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Initiative am Göttinger Universitätsklinikum: „Hier konnten wir lachen und weinen“
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Ein Stück Ersatz-Zuhause
"Dieses Haus ist wirklich wie eine Zuflucht, und es hat dazu beigetragen, daß Carsten bis zum Schluß so lebenslustig war", hat eine Familie an die "Elternhilfe für das krebskranke Kind Göttingen" geschrieben. Das Elternhaus sei ein Stück Ersatz-Zuhause gewesen, in dem Carsten "mit seinen Geschwistern und seinem Freund noch einmal unbelastet spielen konnte". Die Elternhilfe, die das Haus unter großer Anteilnahme der Bevölkerung weitgehend durch Spenden finanziert und im Juni 1988 eingeweiht hat, habe schon viele derartige Briefe dankbarer Familien bekommen, sagte der Vorsitzende Otfried Gehricke. Für viele sei das Elternhaus "ein Zufluchtsort, an dem wir die Zerrissenheit unserer Familien vergessen konnten. Hier waren wir als ganze Familie zusammen. Hier konnten wir lachen und weinen; es war stets jemand da, der die Sorgen und den Schmerz mit uns teilte."
Fast alle Eltern empfinden das zweigeschossige Haus schon rein baulich als angenehmen Kontrast zum gigantischen Klinikum gleich nebenan. Sie fühle sich geborgen, sagt zum Beispiel Simone Seemann aus Detmold, die bereits seit Dezember 1997 in einem der elf Einzelzimmer wohnt. Ihre Tochter leidet an einer schweren Fehlbildung des Kiefers und wird seit ihrer Geburt in Göttingen versorgt. Rein theoretisch könne sie auch in einem Hotel wohnen, um täglich bei ihrem Kind zu sein, sagt die Mutter. "Doch wer kann das bezahlen?" Einem Hotel soll das Elternhaus im übrigen nicht gleichen. "Jeder ist für seine eigene Versorgung zuständig", sagt Otfried Gericke. Jeder müsse auch sein Zimmer selbst aufräumen und reinigen.
Urlaub von der Station
Als besonders wichtig habe sich das Elternhaus auch für die kranken Kinder selbst erwiesen, sagt Gericke. Sie dürfen in Absprache mit den Ärzten stundenweise "Urlaub von der Station" machen und "nach den schlimmen Wochen mit Operation, Chemotherapie oder Bestrahlung und den oft belastenden Nebenwirkungen" im Elternhaus Stunden unbelasteten Spiels erleben. Das Gebäude, das in den vergangenen Jahren bereits zweimal erweitert wurde, ist dafür bestens ausgestattet.
Eltern, die mit ihren Kindern nicht nur aus Hessen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen und in Spezialfällen auch aus anderen Bundesländern nach Göttingen kommen, nehmen das Elternhaus immer besser an. "Eigentlich müßten wir schon wieder anbauen", sagt Otfried Gericke. Denn die 31 Betten des Hauses sind nahezu ständig belegt. Bezahlt werden die Mitarbeiter des Elternhauses vom Trägerverein und damit größtenteils aus Spendengeldern. Zwei Drittel des jährlichen Etats werden aus Spenden finanziert, den kleineren Rest steuern die Krankenkassen bei.
Um das Elternhaus langfristig von Spenden unabhängig zu machen und um sein Bestehen auf Dauer zu sichern, hat der Elternverein eine Stiftung gegründet. "Was wir brauchen", sagt Vorstandsmitglied Henning Grahlmann, "sind rund fünf Millionen Mark." Informationen: Elternhaus Göttingen, Am Papenberg 9, 37075 Göttingen.
Matthias Brunnert/pid