ArchivDeutsches Ärzteblatt PP6/2013KBV-Vertreterversammlung: „Wir sollten unsere Stärken besser ausspielen“

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KBV-Vertreterversammlung: „Wir sollten unsere Stärken besser ausspielen“

Korzilius, Heike; Rieser, Sabine

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Ärztliches Handeln lässt sich nicht in Ziffern pressen. Deshalb müssen sich die Ärzte gegen eine zunehmend repressive Sozialpolitik wehren. Das war eine Kernbotschaft in Hannover.

Zu viel Verwaltung, zu wenig Selbstbestimmung – KBV-Vorstand Andreas Köhler schlug in seinem Bericht auch selbstkritische Töne an. Fotos: Jürgen Gebhardt
Zu viel Verwaltung, zu wenig Selbstbestimmung – KBV-Vorstand Andreas Köhler schlug in seinem Bericht auch selbstkritische Töne an. Fotos: Jürgen Gebhardt

Kommt man von Süden aus mit dem Zug in Hannover an, fällt der Blick gleich bei der Einfahrt in den Hauptbahnhof auf ein Plakat: „Mir vertrauen 1 000 Patienten. Ich arbeite für Ihr Leben gern“, steht dort in großen Buchstaben. Ein Hausarzt wirbt für seinen Beruf. Das Plakat ist Teil der Imagekampagne von Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), die das ärztliche Selbstverständnis und die Freude am Beruf herausstellen soll (siehe auch Seite eins in diesem Heft).

Das ärztliche Selbstverständnis stand auch im Mittelpunkt der KBV-Vertreterversammlung (VV), die am 27. Mai, wie alljährlich im Vorfeld des Deutschen Ärztetages, in Hannover stattfand. Bei der Mai-VV geht es traditionell um Forderungen an die Politik und Fortschritte bei wichtigen KBV-Vorhaben. Deshalb überraschte die Rede des Vorstandsvorsitzenden, Dr. med. Andreas Köhler, manche Zuhörer. Er wolle sich nicht mit den üblichen berufspolitischen Anliegen beschäftigen, hatte er gleich angekündigt. „Mir geht es heute um eine Auseinandersetzung mit einer zunehmend repressiven Sozialpolitik. Repressiv deshalb, weil anscheinend nur diejenigen Ergebnisse in der Patientenversorgung zählen, die ge- und vermessen werden können“, sagte Köhler vor den 60 VV-Mitgliedern und zahlreichen Delegierten des Deutschen Ärztetages, die als Gäste anwesend waren.

Der Bedarf an Hausärzten und grundversorgenden Fachärzten steigt erheblich. Darauf müsse man in Ausund Weiterbildung reagieren, sagte KBV-Vorstand Regina Feldmann.
Der Bedarf an Hausärzten und grundversorgenden Fachärzten steigt erheblich. Darauf müsse man in Ausund Weiterbildung reagieren, sagte KBV-Vorstand Regina Feldmann.

„Diese Sichtweise greift zu kurz“, erklärte der KBV-Vorsitzende. Deshalb gehe es ihm aktuell um das ureigene Wesen ärztlichen Handelns, um ärztliche Selbstbestimmung und ärztliches Selbstbewusstsein. Er habe den Eindruck gewonnen, dass Ärzte und Psychotherapeuten, aber auch die KBV und die KVen ihre Selbstbestimmung nur noch so weit verteidigten, wie es dem System nicht schade. „Wir sollten unsere Stärken besser ausspielen“, schlug Köhler vor. „Wir haben viel mehr Gewicht und Einfluss, als uns selbst bewusst ist.“

Mittlerweile müssten Ärzte bei all ihrem Tun in erster Linie gegenüber den Krankenkassen Rechenschaft ablegen statt gegenüber sich selbst und den Patienten. Der Arzt sei zum Leistungserbringer geworden und damit austauschbar. Doch kein Arzt habe sich für seinen Beruf entschieden, weil ihn die Herausforderung reize, mit dem geringsten Mitteleinsatz den maximalen Output zu erzielen oder Checklisten abzuhaken, sagte Köhler: „Die ärztliche Tätigkeit darauf zu reduzieren, ist zutiefst unethisch.“

