ArchivMedizin studieren3/2013Chirurgie: Die Königsdisziplin

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Chirurgie: Die Königsdisziplin

Hibbeler, Birgit

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Sie entfernen endoskopisch Gallenblasen, operieren am offenen Bauch und nageln Knochenbrüche. Chirurgen haben ein vielseitiges Aufgabenfeld. Den Erfolg sehen sie sofort: Läuft alles nach Plan, ist die OP die Heilung des Patienten.

Volle Konzentration: Chefarzt Florian Dietl und Assistenzärztin Beate Steinweg im OP. Fotos: Eibner-Pressefoto
Volle Konzentration: Chefarzt Florian Dietl und Assistenzärztin Beate Steinweg im OP. Fotos: Eibner-Pressefoto

Die Bauchdecke leuchtet rötlich. Ein kreisrundes, mandarinengroßes Feld. Genau diese Stelle hat Assistenzärztin Beate Steinweg (41) gerade eben auf der Station mit einem schwarzen Edding auf der Haut des Patienten markiert. Hier war der Bauchwandbruch tastbar und sogar als Vorwölbung sichtbar. Die Bruchpforte ist nun auch von innen, also laparoskopisch, gefunden. Chefarzt Dr. med. Florian Dietl musste sich allerdings ganz schön „durchwühlen“ – durch Darmschlingen und Verwachsungen. Jetzt schimmert das Licht des Endoskops von innen an der richtigen Stelle durch die Haut. Die Hernie, den Bruch, hätte man möglicherweise auch so gefunden, trotzdem dient die Markierung mit dem Edding der Fehlervermeidung. „Das ist Standard und für uns eine Orientierung“, sagt Beate Steinweg. Von außen kann man an der markierten Stelle die Haut eindrücken und sieht dann von innen, wo es sich hineinwölbt.

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Für die Operation schneiden die Chirurgen nicht den Bauch auf. Stattdessen schieben sie durch kleine Löcher in der Bauchwand ihre Instrumente in den Patienten hinein. „Schlüssellochchirurgie“ oder minimal-invasive Chirurgie nennt man das auch. Licht und eine Kamera ermöglichen, dass die Chirurgen auf einem Bildschirm sehen, was sie im Inneren des Bauches tun. „Hier reiht sich wirklich Bruch an Bruch“, erläutert Chefarzt Dietl. Die markierte Stelle ist eigentlich nur die größte, an der die Bauchwand so schwach ist, dass sich Darmschlingen aus dem Bauchraum schieben und sich unter die Hautdecke wölben. Das Netz aus Polyester, das die Chirurgen von innen einsetzen, ist das größte, das sie überhaupt dahaben – 20 mal 25 Zentimeter. Es soll künftig die Bauchdecke verstärken und dafür sorgen, dass die Darmschlingen dort bleiben, wo sie hingehören. Mit einem Gerät, das aussieht wie eine Mischung aus einer Pistole und einem riesigen Anzünder für einen Gasherd, wird das Netz von innen an die Bauchwand „getackert“.

Assistenzärztin Steinweg erinnert sich noch gut an ihre erste Famulatur in der Chirurgie. Damals war sie auch bei einer Hernienoperation dabei. „Da hat die Oberärztin mich gefragt: ‚Verstehen Sie überhaupt, was ich hier mache?‘“. Da habe sie ehrlich mit „Nein“ geantwortet. Die Oberärztin habe aber ganz entspannt reagiert: „Macht nichts. Die ersten 40 habe ich auch nicht verstanden.“ Gute Anatomiekenntnisse braucht ein Chirurg, räumliches Vorstellungsvermögen. Aber es dauert eben eine Zeit und verlangt Erfahrung, bis man die Strukturen wirklich versteht und verinnerlicht. „Man braucht Geduld“, sagt Steinweg. Ihr Tipp: „Das Fach in Famulaturen ausprobieren und feststellen, dass Chirurgie einfach schön ist.“

Der Tag in der chirurgischen Abteilung im St.-Josef-Hospital in Bad Driburg beginnt mit der Frühbesprechung.
Der Tag in der chirurgischen Abteilung im St.-Josef-Hospital in Bad Driburg beginnt mit der Frühbesprechung.

