MEDIZIN: Die Übersicht
Malaria - Immer wieder Todesfälle infolge verspäteter Diagnose
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Schlüsselwörter: Malaria, Malariatodesfälle, Fehldiagnose der Malaria, Differentialdiagnose der Malaria, unspezifische Malariasymptome Recurrent Fatal Outcome of Malaria Infections due to Late Diagnosis The main reasons for fatal outcomes of malaria infections are misjudgement of typical symptoms and the dismissal of indicative facts in the case history. It is most important and often life-saving to take malaria into consideration, even if there is only a faint suspicion of the disease, and then to proceed immediately with diagnostic procedures and adequate therapy.
Key words: Malaria, fatal outcome of malaria, wrong diagnosis of malaria, differential diagnosis of malaria, non-specific symptoms of malaria
Die Malaria, insbesondere die Malaria tropica, ist regelmäßig Gegenstand von Publikationen, die sich zum
Beispiel mit Aspekten wie Prophylaxe, Impfstoffentwicklung, Epidemiologie, Diagnosestellung und Therapie
befassen. Die wesentlichen Aspekte von Diagnosestellung und Therapie stellen Basiswissen dar, welches in der
studentischen Ausbildung detailliert gelehrt und in der ärztlichen Fortbildung ständig aufgefrischt wird (3, 4, 6,
7, 8). Immer wieder ist dabei hervorgehoben worden, daß die Malaria differentialdiagnostisch abgeklärt werden
muß, wenn unklare beziehungsweise unspezifische Allgemeinsymptome nach einer Auslandsreise in ein
Endemiegebiet auftreten. Die Diagnostik muß unverzüglich (das heißt sofort) eingeleitet werden, um danach
auch schnellstmöglich mit der Therapie zu beginnen.
Die aktuelle Bedeutung der Malaria im Zusammenhang mit den Fernreisen deutscher Touristen zu Weihnachten
und zum Jahreswechsel wurde erneut dadurch sehr deutlich, daß allein im Januar dieses Jahres 30
Malariainfektionen in der Klinik des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin zu behandeln waren (alle 30
Patienten überlebten).
Auch für Gesamtdeutschland wurde vom Berliner Robert-Koch-Institut ein starker Anstieg der
Malariainfektionen (108 Fälle innerhalb des Monates Januar 1998 gegenüber 54 Fällen innerhalb des Monates
Januar 1997) mitgeteilt. Ein besonders hohes Infektionsrisiko besteht demnach für Kenia-Reisende. Das RobertKoch-Institut weist nachdrücklich auf die notwendige Expositionsprophylaxe, Chemoprophylaxe und
Differentialdiagnostik bei Reiserückkehrern hin. Kurzinformationen zu den vier Todesfällen, zu denen wir
konsiliarisch hinzugezogen wurden, ergeben sich aus der Tabelle.
Der Versuch einer Schwachstellenanalyse macht einige immer wieder auftretende Probleme und Fehler auf
seiten der behandelnden Ärzte deutlich.
Fehler und Probleme bei Diagnosestellung und Therapie
Auf ärztlicher Seite lassen sich folgende Fehler und Probleme feststellen:
1Nicht daran denken
1Unzureichende Anamneseerhebung
1Fehlende Kenntnis der Endemiegebiete
1Nicht daran glauben
1Nicht "ernst nehmen"
1Fehl-, Überbewertung der Prophylaxe
1Überbewertung des bei Malaria tropica in der Regel fehlenden Symptoms des periodischen Fiebers
1Fehleinschätzung der Symptomatik ("Grippe", "Gastroenteritis" und andere Fehldiagnosen)
1Zaudern bei der Diagnostik
1Irrelevante Diagnostik (zum Beispiel Antikörpersuche statt eines direkten Parasitennachweises im dicken
Tropfen)
1Unterschätzung der Lebensgefährlichkeit der Erkrankung
1Zu späte Krankenhauseinweisung
1Insuffiziente Therapie (betreffend Chemotherapie und supportive Therapie)
Auf seiten der Patienten sieht man folgende Fehler:
1Unzureichende Vorbereitung auf Tropenreisen
1Fehlende Prophylaxe
1Falsche Prophylaxe (zum Beispiel homöopathisch)
1Abbruch der Prophylaxe
1Zu später Arztbesuch
1Keine Erwähnung der Tropenreise
Fehler und Probleme bei der Diagnose und Therapie von Malariaerkrankungen werden in der Übersichtsarbeit
von Fleischer et al. (4) nachhaltig angesprochen: "Eine schwere, lebensbedrohliche Malaria-Erkrankung ist in
der Regel die Folge einer zu spät einsetzenden Therapie, oft auf dem Boden einer verzögerten Diagnose." Und
weiter: "Voraussetzung für die Diagnose ist das daran Denken . . . Malariaverdacht besteht bei jeder unklaren
Erkrankung, insbesondere in Kombination mit Fieber und Aufenthalt in einem Malariaendemiegebiet." Ganz
ähnlich formuliert es Dietrich (3): "Jährlich sterben in der Bundesrepublik Deutschland Patienten an
eingeschleppter Malaria, weil die Diagnose zu spät gestellt wurde, weil die erforderlichen medikamentösen
Behandlungen unzureichend durchgeführt wurden und weil die supportive Therapie nicht korrekt angewendet
wurde."
Standards von Diagnostik und Therapie
Angesichts der breiten Darstellung der Problematik in der Ausbildung und Fortbildung kann es heute keinen
Zweifel daran geben, daß der (Not-)Arzt über das Wesen der Malaria-Erkrankung Bescheid wissen und
allgemein bekannte Standards bei Prophylaxe, Diagnose und Therapie beachten muß. Wird trotz entsprechender
Symptomatik und Vorgeschichte eine Malariadiagnostik nicht unverzüglich (sofort!) eingeleitet, so ist dies als
Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht zu werten (Darstellung der rechtsmedizinischen beziehungsweise
juristischen Aspekte bei Lockemann et al., 6).
Details zur Prophylaxe sind beispielsweise den jährlich herausgegebenen Empfehlungen der Deutschen
Gesellschaft für Tropenmedizin zu entnehmen. In einer Untersuchung von 3 434 Tropenreisenden fand
Nothdurft (8) heraus, daß 47 Prozent der Reisenden keinerlei Malaria-Chemoprophylaxe eingenommen hatten,
acht Prozent beschränkten sich auf die Mitnahme einer Notfallmedikation. Nur drei Prozent hatten eine dem
Reiseland adäquate Chemoprophylaxe durchgeführt (8). Festzuhalten ist, daß auch bei regelmäßig vor, während
und nach der Reise mit der empfohlenen Medikation durchgeführter Malariaprophylaxe eine Malariainfektion
nicht ausgeschlossen ist. Dies hängt unter anderem mit der zunehmenden Resistenz-Entwicklung der Plasmodien
zusammen.
Auf eine detaillierte Darstellung der verschiedenen klinischen Formen und des Verlaufs der Malaria wird hier
verzichtet. Das klinische Bild ist sehr variabel und kann vielen anderen Erkrankungen ähneln, insbesondere
unspezifischen Virusinfektionen ("Grippe").
Leitzeichen ist das Fieber; bei der gefährlichen Malaria tropica kommt es allerdings zu keinem rhythmischen
Anstieg der Körpertemperatur. Berichtet wird häufig über Kopf-, Rücken- und Gliederschmerzen, seltener auch
über gastrointestinale Symptome. Schwere Verlaufsformen sind gekennzeichnet durch hohes Fieber (welches
jedoch auch vollständig fehlen kann!), Verwirrtheit, Stupor, Koma, Tachypnoe, Dyspnoe, Tachykardie,
Hypotonie, Oligurie, Anurie, Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts, Lungenödem, Anämie, Gerinnungsstörungen, Ikterus, Durchfallsymptome. Die Malaria tropica ist insbesondere deswegen
gefährlich, da innerhalb von wenigen Tagen nach Beginn der klinischen Symptome ohne geeignete Behandlung
schwere, irreversible Organschädigungen mit Todesfolge auftreten können. Mehrere konkurrierende
lebensbedrohliche Komplikationen führen zu einem teilweise protrahierten Schock (5). Die zerebrale
Verlaufsform kann innerhalb weniger Stunden letal verlaufen.
