SUPPLEMENT: Praxis Computer
Patienteninformierung: Eine neue Aufgabe der Ärzte?


Zur Verdeutlichung der Problematik und um die Notwendigkeit der Patienteninformierung aufzuzeigen, sind
einige Fragen zu beantworten:
n Was heißt "Patienteninformierung"?
n Welche Inhalte sind zu vermitteln?
n Was sind die Ziele der "Patienteninformierung"?
n Was sind die Gründe dafür, diese Probleme überhaupt anzugehen?
n Wie ist Patienteninformierung am besten und am billigsten möglich?
n Warum ist in der Vergangenheit so wenig geschehen, und was verhindert heute, daß mehr getan wird?
Das sind die wichtigsten Fragen, die zu stellen sind. Sie werden hier kurz untersucht.
Begriff "Patienteninformierung"
Informierung drückt eine Aktion aus und damit einen aktiven Vorgang - das Wort "Patienteninformation"
hingegen ist seit mindestens 30 Jahren belegt und steht für die gespeicherten Informationen über die Patienten.
Patienten-Informationssysteme dienen der Patientendatenverwaltung. Dieser Sachverhalt wird immer wieder
fälschlicherweise und diskriminierend sowohl im Krankenhaus als auch in der Praxis verkürzt als
"Patientenverwaltung" beschrieben. Diese entlarvende Begriffsverwendung sollte grundsätzlich vermieden
werden.
Inhalte der Patienteninformierung
Die Frage nach den Inhalten der Patienteninformierung ist leicht zu beantworten: alles. Denn bis zum
entsprechenden Fachstudium in Universität und Fachhochschule (und auch dort längst nicht ausreichend) wird
nichts über den menschlichen Körper, seine Biologie und medizinischen Basisprozesse, nichts über Krankheiten,
über das Gesundheitswesen, die Gesellschaft und ihre Aufgaben im Gesundheitswesen vermittelt. Damit ist
schon gesagt, welche Inhalte die Patienteninformierung zu bewältigen hat (siehe Kasten).
Ein kluger Kopf hat vor kurzem gesagt, wenn in der Schule nur ein Bruchteil dessen, was über Mathematik und
Grammatik gelehrt wird, über die biologischen Prozesse des menschlichen Körpers vermittelt würde, könnten
per anno Milliarden Kosten im Gesundheitswesen gesenkt werden. Die Schlußfolgerungen aus dem allgemeinen
Wissen zum speziellen, individuellen Wissen dürften keine großen Schwierigkeiten mehr bereiten. Das
Verfahren darf jedoch nicht zu einer Selbstdiagnostik führen, allenfalls zur Selbsttherapie. Letztere ist heute
schon unter viel schlechteren Vorbedingungen weit verbreitet - so entfallen 30 Prozent des Pharmaumsatzes auf
OTC-Präparate.
Ziele der Patienteninformierung
Es gibt keine Ziele der Patienteninformierung, es gibt nur ein Ziel:
Der Regelkreislauf zwischen Information - Entscheidung - Handlung (siehe Grafik) gilt immer und überall,
insbesondere für Patienten. Handlung kann auch im Zulassen einer Handlung bestehen. Dies ist in der Medizin
die Regel. Man sieht an diesem Regelkreis aber sehr deutlich, daß die Entscheidungen immer vom Patienten
getroffen werden.
Ärzte und anderes medizinisches Personal haben denselben Regelkreis. Ihre Handlung besteht im ersten Schritt
in der Informierung des Patienten; die "Handlung" trifft damit die "Information" im Kreislauf des Patienten. In
der Rückkopplung entstehen aus den Handlungen bzw. der Zulassung von Handlungen auf der Patientenseite
wieder Informationen auf der Personalseite. Dieser einfache Regelkreislauf auf zwei Ebenen - die oberste Ebene
ist immer die des Patienten - ist in der Grafik auf Seite 2 nebeneinander dargestellt.