In diesem Zusammenhang schlug er auch selbstkritische Töne an. Die ärztlichen Körperschaften hätten diesen Wandel von der versorgenden zur verwaltenden und vermessenden Medizin schon so stark verinnerlicht, dass sie sich nicht nur an die Regeln hielten, sondern sogar dazu beitrügen, sie zu reproduzieren. Der Kern ärztlicher Leistung sei aber nicht messbar. Denn es komme immer auf den individuellen Arzt und den individuellen Patienten sowie die jeweilige Situation an. „Der medizinische Erfolg beruht maßgeblich auf Empathie und Vertrauen“, erklärte Köhler.

Vorlage von Verträgen des Vorstands: „Minenfeld“

Zum Schluss seines Berichts an die Vertreterversammlung setzte sich der KBV-Vorsitzende dann doch noch mit der Tagespolitik auseinander. Denn die Regierungskoalition will noch vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf verabschieden, wonach KVen und KBV den Gesundheitsministerien künftig die Vorstandsverträge vorab zur Genehmigung vorlegen müssen. „Das ist ein gravierender Eingriff in die Autonomie der demokratisch gewählten Selbstverwaltung“, kritisierte Köhler. Bei der Verwaltungskostenumlage der KVen handele es sich nicht um öffentliche Gelder, stellte er klar: „Die Vertreterversammlung kann selbst überlegen, was ihr die Arbeit ihrer Vorstände wert ist.“

Zuvor hatte bereits der Vorsitzende der KBV-VV, Dipl.-Psych. Joachim Weidhaas, erklärt, die Vertreterversammlung als Parlament der Selbstverwaltung sei nicht an Weisungen gebunden. Die Pläne der Regierungskoalition seien eine Entmündigung dieses Parlaments: „Das hat nichts mehr mit Subsidiarität und Eigenverantwortung zu tun.“

In großer Einigkeit stimmten die Delegierten über Vorschläge zur Ausbildung ab.
In großer Einigkeit stimmten die Delegierten über Vorschläge zur Ausbildung ab.

Walter Plassmann, KV Hamburg, warnte in der anschließenden Diskussion über Köhlers Rede, die geplante Verpflichtung zur Vorabgenehmigung der Vorstandsverträge sei „ein Minenfeld“. Er ist überzeugt, dass die KVen nach einem Regierungswechsel unter einer rot-grünen Bundesregierung den Sicherstellungsauftrag schnell los wären. Müssten sich KV-Vorstände dann noch ihre Verträge vorab genehmigen lassen, „sind wir nichts weiter als eine nachgeordnete Landesbehörde“.

Ein langjähriger Kritiker des KV-Systems, Dr. med. Norbert Metke, KV Baden-Württemberg, sparte diesmal nicht mit Lob für den KBV-Vorsitzenden: „Auch das zweite Jahr Köhler ist für die Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten an Richtungsbestimmung ein gutes Jahr gewesen.“ Allerdings fand Metke scharfe Worte für die anhaltende „Denunziation“ der Niedergelassenen durch die Krankenkassen und betonte mit Verweis auf die Korruptionsdebatte, Unregelmäßigkeiten kämen unter den Kollegen nicht häufiger vor als in anderen Berufsgruppen. In Anspielung auf das große Engagement vieler Ärzte in der Versorgung sagte Metke: „Wir sind keine Monster. Wir sind Überzeugungstäter, aber keine Straftäter.“

Weiterbildung: Appelle an den Deutschen Ärztetag

Mit Blick auf den Deutschen Ärztetag war die Weiterbildung bei der KBV-VV ein weiteres Schwerpunktthema. Dort beschäftigen sich die Delegierten in diesem Jahr mit der Novellierung der (Muster-)Weiterbildungsordnung sowie dem Ausbau der ambulanten Weiterbildung. Nach Ansicht von KBV-Vorstand Dipl.-Med. Regina Feldmann spiegelt sich die zunehmende Verlagerung medizinischer Versorgung in die Praxen niedergelassener Ärzte nicht angemessen in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung wider. Diese müssten sich viel mehr als bisher an den Versorgungserfordernissen orientieren, erklärte sie.