Für Steinweg kommt direkt im Anschluss die nächste Operation: Rückverlegung eines künstlichen Darmausganges (Anus praeter). Den Eingriff darf sie unter Aufsicht des Oberarztes selbst vornehmen. Nun ist es schon Mittag, und Steinweg hat seit Dienstbeginn um 8.45 Uhr noch nichts getrunken. Frühbesprechung, Visite, OP. Es war immer was zu tun. Aufgefallen ist ihr selbst das nicht. „Dass ich wenig trinke, liegt auch an mir“, sagt sie. Sie habe sich irgendwie daran gewöhnt.

Chirurgie – das ist was für harte Kerle. Das könnte man meinen. Zumindest im Fernsehen sind die Ärzte oft Chirurgen. Wenn es Patienten schlecht geht, dann heißt es schnell: „Sofort in den OP.“ Nach dem höchst komplizierten Eingriff mit vielen Schweißperlen auf der Stirn des Operateurs geht es dem Patienten aber schnell besser. Chirurgie – ein Fach für Helden? Beate Steinweg sieht das Ganze etwas nüchterner und realistischer. Schließlich ist sie keine Fernsehärztin, sondern arbeitet in der chirurgischen Abteilung des St.-Josef-Hospitals in Bad Driburg. „Man muss sicherlich Ausdauer haben“, sagt sie. Man müsse zum Beispiel mitunter lange am OP-Tisch stehen können. Im Notfall müsse man auf den Punkt konzentriert sein. „Im Bereitschaftsdienst ist das manchmal aus dem Schlaf von null auf hundert“, berichtet Steinweg. Aber, so ergänzt sie, das gelte für andere Fächer auch. Zum Beispiel für die Intensivmedizin.

Dann geht es auf Station: Hier markiert Beate Steinweg gerade die Lokalisation eines Bauchwandbruchs mit dem Edding.
Dann geht es auf Station: Hier markiert Beate Steinweg gerade die Lokalisation eines Bauchwandbruchs mit dem Edding.

Was ist für sie das Schöne an dem Fach? „Die Chirurgie ist handwerklich, aber man hat trotzdem viel Patientenkontakt“, erläutert sie. Wichtig ist für Steinweg auch der konkrete Effekt ihrer Arbeit: „Wenn man den Blinddarm entfernt hat, ist er raus“, sagt sie. Die Arbeit in der Inneren Medizin zum Beispiel – das wäre nichts für Steinweg. An der Dosierung von Betablockern oder Abführmitteln herumfeilen? Dann doch lieber Chirurgie. „Natürlich gibt es auch bei uns chronische Verläufe, aber nicht so wie in der Inneren Medizin“, meint Steinweg. Sie erinnert sich gerne an einen besonderen Fall: Ihre erste Darmresektion bei Krebs. „Nach fünf oder sechs Jahren kam die Patientin Heiligabend mit einem Blumenstrauß und wollte sich bedanken. Das fand ich sehr schön.“

Die Chirurgie in Bad Driburg ist eine relativ kleine Abteilung. Sechs Assistenzärzte, drei Oberärzte, eine Funktionsoberärztin und ein Chef. Das Spektrum der Erkrankungen ist breit: Leistenbrüche, Gallensteine, Blinddarmentzündungen, Dickdarmeingriffe, Hüftfrakturen, Handgelenksbrüche, gefäßchirurgische Eingriffe. Auch Kinder werden in der Abteilung behandelt. Steinweg findet eine kleine Abteilung gut – gerade für Berufseinsteiger. „Das hat den Vorteil, dass man sehr viel sieht. Und man muss schnell viel machen.“ Sie will demnächst ihre Facharztprüfung für Allgemeinchirurgie ablegen. Die Arbeit in der Chirurgie sei insgesamt sehr vielseitig: Ambulanz, OP und Station.