Jede grippeähnliche Symptomatik nach einer Tropenreise hat ohne Zeitverzögerung als dringend
abklärungsbedürftig bezüglich einer Malaria zu gelten. Wie der Fall einer 67jährigen Frau aus Südhessen zeigt,
welche ohne Auslandsaufenthalt an einer schweren Malaria tropica erkrankte, muß eine Malaria bei
entsprechenden Krankheitssymptomen ausnahmsweise auch ohne Reiseanamnese in die
differentialdiagnostischen Überlegungen miteinbezogen werden (8). Der Übertragungsweg ist in dem genannten
Fall noch immer nicht aufgeklärt, diskutiert wird nach Ausschluß vorangegangener Bluttransfusionen oder einer
Organtransplantation der unabsichtliche Import einer Anopheles-Mücke im Reisegepäck von Urlaubern
(sogenannte "baggage malaria") beziehungsweise die Freisetzung von Mücken aus den Radkästen des
Fahrgestells von Flugzeugen (die Frau wohnte in der Einflugschneise eines Flughafens), sogenannte "airport
malaria".
Die Diagnose und Differenzierung einer akuten Malaria geschieht allein durch den Parasitennachweis.
Mißverständlich sind Formulierungen in Lehrbüchern (2), wo es heißt, daß "entscheidend für die
parasitologische Diagnose die Blutentnahme zum Zeitpunkt des Fieberanstiegs" sei. Der Parasitennachweis ist
am einfachsten durchzuführen im sogenannten "dicken Tropfen" (Anreicherungsverfahren) mit einer
panoptischen Schnellfärbung oder einer Giemsa-Färbung. Zur Differenzierung der Plasmodienspezies sowie zur
Parasitenzählung dient der Blutausstrich. Der direkte Erregernachweis ist auch mittels Immunfluoreszenz durch
Akridin-Orange möglich. Der zur Zeit angebotene Schnelltest ist nicht verläßlich, da falsch negative Befunde
auftreten können. Bei entsprechender Vorgeschichte (Rückkehr von einer Tropenreise) erlaubt die Diagnostik
keinen Aufschub (etwa Abwarten bis zum nächsten Tag, übers Wochenende, bis der Hausarzt wieder zur
Verfügung steht, oder Abwarten, weil der Patient zögert). Ein Verschicken der Blutprobe (EDTA- oder
Zitratblut) per Post kommt keineswegs in Betracht; vielmehr ist unverzüglich (per Fahrdienst beziehungsweise
Taxi) das Überbringen des Untersuchungsmaterials in das nächste Labor erforderlich, in dem ein 24-StundenDienst geleistet wird. Dieses Labor sollte über nachgewiesene Erfahrungen in der Malariadiagnostik verfügen.
Ein einmalig negativer Ausstrich schließt eine Malaria keineswegs aus. Bei fortbestehendem Verdacht sind
deshalb regelmäßige Wiederholungsunterschungen in sechsstündigen Abständen durchzuführen.
Malaria-Antikörper sind für die Einschätzung der akuten Erkrankung diagnostisch bedeutungslos; sie werden
frühestens eine Woche nach Beginn der klinischen Anzeichen nachweisbar. Dann kann die Erkrankung aber
bereits in ein kritisches Stadium übergegangen sein. Die Antikörper-Bestimmung als alleiniges Kriterium für die
Diagnose einer akuten Malaria wäre fehlerhaft. Ein positiver Antikörpertest kann auch früher durchgemachte
Krankheiten anzeigen und hat deshalb für die aktuelle Situation keine Bedeutung. PCR-abhängige DNANachweismethoden sind derzeit nicht routinemäßig für die Diagnose einer akuten Malaria einsetzbar.
Zur Malariatherapie ist folgendes festzuhalten: Da eine allen Situationen gerecht werdende medikamentöse
Behandlung der Malaria nicht existiert, ist eine differenzierte Vorgehensweise unter Berücksichtigung der
klinischen Situation (sogenannte schwere beziehungsweise komplizierte oder unkomplizierte Malaria) und
Resistenzlage der Parasiten erforderlich. Die Malariabehandlung sollte stets notfallmäßig eingeleitet und unter
klinischen Bedingungen mit konsequenter Verlaufsbeobachtung durchgeführt werden. Tropenmedizinische
Erfahrung ist dazu erforderlich (3, 4). Schwere Verlaufsformen bedürfen intensivmedizinischer Überwachung.
Bei Nichtansprechen der medikamentösen Therapie ist eine mikroskopische Kontrolluntersuchung zur
Feststellung des Parasitämiegrades notwendig, um rechtzeitig mögliche resistente Stämme erkennen zu können.
