POLITIK: Leitartikel
Bayerischer Ärztetag – Der Arzt: Verantwortlich, aber zunehmend fremdbestimmt


das bereits jetzt zutrifft und was noch alles kommen könnte, diskutierten die Delegierten des 51. Bayerischen Ärztetages in Bayreuth. Knapp zwei Wochen nach der Bundestagswahl fand der 51. Bayerische Ärztetag vom 9. bis 11. Oktober in der oberfränkischen Wagner-Stadt Bayreuth statt - und die bayerische Gesundheitsministerin und inzwischen auch stellvertretende Ministerpräsidentin Barbara Stamm nutzte die Gelegenheit, der Ärzteschaft ihre volle Unterstützung gegen alle drohenden Gefahren aus einer rot-grünen Koalition zuzusichern. Im übrigen versicherten sich die CSU-Politikerin und der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, Dr. Hans Hege, gegenseitig, daß beide Seiten schon immer eine gute konstruktive Zusammenarbeit und ein partnerschaftliches Miteinander pflegen. Die häufig zu hörende Feststellung, daß in Bayern die Uhren "anders" tickten, wollte sie so interpretieren, daß im Freistaat die Uhren "richtig" gehen. Was immer die neue Koalition in Bonn in der Gesundheitspolitik unternehme, meinte Stamm: "Auch sie wird keine Kaninchen aus dem Hut zaubern können, um die anstehenden Fragen im Gesundheitswesen zu lösen. Vielmehr steht zu befürchten, daß alte Kamellen neu aufgelegt werden." Zu den "alten Kamellen" rechnete sie unter anderem Pläne, die Beitragsbemessungsgrenze in der Gesetzlichen Krankenversicherung auf das Niveau der Rentenversicherung anzuheben, ein Globalbudget festzuzurren, ein Einkaufsmodell und ein Primärarztsystem einführen zu wollen. Besonders gegen das Einkaufsmodell nahm sie Stellung: "Wir werden nicht zulassen - und da können Sie jedenfalls für Bayern sicher sein - , daß der Hälfte der freien Ärzteschaft der Todesstoß versetzt wird und nur die Ärzte ,herausgekauft' werden, die sich aus finanzieller Not oder Existenzangst nicht vertretbaren Konditionen unterwerfen müssen." Die Ministerin kritisierte, daß die Entwicklung im Gesundheitswesen derzeit zu einseitig aus fiskalischen Gesichtspunkten gesehen werde. Zwar sei aus volkswirtschaftlichen Gründen Beitragssatzstabilität unverzichtbar, doch dürfe man nicht außer acht lassen, daß das Gesundheitswesen einen enormen Wachstumsmarkt darstelle. Zwischen Freiberuflichkeit und "Kassenarzt-Amt"
Das bekräftigte bei der Diskussion zum Ärztetags-Thema "Der Arzt zwischen Selbstverantwortung und Fremdbestimmung" auch der Bayreuther Gesundheitsökonom Prof. Peter Oberender: Eine Milliarde DM mehr Ausgaben im Gesundheitswesen schaffe zirka 10 000 neue Arbeitsplätze. Er kritisierte die zunehmende Einbindung des Arztes in das öffentlich-rechtliche Gesundheitssystem. Der Arzt schwebe zwischen Freiberuflichkeit und "Kassenarzt-Amt". Geradezu tragisch nannte Oberender es, daß die Ärzte unter den heutigen Bedingungen so schlecht verdienen: "Der Gewinn und das, was einem Freude macht - das ist das Elixier." Der Arzt müsse ein (auch finanzielles) Interesse daran haben, daß die Patienten gesund sind, und nicht an deren Krankheit. Zwar existiere eine rechtliche Selbständigkeit des Arztes, stellte Oberender fest, doch gleichzeitig sei er weisungsgebunden. In wirtschaftlichen und fachlichen Entscheidungen werde er häufig fremdbestimmt durch die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Sozialpartner sowie durch die Politik. Und auch durch die Rechtsprechung, fügte der Bayreuther Staatsrechtler Prof. Wolfgang Gitter hinzu. Angesichts einer immer weitergehenden "Verrechtlichung" der Medizin müsse man sich fragen, ob der rechtliche Rahmen für den Arzt nicht zu eng gezogen sei. Gitter ging auf die vom Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Dr. h. c. Karsten Vilmar, als "Demenz-Urteil" bezeichnete Feststellung des Bundesverfassungsgerichts ein, wonach Vertragsärzte ab dem 68. Lebensjahr eine Gefährdung für die Versicherten darstellten, weil sie nicht mehr voll leistungsfähig wären. "Diese Argumentation erscheint mir im Hinblick auf die älteren und damit vielfach besonders erfahrenen Ärzte problematisch."