Eine Unterbrechung auch nur an einer Stelle muß zum Zusammenbruch des gesamten Systems führen. Leider ist
das in der Vergangenheit und auch noch in der Gegenwart immer wieder zu konstatieren.
Motivierung bzw. Veranlassung
Der rein systemtechnische Ansatz zur Erreichung eines Zieles als Motivation ist nicht ausreichend, es gibt noch
genügend Gründe aus anderen Bereichen:
n Ethik und Humanität: Die Verwirklichung der Selbstbestimmung des Menschen ist nur möglich, wenn er das
nötige Wissen und die Einsicht hat, sein Denken und seine Handlungen danach auszurichten. Damit kann eine
bessere Basis der Selbsterkenntnis geschaffen werden. Der Humanisierung des Wissens wird der Weg bereitet,
die Gleichberechtigung wird gefördert.
n Medizin: Wissen ermöglicht bessere Entscheidungen. Wissen auf beiden Seiten führt zu Vertrauen und zur
Partnerschaft zwischen Patient und Arzt. Gute Entscheidungen und Partnerschaft schließlich führen zur besseren
Bewältigung der Probleme.
n Recht: Schon jetzt ist die eingehende Aufklärung als Voraussetzung zur Einholung der
Einverständniserklärung von medizinischen Handlungen gesetzlich festgelegt. Je schwerwiegender die
Handlungen für den Patienten sind, desto höher wird der Aufklärungsgrad angesetzt. In die ärztliche
Berufsordnung ist 1997 sogar die Pflicht zur Informierung (nicht nur Aufklärung) aufgenommen worden. Eine
Propagierung der Anerkennung der Verantwortung durch den Menschen für sich selbst, die er ja ohnedies hat,
setzt die entsprechende Wissensvermittlung voraus.
n Wirtschaftlichkeit: Die anzustrebende und durch Informierung erreichbare Partnerschaft zwischen Patient und
Arzt führt zur schnelleren und haltbareren Lösung von Problemen, sie ist damit per se billiger. Gleichgeartetes
Wissen auf beiden Seiten - wenn auch naturgemäß in der Tiefe different - führt zu geringstem Mitteleinsatz.
Informierung des Patienten umfaßt auch Informierung über Kosten. Patienten begreifen schnell, daß es im
Endeffekt ihr Geld ist, das zur Lösung ihrer Probleme ausgegeben werden muß. Oft genug findet sich
gemeinsam auch eine günstigere Lösung, die nicht schlechter sein muß.
Systeme der
Patienteninformierung
Wie kann man überhaupt Patienteninformierung gut und zu vertretbaren Kosten betreiben? Diese Frage läßt sich
nur im Detail beantworten. Jeder der vier aufgeführten inhaltlichen Problembereiche (siehe Seite 2) muß mit
verschiedenen Subsystemen aus einem integrierenden, allgemeinen Informierungssystem bearbeitet werden.
1. Wissen über die Institutionen des Gesundheitswesens überhaupt: Zur Vermittlung von Wissen über das
Gesundheitswesen und dessen Institutionen sind in aller Regel Printmedien und/oder Video ausreichend. Die
technischen und didaktischen Möglichkeiten sind heute so weit gediehen, daß an dieser Stelle keine Wünsche
offen bleiben sollten. Diese Inhalte können auch ohne Veränderungen ins Internet gestellt werden. Die
Zugriffszeiten dürften dabei allerdings nicht zu lang werden.
2. Wissen über die zu kontaktierenden Einrichtungen: Hier sind schon individuelle Lösungen gefragt, zum
Beispiel die Beschreibung und das Leistungsspektrum von niedergelassenen Praxen oder Krankenhäusern. Hat
der Patient sich einen Arzt (Arzt für Allgemeinmedizin oder Spezialarzt) ausgesucht und befindet er sich schon
in der Praxis oder Klinik, könnte er dort mit einer Info-Säule (siehe Abbildung 1) über die gesamte Praxis bzw.