Chirurgie – ein Männerfach? „Als ich anfing, war ich die einzige Frau hier“, sagt Steinweg. Mittlerweile gibt es auch eine Funktionsoberärztin. Beruf und Familie versucht Steinweg unter einen Hut zu bekommen. Sie hat ein Kind. Zwischenzeitlich hat sie Teilzeit gearbeitet, jetzt wieder voll. Die Dienste am Wochenende und nachts stören sie manchmal – acht Stück im Monat hat sie. „Wenn dann Betrunkene mit Platzwunde in die Ambulanz kommen, die rumpöbeln – dann nervt das besonders.“ Trotzdem mag sie den Arbeitsplatz Krankenhaus, in einer chirurgischen Praxis sieht sie sich derzeit nicht. „Im Krankenhaus ist es halt schön, dass man im Team arbeitet, viele Kollegen hat, die man zurate ziehen kann.“ Auch mit der Pflege funktioniere die Zusammenarbeit gut.

Am liebsten ist Assistenzärztin Steinweg aber im OP (mit OP-Schwester Britta Wulf). Dort ist nicht nur handwerkliches Geschick gefragt, sondern auch Teamgeist.
Am liebsten ist Assistenzärztin Steinweg aber im OP (mit OP-Schwester Britta Wulf). Dort ist nicht nur handwerkliches Geschick gefragt, sondern auch Teamgeist.

Welche Eigenschaften muss ein guter Chirurg haben? Chefarzt Dietl muss nicht lange überlegen: eine fundierte theoretische Ausbildung, eine gewisse Belastungsfähigkeit und handwerkliches Geschick. „Und natürlich gute Anatomiekenntnisse.“ Für ihn war schon immer klar, dass er Chirurg werden wollte. Bereits als Jugendlicher war er beim Roten Kreuz ehrenamtlicher Sanitäter. Das Schöne an dem Fach ist für ihn, dass man direkt die Erfolge sieht. „Man macht halt Leute gesund“, sagt er. „Wir können glücklicherweise häufig die Ursache beseitigen und doktern nicht an Symptomen herum.“ Schwer kranke Patienten gehen gesund nach Hause. Natürlich gelinge das nicht immer – etwa bei Tumorerkrankungen. Vorteilhaft an der Chirurgie sei außerdem: „Monsterwerke an Arztbriefen gibt es bei uns uns nicht. Die Briefe sind kurz und knapp.“

Dietls Schwerpunkt ist unter anderem die minimal-invasive, also laparoskopische Chirurgie. Auch der Bauchwandbruch heute morgen wurde so operiert. Außerdem hat er sich auf die bariatrische Chirurgie spezialisiert. Das sind Magenoperationen bei Adipositas. „Da operieren wir übergewichtige Patienten, die null Lebensqualität haben. Die kommen nach einem Jahr hier rein und sind andere Menschen“, weiß Dietl. Sie hätten ein völlig neues Körpergefühl und ein neues Leben. Das sei für einen Chirurgen schon toll.

Medizinstudierenden empfiehlt er: „Man sollte sich schlicht anschauen, ob einem die Chirurgie gefällt.“ Praktika, Famulaturen. „Wir haben häufig die Situation, dass die Leute nachher Feuer und Flamme sind.“ In der kleinen Abteilung in Bad Driburg gibt es keine starren Hierarchien. Und man bekommt ein breites Spektrum zu sehen – Viszeralchirurgie, Unfallchirurgie, Gefäßchirurgie. Dietl findet: „Für den Einstieg ist das optimal.“

Dr. med. Birgit Hibbeler

Weitere Infos unter: www.chirurg-werden.de

Wie wird man Chirurg?

Die Chirurgie ist ein vielseitiges Fachgebiet. Neben dem „Facharzt für Allgemeinchirurgie“ gibt es noch zahlreiche andere Richtungen – Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, Kinderchirurgie, Orthopädie- und Unfallchirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie und Viszeralchirurgie. Für diese Bereiche kann man eine Facharztbezeichnung erwerben. Für alle gleich ist eine Basisweiterbildung von 24 Monaten.

Bis zur Facharztprüfung dauert es mindestens sechs Jahre. In dieser Zeit muss man in einer Abteilung arbeiten, in der der Chef eine Weiterbildungsbefugnis für die entsprechende Fachrichtung hat. Nachgewiesen werden müssen auch eine festgelegte Anzahl verschiedener Operationen und bestimmte andere Tätigkeiten.

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