KULTUR
Kanarische Inseln: El Hierro – die Vergessene


Für matte Sonnenanbeter und träumerische Blumenkinder sei diese herbe Insel nichts, beschreibt der Reiseführer. Wer hierher reist, liebt die Natur und Einsamkeit.
Durch den Passatnebel blicken wir auf eine karge vulkanische Insel mit bizarren Felsformationen über Abbruchkanten, an denen sich bewaldete Gebirgskämme entlangziehen. Dann ist das Flugzeug aus Teneriffa auch schon zwischen schwarzen Lavafeldern auf Spaniens kleinstem Flughafen gelandet.
Erst ein Jahr ist es her, seit ein großes Meeresbeben die kleinste Insel der Kanaren zu vernichten drohte. Im höchstgelegenen Dorf San Andres, wo als jährliche Hauptattraktion in der ersten Juliwoche El Hierros schönste Kuh gewählt wird, richtete die spanische Armee ihre Kommandozentrale ein. Zweimal musste der Fischerort La Restinga im äußersten Süden evakuiert werden. Das Meer kochte, tote Fische trieben auf dem Wasser, Lavabrocken zischten durch die Luft, Gaswolken verdunkelten den Himmel, und der Erdboden erhob sich um drei Zentimeter. Doch es kam weder zum Untergang von El Hierro noch zur Geburt einer achten kanarischen Insel. Wenige Meter unterhalb der Wasseroberfläche kam der Vulkan zum Stillstand. Aber mit dem Tauchen im submarinen Biosphärenreservat Mar de las Calmas, einem der besten Tauchreviere Europas, war es erst einmal vorbei.
Obwohl der Unterwasservulkan mittlerweile weitgehend abgekühlt ist, sind die Touristen nicht zurückgekommen. Die ökonomischen Folgen sind spürbar. Man erzählt, dass die offiziell mit 11 000 angegebene Einwohnerzahl drastisch gesunken sei. Dabei habe das große Beben auch seine Vorteile gehabt, meint die Archäologin Maite Ruiz, während sie aus einer Bananenkiste mehrere Totenschädel und Knochen von „Bimbaches“ zum Vorschein bringt. Zum einen wurden bisher unentdeckte Grabstätten der Ureinwohner durch die Beben freigelegt, zum anderen habe es eine große Solidarität unter den Inselbewohnern gegeben.
„Nur wenn nichts passiert, streiten wir uns“, stimmt die resolute Verkäuferin im Supermarkt der Inselhauptstadt Valverde zu. So gesehen trifft es sich ganz gut, dass der unzuverlässige Fährverkehr bisweilen die Waren knapp werden lässt und die Herreños über alle Parteigrenzen hinweg zu Protestaktionen wie der Blockade einer Fähre bewegt hat, weshalb sich einige Insulaner nun wegen Piraterie vor Gericht verantworten müssen.
Man kann nur wünschen, dass sich der ohnehin spärliche Tourismus wieder erholt. El Hierro hat für Naturliebhaber so viel zu bieten. Angefangen vom windzerzausten Wacholderhain bei El Sabinar im Westen – dem Wahrzeichen der Insel – über die feuchten Nebelwälder im Norden, die schwarzen Lavawüsten im Süden bis hin zur 1 400 Meter abstürzenden Abbruchkante über dem sichelförmigen Golftal, in die der kanarische Architekt César Manrique am Mirador de la Peña ein tolles Restaurant gebaut hat.
Wanderern steht ein gut ausgebautes Netz von Wegen zur Verfügung, das sie in unterschiedliche Naturlandschaften eintauchen lässt, in denen ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach keine Menschenseele begegnen wird. Selbst in den geschützten Charcos, dem guten Dutzend über die Insel verteilten natürlichen Meeresschwimmbädern, verliert sich gerade einmal eine Handvoll Badende.
Aber eines ist auch klar, wer weite Sandstrände, kulinarische Feinheiten erwartet oder gar nach Einbruch der Dunkelheit noch etwas unternehmen will, der ist auf El Hierro fehl am Platz. „Für matte Sonnenanbeter und träumerische Blumenkinder ist diese herbe Insel tatsächlich nichts“, kann man in einem deutschen Reiseführer aus dem Jahre 1986 lesen, der sich aus ungeklärten Gründen in die Hausbibliothek des Hotels Parador verirrt hat. Ebenso unerklärlich ist die Lage des Hauses völlig einsam direkt am schlackengrauen Strand unterhalb steiler Vulkanberge. Wenige Meter hinter dem Parador endet die Straße. Das nächste Dorf liegt drei Wanderstunden entfernt in den Bergen.
Roland Motz
@Informationen: www.el-hierro.eu; www.spain.info/de