KULTUR
Psychologie der Kunst: Orientierung an dem Einfachen


Der Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger Eric Kandel sucht den Weg des Dialogs von Hirnforschung und Kunst, denn beide „repräsentieren zwei verschiedene Blickwinkel auf den menschlichen Geist“. Die Wissenschaft lehre, dass das gesamte geistige Leben auf den Hirnaktivitäten beruhe, und eine Beschäftigung mit diesen Aktivitäten ermögliche das Verständnis davon, wie wir auf ein Kunstwerk reagieren. Er skizziert in groben Zügen das derzeitige Wissen über kognitionspsychologische und neurobiologische Grundlagen von Wahrnehmung, Gedächtnis, Gefühl, Empathie und Kreativität. Wie wird aus den von den Augen gesammelten Informationen Sehen? Wie verwandeln sich Gedanken in Erinnerung? Was ist die biologische Grundlage unseres Verhaltens?
Kandel kehrt mit seinem Alterswerk nach Wien zurück, wo er 1929 geboren wurde. Er führt die Leser in das Wien um 1900, wo ein intensiver Austausch zwischen den bedeutendsten Ärzten, Künstlern und Literaten eine gegenseitige Durchdringung der Arbeits- und Schaffensprozesse herbeiführte. Ausgehend von der „Freud’schen Revolution“ und der Medizinischen Schule Wiens zeigt Kandel auf, wie sich in den Werken der Künstler die Kraft des seelisch Unbewussten und des bis dahin körperlich Unsichtbaren Bahn bricht.
Kandels „Zeitalter der Erkenntnis“ ist auch deshalb ein Lesevergnügen, weil sich der Autor selbst bei den kompliziertesten Sachverhalten an eine Konstante seines Lebens hält: Er versucht sich an dem Einfachen zu orientieren. Um zu erforschen, wie das Gehirn Erinnerungen speichert, wählte er die Meeresschnecke Aplysia, die sich durch ein überschaubares System auszeichnet. Man müsse sich ein sehr einfaches Verhalten aussuchen und dann die neuronale Architektur genau beschreiben. Ulrike Hempel
Eric Kandel: Das Zeitalter der Erkenntnis. Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute. Siedler, München 2012, 704 Seiten, gebunden, 39,99 Euro
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