Angesichts einer älter werdenden Bevölkerung nehme der Bedarf an ambulanter, wohnortnaher Grundversorgung ebenso zu wie die Bedeutung des Arztes als Koordinator, sagte Feldmann. „Doch während die Gesamtzahl der Vertragsärzte steigt, geht der Anteil an Haus- und grundversorgenden Fachärzten zurück.“ Dabei habe die Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden pro-gnostiziert, dass der Bedarf an Hausärzten bis 2020 im Vergleich zum Jahr 2000 um 20 Prozent steigen werde. Hierauf müsse man reagieren, forderte Feldmann.

Die KBV-Vertreterversammlung sprach sich deshalb dafür aus, „das Auswahlverfahren zum Medizinstudium im Hinblick auf die Gewinnung von Nachwuchs für die Grundversorgung zu überprüfen“, wie es in einem entsprechenden Beschluss heißt. Dazu gehört insbesondere, dass die Abiturnote nicht mehr das entscheidende Kriterium für die Zulassung zum Medizinstudium sein soll. „Es stellt sich die Frage: Wollen wir es uns noch länger leisten, junge Menschen, die wirklich für den Arztberuf brennen und sich beispielsweise durch soziales Engagement auszeichnen, nicht zum Medizinstudium zuzulassen, nur weil sie keinen Abiturdurchschnitt von 1,0 haben?“, fragte Feldmann.

Sie plädierte zudem dafür, die grundversorgenden Anteile in der ärztlichen Ausbildung zu stärken. Medizinstudierende müssten in den patientennahen Fächern den Arbeitsalltag in den Praxen niedergelassener Ärzte kennenlernen. Auch dem stimmte die KBV-Vertreterversammlung zu. Die Analyse Feldmanns und der KBV-Antrag zur Reform der Approbationsordnung lösten jedoch eine längere Diskussion aus. Mehrere Delegierte warnten davor, angehenden Ärztinnen und Ärzten zu viele Vorschriften zu machen und eine Tätigkeit als Allgemeinmediziner zu stark zu forcieren. Andere verlangten eindeutige Vorgaben, um dem Nachwuchs einen besseren Einblick in den ambulanten Bereich zu verschaffen und mittelfristig die Patientenversorgung zu sichern.

Beratung zwischen durch: Delegierte der KV Bayerns bei einer kurzen Besprechung
Beratung zwischen durch: Delegierte der KV Bayerns bei einer kurzen Besprechung

Der ursprünglich vom KBV-Vorstand formulierte Vorschlag, die Vergabe eines Studienplatzes an die Bereitschaft zu knüpfen, Versorgungsverantwortung in strukturschwachen Gebieten zu übernehmen, stieß jedoch bei vielen VV-Mitgliedern auf Ablehnung. Dr. med. Manfred Stumpfe, KV Bayerns, warnte davor, dem Nachwuchs zu viele Vorgaben zu machen: „Ich will nicht, dass sich unsere jungen Leute nicht mehr entwickeln können.“ Angelika Haus, KV Nordrhein, erinnerte daran, dass der Versorgungsbedarf der Zukunft keineswegs sicher abzuschätzen sei. Vor Jahren habe man jungen Leuten abgeraten, Medizin zu studieren. „Dass wir jetzt meinen zu wissen, was in zehn, 15 Jahren wirklich gewollt und gewünscht ist, finde ich etwas vermessen“, sagte Haus.

Einig war man sich hingegen bei der Forderung nach mehr ambulanten Anteilen in der Weiterbildung zum Facharzt. Viele ärztliche Leistungen würden fast ausschließlich ambulant erbracht, erläuterte Feldmann. Das führe dazu, dass in den Krankenhäusern nicht mehr alle relevanten Weiterbildungsinhalte vermittelt werden könnten. „Deshalb kann die Weiterbildung insbesondere für patientennahe Fachgebiete zukünftig nur sektorübergreifend stattfinden“, forderte Feldmann.