Klinik mit allen dort Beschäftigten und Funktionsräumen informiert werden. Diese Informierung läßt sich auch
koppeln mit Punkt 3, einer allgemeinen Informierung etwa über einzelne Organe und grundsätzliche Krankheiten
dieser Organe (siehe Abbildung 3). Ferner kann schon bei der Vorstellung des Personals Multimedia eingesetzt
werden, etwa kurze Videofilme mit Sprache, in denen sich zum Beispiel der Arzt oder die Sprechstundenhilfe
selbst vorstellen [5].
3. Allgemeines Wissen über medizinische und biologische Prozesse des menschlichen Körpers: Wissen darüber
sowie über Krankheiten und deren Diagnostik und Therapie, über Prognose und Möglichkeiten der Nachsorge
bzw. Vorbeugung zu vermitteln, ist nicht trivial. Da das Vermitteln von Wissen unter dem Ziel der
Entscheidungsverbesserung steht, ist die Verantwortung des Vermittelnden besonders groß. Er darf und muß sich
entsprechend qualitätsgeprüfter Systeme bedienen, die er auch Patienten nach einer gewissen Einführung direkt
für eine selbständige Verwendung empfehlen kann (siehe Abbildungen 2, 3; ein solches System wie das hier
abgebildete beinhaltet sogar die Möglichkeit des Einbaus und der Verwendung eigener Texte, Bilder,
Videosequenzen oder Sprache [3, 4, 6]).
Die Darstellungen müssen einerseits so einfach wie möglich und richtig sein. Sie müssen andererseits so genau
sein, daß sich ein Patient die richtigen Vorstellungen machen kann, was mit ihm gegebenenfalls geschehen wird,
wenn er beispielsweise einem Vorschlag zur Therapie einer Coxarthrose zustimmt. Derartige Systeme sind im
allgemeinen für das Internet noch nicht geeignet, da die Komplexität zu groß und die Bilder mit der Animation
zu umfangreich oder nur mit Zugeständnissen an die Bildqualität nutzbar sind [1]. Auch bieten Touch-ScreenSysteme einen einfacheren Zugriff auf die Informationen für jedermann, also zum Beispiel auch für
Computerlaien und ältere Menschen.
4. Spezielles Wissen über individuelle Probleme: Wenn es zur Lösung der Probleme 1 bis 3 schon gute bis sehr
gute Systeme auf dem Markt gibt, so kann unter diesem Punkt nur auf Visionen verwiesen werden. Die Vision
betrifft nicht so sehr die technische Problemlösung, sondern eher Lösungen einerseits organisatorischer und
andererseits medizinischer Probleme. Es ist leicht vorstellbar, daß sich die Patientengeschichte in digitaler Form
mit den wichtigsten Bildern aller Art auf einem Medium befindet, das von Fall zu Fall mit einem allgemeines
Wissen vermittelnden System gekoppelt wird, um dem Patienten das nötige Wissen wirklich an "seinen"
individuellen Gegebenheiten darzubieten. Eine Internet-Anwendung dieser Verfahrensart ist denkbar, dürfte
vorerst aber an der mangelnden Geschwindigkeit und Sicherheit - es handelt sich hierbei schließlich um
Patientendaten - scheitern. Zur Zeit etablieren sich Patientenbüros, die auch mit Hilfe des Internets Patienten
beraten und sie mit entsprechendem Wissen versorgen.
Hinderungsgründe
Warum geschieht letztendlich so wenig auf dem Gebiet der Patienteninformierung? Auch hier sind wieder vier
hauptsächliche Gründe aufzuführen:
n Präsentationsmängel (die Mensch-Maschine-Schnittstelle ist noch nicht gut genug): Eine wesentliche
Ergänzung zu den berühmten drei Qualitätsstufen von Donabedian [2] - Strukturqualität, Prozeßqualität,
Ergebnisqualität - muß mit der Präsentationsqualität gemacht werden. Was nützen die schönsten Ergebnisse,
wenn sie kein Mensch versteht? Gerade innerhalb der Medizin ist das ein auf den Nägeln brennendes Problem.