Neben der antiparasitären Chemotherapie ist im klinischen Management insbesondere auch die supportive
Therapie (beispielsweise durch Dialyse, Austauschtransfusion, kontrollierte Beatmung und gegebenenfalls
experimentelle Therapieansätze wie Zytokinelimination mittels Plasmapherese) zu beachten, die neben einer
Antipyrexie insbesondere eine korrekte Flüssigkeitsbilanzierung (Null- oder Negativbilanz) mit Kontrolle des
zentralen Venendrucks anstreben muß. In Fällen komplizierter Malaria tropica sollten der Hydratationszustand
des Patienten und die myokardiale Pumpfunktion mittels eines pulmonal-arteriellen Katheters kontinuierlich
überwacht werden. Mikrozirkulationsstörungen im Bereich der Alveolarwand können sonst leicht ein schwer
beherrschbares interstitielles Lungenödem hervorrufen.
Häufigste Fehler in der supportiven Therapie sind die Überwässerung sowie die in kontrollierten Studien nicht
bewährten Gaben von Kortikosteroiden und Heparin zur Behandlung von vermuteter intravasaler Gerinnung und
Hirnödem.
Zunehmend häufig wird - unter Berücksichtigung der diesbezüglich sehr breiten Literatur völlig zu Recht - von
den Angehörigen Verstorbener sowie auch seitens der Justiz die Frage gestellt, ob der behandelnde Arzt eine
Malaria hätte rechtzeitig erkennen können und müssen. Es ist bei der forensischen Bewertung von Malariatodesfällen sowohl unter zivil- als auch unter strafrechtlichen Aspekten bereits wiederholt zur Verurteilung von
Ärzten gekommen (5), die infolge verzögerter Diagnosestellung die lebensrettende Therapie nicht rechtzeitig
eingeleitet haben. Zu erheblichen juristischen Konsequenzen haben auch falsche Empfehlungen im Hinblick auf
eine suffiziente Malaria-prophylaxe geführt. Bei kritischer Bewertung der ärztlichen Behandlung ist stets zu
bedenken, daß bei verspäteter Diagnosestellung (zum Beispiel Therapiebeginn erst nach dem vierten Tag bei
schwerer Allgemeinsymptomatik) mit bereits erfolgter zerebraler Manifestation der Malaria beziehungsweise
mit einem ARDS auch eine optimale Therapie unter Umständen erfolglos bleiben muß (1).
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1998; 95: A-2697-2700
[Heft 43]
Literatur
1. Blumberg L, Lee RP, Lipman J, Beards S: Predictors of mortality in severe malaria: a two-year experience in
a non-endemic area. Anaesth Intens Care 1996; 24: 217-223.
2. Diesfeld HJ: Tropische und kosmopolitisch-parasitäre Erkrankungen. In: Schettler G, Greten H: Innere
Medizin. Thieme, 1990; 618-665.
3. Dietrich M: Malaria. In: Heller A: Der
Arzt im Notfalldienst. Stuttgart, New York: Schattauer, 1993; 400-408.
4. Fleischer K: Therapie der Malaria. Dt Ärztebl 1995; 92: A-201-210 [Heft 4].
5. Horstmann RD, Ehrich JHH, Beck J, Dietrich M: Letale Komplikationen der Malaria tropica bei
Nichtimmunen. DMW 1985; 110: 1651-1656.
6. Lockemann U, Püschel K, Hildebrand E et al.: Rechtsmedizinische Aspekte von Malaria-Todesfällen. Münch
Med Wschr 1994; 136: 80-84.
7. Maiwald H: Neue Aspekte bei der Malaria-Epidemiologie, Prophylaxe und Therapie. Krankenpfl J 1996; 34
(5): 202-205.
8. Nothdurft HD: Eingeschleppte Malaria: Rund 1 000 Fälle pro Jahr. Studien zur Prävention und Epidemiologie
- Chemoprophylaxe mangelhaft, Notfallmedikation korrekt durchgeführt. Fortschr Med 1996; 114 (35-36):
492-493.
9. Robert-Koch-Institut: Epidemiologisches Bulletin 7/98, 8/98, 9/98, 11/98. Eigendruck Robert-Koch-Institut,
Berlin 1998.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Klaus Püschel
Institut für Rechtsmedizin der
Universität Hamburg
Butenfeld 34
22529 Hamburg
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