffen. Konkret heißt das: Freistellung von der Krankenversorgung für eine gute Lehre – zumindest eine Zeit lang.

Nicht neu ist die Klage, dass primär wissenschaftlich tätige Ärzte schlechter bezahlt werden als klinisch tätige.

Montgomery: Das ist ein Dilemma. Auch mir ist es als Vorsitzendem des Marburger Bundes seinerzeit nicht gelungen, dass ausschließlich wissenschaftlich tätige Ärzte das gleiche Gehalt bekommen wie jene, die in die Krankenversorgung integriert sind. Der damalige Verhandlungsführer der Arbeitgeber und niedersächsische Finanzminister Hartmut Möllring hat sich zwar gerne über die Fallpauschalen bei den Krankenkassen bedient, war aber nicht bereit, die entsprechende Gehaltssteigerung für Wissenschaftler aus Landesmitteln aufzubringen. Der Marburger Bund und die Bundesärztekammer haben das immer als ungerecht kritisiert. Nach wie vor sind Ärzte, die nur in der Forschung oder in der Lehre tätig sind, extrem benachteiligt, aber auch Psychologische Psychotherapeuten, Chemiker oder Biologen. Die Betreiber von Universitätskliniken und die Finanzminister der Länder könnten das durch einen vernünftigen Tarifvertrag ändern.

Das Auswahlverfahren zum Medizinstudium ist seit Jahren in der Diskussion. Sind Sie mit der heutigen Praxis zufrieden?

Montgomery: Nach wie vor ist das Auswahlverfahren zu sehr auf die Abiturnote fixiert. Sehr viele Universitäten nutzen die heute schon bestehenden Möglichkeiten, sich von der Persönlichkeit der Bewerber ein Bild zu machen, nicht ausreichend. Zwar wurde nachgewiesen, dass die Abiturnote ganz entscheidend für den späteren Studienerfolg ist. Fraglich ist aber, ob hier ein kausaler Zusammenhang besteht. Denn nach mehreren Jahren Wartezeit ist der Einstieg an der Uni viel schwerer als direkt nach dem Abitur. Ich glaube, dass sich viele Universitäten bei der Bewerberauswahl mehr Mühe geben könnten. So praktiziert die Universität Witten-Herdecke ein sehr aufwendiges Verfahren und gibt so auch Bewerbern eine Chance, die nach der Abiturnote nicht ganz vorne liegen.

Diese Unis fürchten den hohen Aufwand, der mit Auswahlgesprächen bei so vielen Bewerbern verbunden ist.

Montgomery: Jemand hat ausgerechnet, dass ein gutes zweitägiges Assessment-Verfahren 1 000 Euro pro Person kostet. Bei 36 000 Bewerbern im Jahr wären das nur 36 Millionen Euro, die man ausgeben müsste, um validere Erkenntnisse über die Eignung von Studienplatzbewerbern für den Arztberuf zu gewinnen. Ich kann mir das als bundesweites Verfahren vorstellen.

Das Interview führten Jens Flintrop
und Heinz Stüwe.

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