POLITIK
Gesundheitsschäden durch Kohlekraftwerke: Neue Studie befeuert Debatte


Schadstoffe aus Kohlekraftwerken machen krank. Die Folgekosten für Gesundheitswesen und Volkswirtschaft betragen in Deutschland bis zu 6,4 Milliarden Euro pro Jahr. Das hat die Health and Environment Alliance errechnet.
Die Diskussion über die Gesundheitsgefahren durch Kohlekraftwerke geht weiter. Nachdem Greenpeace kürzlich vor etwa 3 100 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr in Deutschland gewarnt hatte, ist nun erneut eine Studie zum Thema vorgelegt worden. Demnach verursachen deutsche Kohlekraftwerke Gesundheitsschäden mit Folgekosten von 2,3 bis 6,4 Milliarden Euro jährlich. Verantwortlich dafür ist der Ausstoß von Schwefeldioxid, Stickoxiden und Feinstaub. Die Folge sind Atemwegsleiden und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Bericht „Was Kohlestrom wirklich kostet“ entstand im Auftrag der Health and Environment Alliance (HEAL). Es handelt sich um einen Zusammenschluss von etwa 70 Nichtregierungsorganisationen auf EU-Ebene.
„Der HEAL-Bericht stellt klar, dass neben den Emissionen des Straßenverkehrs die Kohlekraftwerke maßgeblich an der Luftverschmutzung beteiligt sind“, erläuterte Dr. Joachim Heinrich, Helmholtz-Zentrum München, Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, bei der Vorstellung der Ergebnisse in Berlin. Europaweit sind Kohlekraftwerke der Untersuchung zufolge für Kosten von 15,5 bis 42,8 Milliarden Euro verantwortlich. Die Spannbreite ergibt sich durch unterschiedliche Definitionen von Sterblichkeit. Die Summen errechnen sich unter anderem aus Behandlungskosten, krankheitsbedingten Fehltagen bei Erwerbstätigen, verlorenen Lebensjahren beziehungsweise vorzeitigen Todesfällen. Die HEAL-Studie geht von jährlich etwa 2 700 vorzeitigen Todesfällen durch Kohlekraftwerke in Deutschland aus.
Berechnungen auch unter Experten umstritten
Modellrechnungen wie in den Studien von Greenpeace und HEAL sind umstritten. „Aus meiner Sicht stehen wir bei der Forschung zum Thema Feinstaub noch am Anfang – gerade bei den ultrafeinen Partikeln. In dieser Situation über die Zahl vorzeitiger Todesfälle zu sprechen, halte ich für spekulativ und wenig wissenschaftlich“, hatte Prof. Dr. med. Tobias Welte, Medizinische Hochschule Hannover, dem Deutschen Ärzteblatt bereits in Bezug auf die Greenpeace-Studie gesagt.
Dass Feinstaub grundsätzlich ein Schädigungspotenzial hat, ist unstrittig. Er triggert Entzündungsreaktionen. Je kleiner die Partikel sind, desto weiter dringen sie ins bronchopulmonale System vor. Die ultrafeinen Partikel können die Alveolen passieren und in den Blutkreislauf gelangen. In den Gefäßen lagern sie sich in Thromben ein oder aktivieren gefäßständige Zellen. Experimentell wurde außerdem nachgewiesen, dass ultrafeine Partikel die Blut-Hirn-Schranke überwinden können.
Die Autoren der HEAL-Studie fordern schärfere Grenzwerte. Die USA und sogar China hätten strengere Standards. Bei der EU-Richtlinie zu Industrieemissionen, die 2016 in Kraft tritt, müssten zudem Ausnahmen für bestehende Anlagen beseitigt werden. Ein europäischer Ausstieg aus der Kohleverstromung sei bis 2040 möglich und ein wichtiger Beitrag zu besserer Luftqualität und Klimaschutz.
Die Kraftwerkbetreiber reagierten mit Kritik. Kohlekraftwerke seien nur für einen geringen Teil des Feinstaubs verantwortlich. Tatsächlich liegt der Anteil bei sechs Prozent, wie das Umweltbundesamt bestätigte. Größere Verursacher sind Verkehr, Industrie und Landwirtschaft mit je circa 20 Prozent.
Die HEAL-Untersuchung hat unterdessen viele Unterstützer. So wird in der Studie Birgit Beger, Generalsekretärin des Ständigen Ausschusses Europäischer Ärzte, zitiert. „Die europäischen Ärzte wissen, dass Luftverschmutzung ein großes Risiko für die Gesundheit ist“, so Beger. Die Ärzteschaft engagiere sich dafür, über neue evidenzbasierte Erkenntnisse zu informieren und nutze ihren Einfluss, um politische Veränderungen zu bewirken.
Dr. med. Birgit Hibbeler
@Die HEAL-Studie im Internet:
www.aerzteblatt.de/13867
Giesen, Viktor
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