Eine gute Präsentationsqualität ist unabdingbar für die Patienten.
n Mangel an Fachleuten, die daran arbeiten wollen: Die Fachleute für derartige Systeme sind noch weniger
vorhanden als auf dem allgemeinen Informatiksektor, und die wenigen wagen sich entweder aus wirtschaftlichen
Gründen oder aus mangelnder Erkenntnis an die Problematik nicht heran.
n Fehlende Finanzmittel: Der Staat und die Krankenkassen haben ihre Verantwortung noch nicht begriffen, und
die Industrie hat noch nicht erkannt, daß es wesentlich mehr Patienten gibt als Beschäftigte im
Gesundheitswesen, für die sie bisher ihre Systeme bauen.
n Fehlendes Verständnis für den Bedarf in Politik und Gesellschaft: Die Gesellschaft im allgemeinen und die
Politiker im besonderen haben bisher noch wenig Verständnis für diese Problematik gezeigt. Liegt das daran,
daß die Allgemeinheit und die Politiker immer noch zu wenig krank sind? Oder setzt mit dem Eintritt in das
Patientendasein die Reflexion für das Allgemeine aus?
Quintessenz
Es gibt in der Bevölkerung kaum jemanden, der nicht auch Patient ist. Die meisten Menschen sind
berechtigterweise an sich selbst immer noch interessierter als an anderen Problemen. Das Wissen über das
Leben, den Körper und seine normalen und nicht normalen Prozesse ist gering oder nicht vorhanden. Schäden
und Kosten durch dieses Nicht-Wissen steigen rapide. Die Unterbrechung dieses circulus vitiosus ist nur an der
Stelle "bessere Wissensvermittlung" zu durchbrechen. Diese Kausalkette berücksichtigt noch nicht einmal die
ethischen und humanen Belange in der Medizin, die man nur sehr schwer in Geld umrechnen kann, die aber
ebenso wichtig sind. Claus O. Köhler
Kontaktadresse: Prof. Dr. Claus O. Köhler, Grünlingweg 1, 69168 Wiesloch-Frauenweiler, E-Mail:
c.o.koehler@dkfz-heidelberg.de
Literatur
(1) Bob K; Hägele M; Hömberg E; Köhler CO; Schuell D; Sljivljak N: Das Gesundheits-Informations-System
(GIS) - ein Demosystem auf Internetbasis. In: Bundesminister für Gesundheit (Ed.): Telematik-Anwendungen
im Gesundheitswesen. 1998, Nomos, Baden-Baden, 55-60.
(2) Donabedian A: Evaluating the quality of medical care. Milbank Mem. Fund, 1966, Q.44, 166-203.
(3) Hägele M: CAPS - Erste Schritte zur Realisierung: Das Patienten-Informierungs-System. Fachbereich
Medizinische Informatik, Universität Heidelberg/Fachhochschule Heilbronn, Heidelberg, Diplomarbeit, 1995.
(4) Hägele M; Sljivljak N; Ellsässer K-H; Hertwig B; Zimpelmann B; Köhler CO: Patienten-InformierungsSystem - Ein Überblick. In Köhler C O (Ed.): Medizinische Dokumentation und Information - Handbuch für
Klinik und Praxis. 1995, ecomed, Landsberg, V-22,1-7.
(5) Hägele M; Sljivljak N; Köhler CO: Patienteninformierungssysteme - warum, wozu, womit? In: B.f.
Gesundheit (Ed.): Telematik-Anwendungen im Gesundheitswesen. 1998, Nomos, Baden-Baden, 61-70.
(6) Sljivljak N: CAPS (Computer Aided Patient Support) - Konzeptionierung - Die fehlende Komponente eines
zukünftigen, patientenorientierten Gesundheitswesens. Universität Heidelberg, Fachbereich Medizinische
Informatik, Diplomarbeit, 1997.
Weitere Literatur kann beim Autor angefordert werden (Rückumschlag oder E-Mail-Adresse).
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