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EU-Verordnung zu klinischen Prüfungen: Gut gedacht, schlecht gemacht


Die Europäische Kommission will die Regelungen zu klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln vereinfachen. Dazu hat sie bereits im Juli 2012 einen Verordnungsentwurf vorgelegt, der jetzt erneut in die Kritik geraten ist. Zusammen mit dem Europapolitiker Peter Liese (CDU) hat der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, davor gewarnt, ethische Schutzstandards für Patienten aufzuweichen. Diese Befürchtung hegen auch die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. In einem gemeinsamen Antrag (Drucksache 17/12183) weisen sie die Bundesregierung auf „erhebliche Mängel“ im Verordnungsentwurf hin, die im europäischen Gesetzgebungsverfahren behoben werden müssten.
Die wesentlichen Kritikpunkte: Der Verordnungsvorschlag reduziert den Schutz von minderjährigen und nicht einwilligungsfähigen Probanden. Es fehlt die ausdrückliche Vorgabe, dass am Genehmigungsverfahren für eine klinische Prüfung eine unabhängige Ethikkommission beteiligt werden muss. Außerdem soll künftig bei multinationalen Prüfungen nur noch ein Mitgliedstaat federführend deren Nutzen-Risiko-Verhältnis bewerten. Das geht Politik und Ärzteschaft in Deutschland zu weit.
Vor gut zehn Jahren war die Richtlinie 2001/20/EG zu Klinischen Prüfungen eingeführt worden, um genau das flächendeckend in ganz Europa zu schaffen, was jetzt in Gefahr ist: ein hohes Schutzniveau für Patienten und Probanden. Die Richtlinie sollte die Anwendung der guten klinischen Praxis bei Arzneimittelstudien in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) sicherstellen. Dass sie nun geändert werden soll, begründet die EU-Kommission mit der heftigen Kritik vonseiten der Betroffenen: Patienten, Wirtschaft und wissenschaftlicher Forschung. Verfügbare Daten untermauerten die Kritik. So sei etwa die Zahl der Anträge für klinische Prüfungen von 2007 bis 2011 um 25 Prozent zurückgegangen, und die Kosten seien gestiegen. Bei den nicht kommerziellen Sponsoren habe die Verschärfung der verwaltungstechnischen Anforderungen durch die Einführung der EU-Richtlinie die Verwaltungskosten um 98 Prozent erhöht.
Könnten hier Kosten gesenkt und Bürokratie abgebaut werden, käme das beispielsweise Therapieoptimierungsstudien zugute, wie sie häufig in der Onkologie durchgeführt werden. Stellt man sich zum Beispiel die Frage, wie ein Medikamenteneinsatz minimiert werden kann, „bezahlt ihnen das keiner“, heißt es aus der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie. Die Fachgesellschaft warnt deshalb davor, neben aller berechtigten Kritik die geplante Verordnung als Ganzes zur Disposition zu stellen.
Auch BÄK-Präsident Montgomery und EU-Parlamentarier Liese begrüßen das Ziel der EU-Kommission, das Verfahren der klinischen Prüfungen multinational auszurichten und zu entbürokratisieren. Allerdings dürfe man nicht hinnehmen, dass Arzneimitteltests künftig nur noch dort durchgeführt würden, wo ein niedriges Schutzniveau für Patienten bestehe. „Der Patientenschutz darf nicht zugunsten eines Ethik-Shoppings verringert werden.“ Deshalb ist es jetzt wichtig, auf EU-Ebene für Änderungen zu werben. Denn im Gegensatz zu EU-Richtlinien gelten Verordnungen unmittelbar in ganz Europa. Nationale Abweichungen für ein höheres Schutzniveau wären nicht mehr möglich.
Heike Korzilius
Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik