MEDIZINREPORT
Nierentransplantation: Immunologische Barrieren überwinden
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- der Europtransplant Annual Report 2011
- zum Abstract der Studie aus: Transplantation 2008; 85: 1745
- zum Volltext der Studie aus: NEJM 2011; 365: 318
- zum Volltext des Beitrags aus: Am J Transplant 2005; 5: 145
- zum Abstract der Studie aus: Transplantation 2012; 93: 827
- zur Summary des Beitrags aus: Transpl Int 2012; 25: 633
- zur Summary des Beitrags aus: Transpl Int 2012; 25: 987


Gewebe- oder Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Wartelistenpatienten und potenziellem Spender: Diese Faktoren erschweren Transplantationen zusätzlich zum Organmangel. Inzwischen aber gibt es gute Strategien, um diese Hürden erfolgreich zu überwinden.
Die erfolgversprechendste Nierentransplantation ist die Transplantation bei Blutgruppenverträglichkeit und in Abwesenheit von Antikörpern gegen Gewebe- (HLA-)Merkmale des Spenders, die barrierefreie Transplantation also. Allerdings sind die Patienten in den letzten Jahren aufgrund des Organmangels mit einer zunehmenden Wartezeit bis zur Transplantation konfrontiert. Dies gilt vor allem dann, wenn der Patient bereits vor der Transplantation in seinem Serum HLA-Antikörper aufweist, die während vorausgegangener Bluttransfusionen, Schwangerschaften oder auch Transplantationen erworben wurden (Eurotransplant Annual Report 2011).
Lebendspende als Option
Eine Möglichkeit, Patienten frühzeitig zu transplantieren, stellt die Nierentransplantation über Barrieren dar, insbesondere wenn hierdurch eine Lebendnierentransplantation realisiert werden kann.
Am Transplantationszentrum der Universitätsklinik Heidelberg wurde im Jahr 2011 bei 22 Prozent aller Nierentransplantationen eine präoperative Desensibilisierung notwendig, und 31 Prozent (N = 20/65) aller Lebendnierentransplantationen wurden über diese Barrieren hinweg realisiert. Das bedeutet: Diese Patienten mussten aufgrund von Blutgruppen- und/oder HLA-Antikörpern vorbehandelt werden, um eine Transplantation überhaupt zu ermöglichen.
Während die Lebendnierentransplantation bei Blutgruppenunverträglichkeit mittlerweile vergleichbare Ergebnisse wie die blutgruppenkompatible Transplantation aufweist (Transplantation 2008; 85: 1745), sind die Ergebnisse bei Vorliegen spenderspezifischer HLA-Antikörper, vor allem wenn diese zu einer positiven Kreuzprobe zwischen Spender und Empfänger führen (positives Crossmatch), schlechter als bei vergleichbaren Transplantationen ohne Vorliegen von HLA-Antikörpern.
Es stellt sich deshalb insbesondere bei der Lebendnierentransplantation die Frage, ob es sinnvoll ist, diese über die Crossmatch- oder HLA-Antikörper-Barriere durchzuführen oder ob es günstiger ist, den Patienten alternativ auf die Warteliste zur Transplantation einer dann kompatiblen Verstorbenenniere zu setzen. Diese Frage konnte im Jahr 2011 in einer wegweisenden Arbeit einer Forschergruppe um Robert A. Montgomery aus Baltimore beantwortet werden (NEJM 2011; 365: 318).
Das Team untersuchte das Überleben von Patienten mit präformierten Spender-spezifischen HLA-Antikörpern, die sich nach erfolgreicher Desensibilisierung einer Lebendnierentransplantation unterzogen. Nach acht Jahren lebten noch 81 Prozent dieser Patienten, verglichen mit lediglich 49 Prozent der Patienten in einer Kontrollgruppe, die auf die Warteliste zur kompatiblen Verstorbenenspende gesetzt wurden, unabhängig davon, ob sie während der Beobachtungszeit transplantiert wurden oder nicht.
Das Setting in dieser Arbeit lässt sich zwar nicht eins zu eins auf die Situation in Deutschland übertragen. Denn im Eurotransplantverbund, zu dem Deutschland gehört, gibt es ein spezielles Programm zur Transplantation von Patienten mit einer Vielzahl präformierter HLA-Antikörper („Acceptable Mismatch Program“), in dem diese benachteiligten Patienten prioritär Organe zugewiesen bekommen. Allerdings können auch mit Hilfe solcher Programme lediglich 60 Prozent aller Patienten transplantiert werden (Transplantation 2009; 88: 447). Die restlichen Patienten benötigen weitere Maßnahmen, wie zum Beispiel Desensibilisierung – sei es in Vorbereitung auf eine Verstorbenen- oder auf einen Lebendnierentransplantation.
Desensibilisierungs-Formen
Prinzipiell gibt es verschiedene Möglichkeiten, Patienten zu desensibilisieren:
- die Gabe von hochdosierten intravenösen Immunglobulinpräparaten
- die Plasmapherese (zum Beispiel Plasmaaustausch), gegebenenfalls in Kombination mit niedrigdosierten intravenösen Immunglobulinpräparaten und
- die Immunadsorption.
Mit diesen Maßnahmen sollen Blutgruppen- und/oder HLA-Antikörper bis zum Zeitpunkt der Transplantation entfernt oder zumindest deutlich abgesenkt werden.
Kombiniert werden diese Verfahren häufig mit der Gabe von Rituximab, einem anti-CD20-Antikörper, der die Antikörper-Neubildung verhindern soll. Neuerdings wird auch der Einsatz eines Antikörpers gegen die Komplementkomponente 5 (Anti-C5, Eculizumab) evaluiert. Er soll die zelltoxische Wirkung von Komplement nach Bindung des Alloantikörpers an das Transplantat-Endothel verhindern.
Für die Vorbereitung zur blutgruppeninkompatiblen Lebendnierentransplantation wird in Europa, in Anlehnung an Gunnar Tydén vom Karolinska-Hospital, Stockholm, im Wesentlichen ein Protokoll verwendet, bei dem durch die Gabe von Rituximab vier Wochen vor der Transplantation und perioperative Immunadsorptionen die Blutgruppenantikörper zum Zeitpunkt der Transplantation sowie die ersten 14 Tage nach Transplantation unter einen bestimmten Schwellenwert (zum Beispiel Titer 1 : 8 in der Gelkartentechnik für Coombs und Saline) gesenkt werden (Am J Transplant 2005; 5: 145; Transplantation 2012; 93: 827). Nach dieser Vorbehandlung kommt es selbst bei erneutem Anstieg der Blutgruppenantikörper in der Regel nicht zur Abstoßung, ein Phänomen, das als Akkomodation bezeichnet und derzeit inkomplett verstanden wird.
Etwas anders ist die Situation bei Vorliegen von HLA-Antikörpern: Hier ist das (erneute) Auftreten von spenderspezifischen HLA-Antikörpern nach der Transplantation immer gefährlich und potenziell mit akuten oder chronischen Abstoßungsreaktionen assoziiert. In unserem Zentrum haben wir für die erfolgreiche und zeitgerechte Transplantation solcher Patienten mit einem erhöhten Risiko für Antikörper-bedingte Organverluste einen Algorithmus entwickelt, der sieben verschiedene Maßnahmen kombiniert (Transplantation 2010; 90: 645):
- Identifizierung von Patienten mit Vorliegen von präformierten HLA-Antikörpern und hohem Risiko der Abstoßung nach Transplantation
- gutes HLA-Match für solche Patienten (postmortale Spende)
- Einschluss in das „Acceptable Mismatch Program“ von Eurotransplant (postmortale Spende)
- prä- und postoperative Desensibilisierung: mit Plasmapherese bei der Verstorbenenspende und Immunadsorption bei der Lebendspende
- postoperatives Monitoring für das Auftreten von HLA-Antikörpern und
- Protokollbiopsien an den Tagen sieben und 90.
Mit diesem Algorithmus konnten seit April 2006 knapp 100 Hochrisikopatienten mit guten Ergebnissen transplantiert werden (Transpl Int 2012; 25: 633).
Die Transplantation über Barrieren ermöglicht es, die Wartezeit und damit auch das Überleben von niereninsuffizienten Patienten zu verbessern, die ansonsten aufgrund einer inkompatiblen Blutgruppensituation oder dem Vorliegen Spender-spezifischer HLA-Antikörper benachteiligt wären. Dennoch bleibt das vordringliche Ziel immer, eine Transplantation ohne Barriere zu erreichen (Grafik). Versuche, Barrieren im Falle der Lebendnierentransplantation mittels Nierentauschprogrammen zu umgehen, sind aufgrund rechtlicher, ethischer, aber auch organisatorischer und logistischer Probleme (bisher) nicht erfolgreich. Die kürzlich publizierte Analyse eines solchen großen nationalen Nierentauschprogramms aus den Niederlanden hat gezeigt, dass besonders benachteiligte Patienten (Patienten mit der Blutgruppe 0 und/oder einer Vielzahl von präformierten HLA-Antikörpern) nur mittels Desensibilisierung und/oder durch den Einschluss in das Eurotransplant „Acceptable Mismatch Program“ erfolgreich und zeitgerecht transplantiert werden können (Transpl Int 2012; 25: 987).
Priv.-Doz. Dr. med. Christian Morath
Sebastian M. Schäfer
Prof. Dr. med. Caner Süsal
Nierenzentrum Heidelberg/
Universitätsklinik Heidelberg
christian.morath@med.uni-heidelberg.de
In Kooperation mit: Prof. Dr. med. Martin Zeier, Prof. Dr. med. Peter Schemmer und Prof. Dr. med. Gerhard Opelz
- der Europtransplant Annual Report 2011
- zum Abstract der Studie aus: Transplantation 2008; 85: 1745
- zum Volltext der Studie aus: NEJM 2011; 365: 318
- zum Volltext des Beitrags aus: Am J Transplant 2005; 5: 145
- zum Abstract der Studie aus: Transplantation 2012; 93: 827
- zur Summary des Beitrags aus: Transpl Int 2012; 25: 633
- zur Summary des Beitrags aus: Transpl Int 2012; 25: 987
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