SUPPLEMENT: PRAXiS
Bewertung von freiberuflichen Praxen: Die richtige Methode . . .


. . . im Rahmen des Zugewinnausgleichs – und auch zur allgemeinen Bestimmung des Verkehrswertes. Die gerichtlichen Anforderungen verdichten sich zur Methodenwahl des modifizierten Ertragswertverfahrens.
Wer eine freiberufliche Praxis oder Anteile hieran kaufen oder verkaufen möchte, sollte wissen, was diese wert ist/sind, um seine Preisvorstellungen begründen zu können. Die Frage der Bewertung stellt sich aber auch in anderen Fällen, wie beispielsweise bei der Planung und Umsetzung von Kooperationen, bei der Ermittlung des Zugewinnausgleichs in Ehescheidungsverfahren oder im Erbschaftsfall.
Drei wichtige Urteile
Im Rahmen der Ermittlung des Zugewinnausgleichs bei gesetzlichem Güterstand der geschiedenen Eheleute befasste sich der Bundesgerichtshof (BGH) in drei Urteilen vom 6. Februar 2008, 2. Februar 2011 und 9. Februar 2011 mit der Frage der Bewertung des in den Zugewinnausgleich fallenden immateriellen Werts (Goodwill) einer Freiberuflerpraxis. Im Jahr 2008 konnte der BGH mangels Transparenz innerhalb des dem Verfahren zugrundeliegenden Wertgutachtens kein Urteil auf Basis der im Gutachten verwandten Bewertungsmethode (der „IBT-Methode“) (1) sprechen und entschied mangels transparenter Alternative auf Basis der (alten) Bundesärztekammermethode aus dem Jahr 1987 (Az.: XII ZR 45/06). In seinen beiden Urteilen im Jahr 2011 sprach sich der BGH dann deutlich für das modifizierte Ertragswertverfahren als das bezüglich der Bewertung freiberuflicher Praxen im Rahmen des Zugewinnausgleichs generell vorzugswürdige Verfahren aus (Urteil vom 2. Februar 2011, Az.: XII ZR 185/08 und Urteil vom 9. Februar 2011, Az.: XII ZR 40/09). Dieses Bewertungsverfahren (2) stellt – bei richtiger Anwendung und Bemessung der einzelnen Parameter – die gegenwärtig aktuellste betriebswirtschaftliche Bewertungsmethode zur Ermittlung des Wertes von freiberuflichen Praxen dar. In seinen Urteilen stellt der BGH generell die Notwendigkeit der Verkehrswertermittlung („. . . am Markt erzielbar . . .“) heraus und setzt diesbezüglich ein deutliches Zeichen auch für Praxisbewertungen außerhalb des Zugewinnausgleichs, wo es weitgehend um die korrekte Ermittlung des Verkehrswertes geht (BGH, Urteil vom 9. Februar 2011, Az.: XII ZR 40/09) (3). Nachfolgend hatte das Bundessozialgericht (BSG) ebenfalls zur Bewertungsmethodik einer Arztpraxis (Psychotherapeutenpraxis) Stellung zu nehmen und stellte in seiner Entscheidung vom 14. Dezember 2011 (Az.: B 6 KA 39/10 R) unter Einbeziehung der Rechtsprechung des BGH vom 9. Februar 2011 ebenfalls das modifizierte Ertragswertverfahren als für die Bewertung von Arzt- und Zahnarztpraxen grundsätzlich geeignet dar.
Der Bewertungszeitpunkt
Es ist folglich zwingend, dass die Bewertungsmethode den zum Bewertungszeitpunkt vorherrschenden Marktgegebenheiten Rechnung zu tragen hat. So würden nach Auffassung des BGH in seiner Entscheidung vom 2. Februar 2011 bei Anwendung einer Umsatzmethode in erster Linie Entscheidungswerte ermittelt, etwa Preisobergrenzen für einen potenziellen Erwerber oder Untergrenzen für einen möglichen Verkäufer. Insofern finde das Umsatzwertverfahren als Praktikerverfahren insbesondere bei der Praxisübertragung unter Lebenden Anwendung. Ziel sei dabei nicht die Ermittlung eines konkreten, richtigen Wertes, sondern einer Verhandlungsbasis.
Diese Vorgehensweise unterstreicht der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 9. Februar 2011, in der er eine Unternehmensbewertungsmethodik, welche den immateriellen Wert einer freiberuflichen Praxis (hier der einer Zahnarztpraxis) allein auf Basis der Umsatzerlöse berechnet, vollständig abgelehnt, da die reine Umsatz- und/oder Vergangenheitsbezogenheit weder Rückschlüsse auf die Kostenbelastung noch auf die tatsächlich zu erwartenden Gewinne zulässt. Es ist der vom Bundesgerichtshof in gefestigter Rechtsprechung geforderte Verkehrswertansatz zwingend.
In Abweichung zu gewerblichen Unternehmen, denen eine deutlich höhere Eigenständigkeit beziehungsweise Unabhängigkeit von handelnden Personen unterstellt werden kann, ermittelt sich der Ertragswert einer Arztpraxis als Barwert der Nettoüberschüsse über einen gewissen Betrachtungszeitraum, den sogenannten Ergebniszeitraum (4).
Individuelle Verhältnisse
Nach aktueller BGH-Rechtsprechung (9. Februar 2011) werden die Nettoüberschüsse (5) aus dem prognostizierten Jahresumsatz abzüglich prognostizierter tatsächlicher und kalkulatorischer Kosten (beispielsweise individueller Unternehmerlohn) errechnet. Im Rahmen des güterrechtlichen Ausgleichs ist der Wert einer freiberuflichen Praxis so zu bestimmen, inwieweit dieser zum Bewertungsstichtag auch nachhaltig vorhanden war, das heißt, es ist nur der Wert zu erfassen, der sich in der bis dahin aufgebauten und auch vorhandenen Nutzungsmöglichkeit niederschlägt.