Die vertragsärztliche Tätigkeit wird durch eine Fülle von Vorschriften des Krankenversicherungsrechts, durch Verträge zwischen den Verbänden und durch Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen "fremdbestimmt". Beispielhaft nannte er die Regelungen im § 135 SGB V, wonach neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden so lange ausgeschlossen sind, bis sie vom Bundesausschuß in Richtlinien als zweckmäßig anerkannt sind. Über die Zulässigkeit einer derartigen Rechtssetzungsbefugnis des Bundesausschusses, meinte Gitter vorsichtig, werde sicher noch weiter diskutiert werden. Der Jurist zitierte eine Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 17. September 1997, in der dem Vertragsarzt zugestanden wurde, beim Erbringen bestimmter Leistungen abzuwägen, ob diese "im Hinblick auf die vorhandene beziehungsweise erreichbare Zusammensetzung der Patientenschaft sowie unter Berücksichtigung der anfallenden Kosten und der erzielbaren Einnahmen wirtschaftlich erbracht werden können". Manche haben das so interpretiert, daß dem Vertragsarzt ein Leistungsverweigerungsrecht zustehe, wenn ihm die Punktzahl, insbesondere der Punktwert eine wirtschaftliche Leistungserbringung nicht mehr gestatten. "Ich habe Zweifel, ob das Gericht eine derartige pauschale Feststellung treffen wollte." Immerhin aber sah Gitter darin eine bedeutsame Einschränkung der Fremdbestimmung ärztlicher Leistungspflicht. Neuer Spielraum durch Modellvorhaben
Eine weitere Auflockerung der Fremdbestimmung ist durch die Modellvorhaben nach § 64 SGB V möglich, der den Vertragsärzten ein weites Feld selbstverantwortlicher Vertragsgestaltung einräume. Soweit allerdings die ärztliche Behandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung betroffen ist, muß die Kassenärztliche Vereinigung zustimmen. Wenn vielen das nicht weit genug gehe und sie forderten, der einzelne Arzt solle im Sinne der Wettbewerbsfreiheit mit den Krankenkassen Verträge ohne die KV abschließen, so stärke das zwar die selbstverantwortliche Tätigkeit des Arztes, fügte Gitter hinzu, doch sei zu befürchten, daß sich der Arzt dann in eine größere Abhängigkeit zu den Kassen begeben würde, was letztlich wieder zu einer Fremdbestimmung führe. Der Präsident der Bundesärztekammer nannte es fraglich, ob die Vorschrift der Berufsordnung, wonach der Arzt hinsichtlich seiner ärztlichen Entscheidungen keine Weisungen von Nichtärzten entgegennehmen dürfe, überhaupt noch einzuhalten sei. Schon heute seien weder Freiberufler noch Angestellte in ihren beruflichen Entscheidungen völlig frei und nur dem Patienten verpflichtet. Möglicherweise seien sie dies künftig noch weniger, wenn andere wie sogenannte "Gesundheitsregionalkonferenzen" oder die Krankenkassen über den Leistungsumfang und die ärztliche Arbeit mitbestimmen sollten. Die Fremdbestimmung der Patient-Arzt-Beziehung könnte sich nach seinen Worten durch Einschränkungen der freien Arztwahl, durch Zulassungsbeschränkungen und Entzug der Zulassung ab 68 Jahren sowie die Etablierung von Einkaufsmodellen weiter verstärken. Einkaufsmodelle mit Auswahl der Leistungserbringer und des Leistungskatalogs ausschließlich durch die Krankenkassen würden geradezu zu einer Leibeigenschaft des Patienten führen, aber auch den Arzt zu einem Erfüllungsgehilfen der Krankenkassen machen. Seine Arbeit wäre damit erheblich beeinträchtigt. "Die Verantwortung dagegen, insbesondere in strafrechtlicher Hinsicht, wird ihm niemand abnehmen wollen. Die bleibt beim Arzt." Eine Fremdbestimmung ganz anderer Art will der Bayerische Ärztetag jetzt durch einen Beschluß abwehren, in dem er den Vorstand der Bayerischen Landesärztekammer auffordert, ein Konzept für eine PatientenInformation zu erarbeiten. Dieses soll sowohl der Berufsordnung als auch den Erwartungen der Patienten an eine qualifizierte Information über das Leistungsangebot der Ärzte entsprechen. Hintergrund sind Vergleichslisten über Ärzte und Krankenhäuser, wie sie die Zeitschrift Focus veröffentlicht hat, und erst jüngst die aggressive Werbung des Privatunternehmens ArztPartner GmbH, das Privatversicherten spezielle Auskünfte über ihr angeschlossene Ärzte gibt. Kammer will Ärzte und Patienten selbst informieren
Kammerpräsident Hege kritisierte, daß sich das Unternehmen nicht an die vereinbarten Regeln für eine zulässige Information gehalten habe. In dem Ärztetags-Beschluß wird den privatwirtschaftlich orientierten PatientenInformationssystemen vorgehalten, daß sie den Anforderungen an die von den kranken Menschen erhofften Informationen in aller Regel nicht gerecht werden und daß sie auf der anderen Seite massiv in den Wettbewerb zwischen den Ärzten eingreifen. Dieses Manko soll durch einen kammereigenen Informationsdienst behoben werden, der nicht nur Patienten, sondern auch Ärzten zur Verfügung steht. Die Kammer wird aufgefordert, Chancengleichheit unter Ärzten auf der Basis der Berufsordnung zu gewährleisten. Gegen Institutionen, die diese Grundsätze nicht beachten, soll zivilrechtlich nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vorgegangen werden. Klaus Schmidt