Finanzierung der ambulanten Anteile muss sicher sein

Die KBV-Vertreterversammlung sprach sich deshalb dafür aus, in den patientennahen Fächern eine ambulante Pflichtweiterbildung einzuführen, die sich allerdings auf Inhalte und Kompetenzen beschränkt, die nur dort vermittelbar sind. Bedingung sei jedoch, dass die Finanzierung dieser Weiterbildungsstellen gesichert sei, beispielsweise aus Mitteln des Gesundheitsfonds. Denn die Ärzte in Weiterbildung müssten in der Praxis die gleichen finanziellen Rahmenbedingungen vorfinden wie im Krankenhaus, heißt es in einem Beschluss.

An den Deutschen Ärztetag appellierte die Vertreterversammlung, die ambulante Pflichtweiterbildung in die (Muster-)Weiterbildungsordnung aufzunehmen. „Das ist der erste Schritt. Er ist unabdingbar“, erklärte KBV-Vorstand Feldmann. Denn eine gesonderte Finanzierung dieser Weiterbildungsstellen sei nur verhandlungsfähig, wenn es obligate Vorschriften in der Weiterbildungsordnung gebe.

Auch Dr. med. Thomas Fischbach, KV Nordrhein, riet, in Sachen Weiterbildung im ambulanten Bereich nicht erst auf Finanzierungszusagen zu warten. Junge Kollegen müssten dringend „einfach mal schnuppern können, wie sieht denn ambulante Versorgung überhaupt aus“. Der niedergelassene Bereich dürfe nicht zum Flaschenhals für die Weiterbildung werden, warnte hingegen Dr. med. Dieter Haack, KV Baden-Württemberg. Für ihn ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, den Nachwuchs zu finanzieren, nicht die Aufgabe von Praxisinhabern.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, der als Gast an der Vertreterversammlung teilnahm, bezeichnete den Beschluss zur ambulanten Pflichtweiterbildung als gut und vernünftig. Er könne natürlich nicht vorhersagen, ob der Deutsche Ärztetag zustimmen werde. „Aber bei der Politik
ist Ihr Petitum angekommen“, erklärte Montgomery. Dem ärztlichen Nachwuchs werden jedenfalls Reiz und Wert einer Niederlassung in eigener Praxis vor Augen geführt. Für die Dauer des Ärztetages hat die KBV in Hannover zusätzliche Flächen für die Plakate der Imagekampagne gebucht.

Heike Korzilius, Sabine Rieser

EBM: REFORMEN AUF DEM wEG

Die KBV geht davon aus, dass mehrere Reformen am Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) zum 1. Oktober umgesetzt werden, darunter neue Regeln zur Trennung der haus- und fachärztlichen Honorartöpfe sowie zur finanziellen Besserstellung der Grundversorger. Die in geschlossener Sitzung gefassten Beschlüsse will sie umgehend mit dem GKV-Spitzenverband verhandeln.

Der KBV-Vorstandsvorsitzende, Dr. med.
Andreas Köhler, wertete es als „historischen Schritt“, dass haus- und fachärztliches Vergütungsvolumen dann separat erhöht werden können. KBV-Vorstand Dipl.-Med. Regina Feldmann ergänzte, dadurch ließe sich auch auf hausärztliche Versorgungsmängel reagieren, ohne dass andere Arztgruppen Vergütungseinbußen fürchten müssten. Ein weiterer Beschluss sieht vor, mit
einer neuen Strukturpauschale die wohnortnahen fachärztlichen Grundversorger zu stärken.

Dies bedeute für einige Facharztgruppen wie Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, Augenärzte und Orthopäden eine Honorarsteigerung von durchschnittlich fünf bis sechs Prozent, allerdings nicht für jeden einzelnen Arzt, erläuterte Köhler. Weniger Honorar erhalte niemand, weil die neue Strukturpauschale aus Honorarzuwächsen finanziert werde.

Angenommen wurden auch Vorschläge der KBV, die darauf abzielen, klassische hausärztliche Leistungen besser zu honorieren. Die Versichertenpauschale soll eine stärkere Altersgewichtung erhalten. Zudem sollen „typische“ Hausärzte zusätzlich eine versorgungsbereichsspezifische Grundpauschale pro Patient erhalten. Mehr Informationen will die KBV in Kürze veröffentlichen.

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