Insbesondere ist ein Unternehmerlohn in Abzug zu bringen, welcher die individuellen Verhältnisse des Inhabers widerspiegelt. Nur auf diese Weise kann der auf den derzeitigen Praxisinhaber bezogene Wert ausgeschieden werden, der auf dessen persönlichem Einsatz beruht und nicht auf einen Übernehmer übertragbar ist. Der Abzug eines pauschal angesetzten Unternehmerlohns würde das Maß des individuellen Einsatzes des Inhabers bei der Erzielung der Erträge nicht im gebotenen Umfang berücksichtigen – somit wäre auch eine individuelle Verkehrswertermittlung nicht möglich.
Die Zukunftsprognose
Im modifizierten Ertragswertverfahren wird der Ergebniszeitraum – anders als beim Ertragswertverfahren in seiner Grundform (6) – zeitlich begrenzt, ebenso findet in diesem Bewertungsverfahren auch der zum Bewertungsstichtag vorhandene Substanzwert Berücksichtigung (7). Es wird durch die Modifizierung somit deutlich der Tatsache der freiberuflichen Tätigkeit Rechnung getragen.
Eine Zukunftsprognose sowie der Einbezug der volkswirtschaftlichen und wettbewerblichen Basisdaten werden durch das Urteil des BGH vom 9. Februar 2011 wichtiger denn je. So stimmte der BGH dem Gutachten des Autors vollumfänglich zu und fordert in seinem Urteil die „Berücksichtigung des Standortes, Art und Zusammensetzung des Patientenstamms, der Konkurrenzsituation und ähnliche Faktoren“. Dabei reflektierte der BGH das zugrundeliegende Bewertungsgutachten und stütze sich auf die im Gutachten ausführlich dargestellten und gewürdigten volkswirtschaftlichen Daten und Fakten zum Standort. An dieser Stelle sei hier exemplarisch die Standortthematik in ländlichen Räumen und hierzu gegensätzlich von Ballungsgebieten/Großstädten genannt. Es wird somit deutlich, dass Bewertungsmethoden mit starren Multiplikatoren keine brauchbaren und marktgängigen Verkehrswerte mehr liefern können (8).
Ebenso wurde vom BGH wiederum die Berücksichtigung der latenten Ertragssteuern hervorgehoben, da bei Bewertungen im Rahmen des Zugewinnausgleichs ansonsten eine Güterverteilung unter Nettogesichtspunkten nicht möglich ist. Diese folgt aus der Prämisse der Verwertbarkeit und ist somit eine Konsequenz der Bewertungsmethode, „soweit der Wert danach ermittelt wird, was im Falle einer Veräußerung aus dem Substanzwert und dem Goodwill der freiberuflichen Praxis zu erzielen wäre, darf auch nicht außer Betracht bleiben, dass wegen der damit verbundenen Auflösung der stillen Reserven dem Verkäufer wirtschaftlich nur der um die fraglichen Steuern verminderte Erlös verbleibt. Insoweit handelt es sich um unvermeidbare Veräußerungskosten“.
Es ist zusammenfassend festzustellen, dass die Bewertungssystematik den zum Bewertungszeitpunkt vorherrschenden Aspekten im Rahmen der Verkehrswertbetrachtung gerecht werden muss. Gerade heute hat die Wertermittlung einer freiberuflichen Praxis die Rahmenbedingungen am Bewertungsstichtag und prognostizierend für die Zukunft zu erfassen und zu würdigen. Diese Zukunftsprognose als auch eine detaillierte und umfassende Standortanalyse sind integrale Bestandteile des modifizierten Ertragswertverfahrens und für eine qualifizierte Wertermittlung von Freiberuflerpraxen unerlässlich. Nur hierdurch kann sichergestellt werden, dass auch die sich permanent ändernden strukturellen Entwicklungsmöglichkeiten und Einflüsse eine ausreichende Würdigung erfahren.
Trittbrettfahrer erkennen
Diese Auffassung unterstreicht nunmehr nach dem Bundesgerichtshof mit Urteil vom 9. Februar 2011 auch das Bundessozialgericht in einer Entscheidung vom 14. Dezember 2011. Beide Bundesgerichte sprechen sich im Rahmen von Praxiswertermittlungen bei Arztpraxen deutlich für das modifizierte Ertragswertverfahren als geeignetes Praxisbewertungsverfahren aus und zeigen die Schranken weiterer Bewertungsmethoden auf. Allerdings bleibt noch anzumerken, dass nicht jedes sogenannte modifizierte Ertragswertverfahren auch den Anforderungen von BGH und BSG gerecht wird. Es wird oft die so wichtige Standortfrage gar nicht oder nur unzureichend gewürdigt und einem Bewertungsverfahren lediglich das Mäntelchen „Modifiziertes Ertragswertverfahren“ – weil es durch den BGH und das BSG als geeignet angesehen wird – umgehängt. Hier gilt es in Zukunft verstärkt das Augenmerk darauf zu legen, dass man auch solche „Trittbrettfahrer“ erkennt und realisiert, dass nicht überall, wo „Modifiziertes Ertragswertverfahren“ draufsteht, dieses auch drin ist.
Dipl.-Kfm. Frank Boos, Peffer & Boos, Sachverständigenbüro Gesundheitswesen, Rastatt
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