ArchivDeutsches Ärzteblatt41/1998Regierungswechsel: Es wird spannend

POLITIK: Leitartikel

Regierungswechsel: Es wird spannend

Jachertz, Norbert

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS Unverändert sind die Finanzierungsprobleme im Gesundheitswesen. Daran hat auch die Bundestagswahl nichts geändert. Wie sehen die Rezepte einer rot-grünen Koalition aus? ie gesundheitspolitischen Aussagen der SPD und der Bündnisgrünen sind einigermaßen kompatibel, jedenfalls in den großen Zügen. Es lohnt sich, die recht konkreten Aussagen der gesundheitspolitischen Sprecher in unseren Heften 33 und 34-35 nachzulesen. Hier eine grobe Skizze:
Letztlich kreisen alle Parteivorstellungen um das Problem der Finanzierung des Gesundheitswesens. Der Bewegungsspielraum ist eng. Die Handlungsspielräume jedweder Bundesregierung sind gering. Mittelfristig setzen SPD und Bündnisgrüne, so sie eine Regierung bilden, und danach sieht es aus, auf Beitragssteigerungen durch Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze und durch Ausweitung des Versichertenkreises auf Beamte und Selbständige sowie eine Ausdehnung der Beitragsbemessungsgrundlage, indem beispielsweise Vermögenserträge in die Beitragsberechnung einbezogen werden. Solche Maßnahmen bringen zwar Geld in die Kassen, eröffnen aber auch neue Leistungsansprüche. Ob unter dem Strich nennenswerte Einnahmenzuwächse herauskommen, ist nicht ausgemacht. Die kämen mit Sicherheit jedoch dann, wenn es gelänge, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Denn, daran sei einmal mehr erinnert, in der Gesetzlichen Krankenversicherung hapert es auf der Einnahmenseite, und das liegt an der hohen Arbeitslosenquote. Die will eine rot-grüne Regierung aktiv angehen. Dazu gibt es hehre Vorsätze. Wie sie umgesetzt werden sollen, ist offen.
Beim Beitragssatz kann auch ei-ne neue Regierung nicht ansetzen, weil sie den kleinen und mittleren Einkommensbeziehern versprochen hat, die Steuer- und Beitragsbelastung zu senken, und sie der Wirtschaft versprechen muß (so jedenfalls Gerhard Schröder), die Lohnkosten international wettbewerbsfähig zu halten. Das alles bedeutet: Beitragssatzstabilität. Andererseits sollen gewisse Reformschritte der früheren Bundesregierung rückgängig gemacht werden, zum Beispiel Zuzahlungen sowie die Einschränkung der Lohnfortzahlung. Das wiederum belastet die Beiträge. Zusätzliche Belastungen könnten von der Rentenversicherung kommen, wenn das Rentenniveau tatsächlich angehoben werden sollte. Die Versuchung, dann den alten Verschiebebahnhof zwischen Krankenversicherung und Rentenversicherung wieder aufzumachen, ist groß. Zur Entlastung der Kassen wollen beide angehenden Koalitionsparteien Rationalisierungsreserven mobilisieren. Nach ihrer Ansicht gibt es solche zur Genüge. Die SPD und mehr noch die Bündnisgrünen setzen da vor allem auf den Hausarzt. Dem wollen sie die Schlüsselfunktion zuerkennen; das könnte auf ein Primärarztsystem hinauslaufen. Den Krankenhäusern soll weitaus mehr als heute ambulante Behandlung gestattet werden in der Hoffnung, daß dadurch stationär Betten abgebaut werden können. Rationalisierung verspricht man sich auch durch den Ausbau von Krankenhäusern zu (fachärztlichen) Gesundheitszentren, in denen teure Technik konzentriert wäre. Solche Strukturreformen, sofern sie denn kommen, brauchen Zeit. SPD und Bündnisgrüne plädieren deshalb während einer Übergangsphase für Globalbudgets, um Ruhe an der Beitragsfront zu halten. Die neue Regierung wird sich freilich, sobald sie an die Umsetzung der Programme geht, mit den Realitäten auseinandersetzen müssen. Das Primärarztsystem etwa bedeutet eine Umkrempelung des Gesundheitswesens. Auf der Strecke blieben weitgehend die ambulanten fachärztlichen Versorgungsstrukturen. Die Versicherten und Patienten sind jedoch gewohnt, daß diese vorgehalten und bei Bedarf reibungslos in Anspruch genommen werden können. Andererseits ist völlig offen, ob es bei Einführung eines Primärarztsystems genügend Primärärzte gibt, die die Patientenversorgung ohne Engpässe garantieren könnten. Auch ist es nicht ausgemacht, daß in den Krankenhäusern tatsächlich derart viele personelle Reserven vorhanden sein sollten, um zusätzlich ambulante Leistungen in erheblichem Umfange anbieten zu können. Solche Hürden seien vorsorglich aufgezeigt. SPD und Bündnisgrüne können indes auch unter den Ärzten Verbündete auftun, die die Hürden kleinreden. Auch die Krankenhausträger könnten versucht sein, etwa den Aufbau von Gesundheitszentren von sich aus der Politik anzubieten. Bekenntnis zu Rot-Grün
Unter den ärztlichen Bündnispartnern bieten sich als gewichtige Gruppierung zur Zeit die Interessenvertreter der Allgemeinärzte an. Deren Verband hat bereits kurz vor der Wahl ein offenes Bekenntnis zur rot-grünen Programmatik abgegeben (Näheres dazu im folgenden Artikel; siehe aber auch Heft 39, Seite eins: "Allgemeinärzte - Katze aus dem Sack").
So vage viele allgemeinpolitische Aussagen der neuen mutmaßlichen Koalitionsparteien auch sind - gesundheitspolitisch gibt es handfeste Vorstellungen. Und in den Parteien gibt es genügend Promotoren für ein neues Gesundheitswesen, die lange auf ihre Chance gewartet haben. Gesundheitspolitisch wird es somit spannend. Norbert Jachertz

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote