MEDIZIN: Zur Fortbildung
Verbesserung der Langzeitkontrolle der arteriellen Hypertonie mit Blutdruckselbstmessung
; ;


Schlüsselwörter: Arterielle Hypertonie, Blutdruckselbstmessung, therapeutischer Effekt, Langzeitkontrolle
Self-Monitoring of Blood Pressure: Improvement of Long-Term Control of Arterial Hypertension
Self-monitoring of blood pressure provides valuable information in the initial evaluation of patients with
hypertension. Multiple readings obtained by daily self-monitoring help to reduce variability of blood pressure
measurements dramatically. Therefore, self-measurement of blood pressure is ideally suited to assess response to
antihypertensive medication during initial dose adjustment as well as during long-term follow-up. Furthermore,
self-measurement improves patient adherence to treatment and potentially reduces costs. Blood pressure
measurements in patients with hypertension tend to be higher in the clinic than outside the physician’s office.
There is no universal agreement on upper limits of normal blood pressure, but readings of or above 135/85
mmHg should be considered elevated. Recent data also demonstrate a substantial observer error in
documentation of self-measured blood pressure values. This bias may be reduced by memory-equipped blood
pressure devices with interface data transfer to the physician’s computer.
Key words: Arterial hypertension, self-monitoring of blood pressure, therapeutical effect, long-term follow-up
Komplementäre Methoden zur Messung des arteriellen Blutdrucks, wie Blutdruckselbstmessung und ambulante
24-Stunden-Blutdruckmessung (ABDM), haben in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Unter dem
Begriff "Blutdruckselbstmessung" wird die häusliche Selbstkontrolle des arteriellen Blutdruckes und der
Herzfrequenz durch den Patienten verstanden. Die Bedeutung der Blutdruckselbstmessung wurde bereits im
Jahre 1930 von Brown erstmalig beschrieben (4). Erst gegen Ende der achtziger Jahre kam es zu einer raschen
und weiten Verbreitung der Selbstmessung. Die zunehmende Anerkennung dieser Methode kumulierte
schließlich in einer Erklärung der WHO, die das Jahr 1989 zum Jahr der Blutdruckselbstmessung erklärte.
Während die Entwicklung und die zunehmende Verbreitung der ABDM im wesentlichen durch klinische
Forschung und ärztliche Initiative vorangetrieben wurde, ist die Entwicklung im Bereich der
Blutdruckselbstmessung hauptsächlich durch eine starke industrielle Promotion charakterisiert. Damit werden
die Patienten unabhängig vom Arzt zum Selbsterwerb eines Blutdruckmeßgerätes motiviert. Dies stellt einen
wesentlichen Unterschied zu anderen Methoden der häuslichen Selbstkontrolle wie Blutzuckerbestimmungen,
Peak-Flow-Bestimmungen oder Selbstkontrollen der Antikoagulation dar, wo der ärztliche Rat von großer
Bedeutung ist.
Es ist davon auszugehen, daß die Mehrheit der Patienten mit arterieller Hypertonie Blutdruckselbstmessungen
durchführt (18, 21). Dies spiegelt sich auch in jährlichen Verkaufszahlen von über einer Million
Selbstmeßgeräten wider, die größtenteils über Sanitätshäuser, Warenhauskataloge und Kaufhäuser vermarktet
werden (5, 11).
Da Ärzte beziehungsweise fachlich qualifiziertes Personal bei der Anschaffung eines Selbstmeßgerätes durch
Patienten in der Regel nicht einbezogen sind, kann bei der Mehrheit der Patienten von einer fehlenden
Instruktion bezüglich Meßtechnik und Interpretation der gewonnenen Daten ausgegangen werden.
Trotz des Vorliegens einer Vielzahl guter klinischer Studien zu epidemiologischen, pharmakologischen und
prognostischen Fragestellungen existierten bis vor kurzem nur unzureichende Stellungnahmen internationaler
Gesellschaften zu den Problembereichen wie Normwerten, Datengewinnung und Dateninterpretation. Die
zurückhaltende Verwendung von Blutdruckselbstmeßdaten bei therapeutischen Entscheidungsprozessen
verwundert deshalb nicht.
In der vorliegenden Arbeit sollen zunächst die wichtigsten und für die ärztliche Praxis relevanten Grundlagen der
Blutdruckselbstmessung skizziert werden. In dem zweiten Teil der Arbeit wird auf praktische Probleme für die
Anwendung in der ärztlichen Praxis eingegangen, insbesondere unter Berücksichtigung einer sinnvollen
Einbeziehung der selbstgemessenen Blutdruckdaten in den therapeutischen Entscheidungsprozeß.
Eine komplementäre Meßmethode
In der Diagnostik der arteriellen Hypertonie kommt der Praxismessung die Rolle eines Screeningparameters zu. Erst bei wiederholten Praxiswerten von > 140 und/oder > 90 mmHg (WHO) oder bei Vorliegen
eindeutiger hypertensiver Endorganschäden sollte eine ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung zur
Beurteilung des Schweregrades der arteriellen Hypertonie, des Tag-Nacht-Rhythmus und der Blutdruckspitzen
durchgeführt werden. Zur Beurteilung des Therapieeffektes sind punktuelle Praxismessungen in der Phase der
Dosistitration wie auch in der Langzeitkontrolle nur beschränkt - insbesondere für die Beurteilung der 24Stunden-Wirksamkeit antihypertensiver Substanzen - geeignet (29, 30).
Die geringe Aussagekraft von Praxismessungen zur Abschätzung des antihypertensiven Effektes hängt mit der
hohen Variabilität der einzelnen Gelegenheitsmessungen zusammen (28). Diese physiologisch und meßtechnisch
bedingte Variabilität liegt oft über der tatsächlich erzielten Blutdrucksenkung, so daß antihypertensive Effekte
im Bereich von 10/5 mmHg (systolisch/diastolisch) beim Patienten häufig nicht erfaßt werden und
fälschlicherweise ein Therapieversagen vermutet wird. Interessanterweise lag nach einer Metaanalyse die
durchschnittlich erzielte diastolische Blutdrucksenkung in großen Interventionsstudien nur bei 5 bis 6 mmHg
(25)!
Die Genauigkeit der Blutdruckmessung zu therapeutischen Zwecken kann nur durch eine deutliche Erhöhung der
Anzahl der Messungen verbessert werden. Hierzu eignen sich prinzipiell die ambulante 24-StundenBlutdruckmessung wie auch die Blutdruckselbstmessung.
Die ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung (ABDM) ist zur wiederholten kurzfristigen Therapiekontrolle nur
begrenzt einsetzbar, da sie aufgrund mangelnder Patientenakzeptanz und aus wirtschaftlichen Erwägungen nicht
beliebig oft wiederholt werden kann.
Daher lassen wir zunächst bei allen Hypertonikern täglich Blutdruckselbstmessungen über zwei Wochen
durchführen, bevor eine antihypertensive Therapie eingeleitet wird oder eine bereits bestehende antihypertensive
Therapie geändert wird. Die Mittelwerte dieser Heimmessungen dienen als Ausgangswerte der nachfolgenden
Phasen der Dosistitration und Langzeitkontrolle. Stellenwert und Differentialindikation von traditioneller
Praxismessung, Selbstmessung und ABDM sind in Grafik 1 dargestellt.
WHO-Definitionen nicht auf Blutdruckselbstmessungen übertragbar
Blutdruckselbstmessungen liegen ähnlich wie die Werte der ambulanten 24-Stunden-Blutdruckmessung deutlich
niedriger als Praxismessungen (2, 3). Dieser Unterschied wird nicht durch Geräte oder Meßtechnik verursacht,
sondern ist durch die Situation des Meßvorganges bedingt (27).
Der Unterschied zwischen Praxis- und Selbstmessung steigt mit dem Schweregrad der arteriellen Hypertonie an
und kann im Einzelfall bis zu 50 mmHg betragen (Tabelle 1). Die Diskrepanz zwischen Praxismessung und
Selbstmessung darf jedoch nicht als sogenannte "Weißkittelhypertonie" interpretiert werden. Eine
"Weißkittelhypertonie" darf erst bei normalen Werten für die ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung,
Blutdruckselbstmessung und ergometrischen Belastungsblutdruck sowie fehlenden Endorganschäden
diagnostiziert werden.
Die Tabelle 1 zeigt die selbstgemessenen Blutdruckwerte eines unbehandelten Patienten mit hypertensiver
Herzkrankheit und einem Praxisblutdruck von 190/110 mmHg. Die Diagnose der arteriellen Hypertonie wurde
durch eine pathologische ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung mit Tages-Durchnittswerten von 143/84
mmHg gesichert. Der Durchschnitt aller am Morgen und Abend ermittelten Selbstmessungen betrug im
untersuchten Patientenkollektiv 141/82 mmHg.
Angesichts der relativ niedrigen Werte der Blutdruckselbstmessung wird nach unseren Erfahrungen in der Praxis
bei einem solchen Patienten häufig noch die falsche Diagnose einer sogenannten "Weißkittelhypertonie" gestellt,
insbesondere wenn keine Daten über die ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung vorliegen.
Dies hätte im dargestellten Beispiel zu einer prognostisch relevanten Unterschätzung des tatsächlichen
Blutdruckniveaus und damit zu einer unzureichenden antihypertensiven Therapie geführt.
Oberer Normwert für die Selbstmessung 135/85 mmHg?
Zum Normwertproblem der Blutdruckselbstmessung liegen inzwischen mehrere größere epidemiologische
Studien bei unbehandelten normo- und hypertensiven Populationen vor (12, 23, 24, 38). Die in diesen Studien
vorgeschlagenen oberen Grenzwerte von < 135/85 mmHg entsprechen den oberen Grenzwerten für
Tagesmittelwerte der ambulanten 24-Stunden-Blutdruckmessung.
Die inkorrekte Anwendung des Grenzwertes der Weltgesundheitsorganisation von 140/90 mmHg, bezogen auf
Blutdruck-Selbstmeßdaten, stellt somit einen methodischen Fehler dar, wenn ein Referenzwert der einen
Meßmethode (Praxismessung) auch als Referenzwert für eine andere Meßmethode (Selbstmessung) benutzt
wird. Darüber hinaus führt die falsche Anwendung der Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation auch zu
einer Unterschätzung des tatsächlichen Blutdruckniveaus und damit zu einer unzureichenden Therapie. Tabelle 2
zeigt die Ergebnisse zweier Populationsstudien zum Normwertproblem (12, 38). Die oberen Normwerte wurden
statistisch aus den Perzentilen ermittelt, die einem Praxisblutdruck von 140/90 mmHg entsprachen.
Die unterschiedlichen Ergebnisse resultieren aus der Anwendung verschiedener Studiendesigns (Unterschiede
bei Altersverteilung, verwendetes Blutdruckgerät, Anzahl der Selbstmessungen). Die Wertigkeit dieser
Normwertempfehlungen ist eingeschränkt, da kardiovaskuläre Endpunkte, wie Herzinfarkt oder Schlaganfall,
nicht einbezogen wurden.
Das so ermittelte "normale" Blutdruckniveau gestattet damit noch keine Aussage über die prognostische
Bedeutung der rein statistisch errechneten oberen Grenzwerte. Vergleichende Untersuchungen unter Einbezug
von Blutdruckselbstmeßwerten, Praxismessungen und ABDM bei Patienten mit gesicherter hypertensiver
Endorganschädigung existieren bislang nicht.
Bessere Übereinstimmung der Selbstmessung mit ABDM und Endorganschäden
Die Grafik 2 zeigt in einem Patientenkollektiv von unbehandelten Hypertonikern mit nachgewiesener
hypertensiver Herzerkrankung Praxisblutdruckwerte, Tagesmittelwerte der ABDM und
Blutdruckselbstmeßwerte.
Zum Vergleich sind Blutdruckselbstmessungen von normotensiven Probanden gegenübergestellt (33). In
Bestätigung früherer Untersuchungen ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen
Tagesmittelwerten der ABDM und den Blutdruckselbstmessungen (33). Die Übereinstimmung zwischen ABDM
und Blutdruckselbstmessungen war in dieser Untersuchung (gemessen an den Korrelationskoeffizienten)
deutlich besser als die Übereinstimmung von ABDM mit den Praxismessungen. Bei diesen Patienten hätte die
fälschliche Anwendung der WHO-Empfehlungen (< 140/90 mmHg) bei der Interpretation der Selbstmeßwerte
dazu geführt, daß 36 Prozent der Patienten mit nachgewiesener hypertensiver Endorganschädigung
fälschlicherweise als normotensiv diagnostiziert und unzureichend behandelt worden wären.
Die prognostische Überlegenheit der Selbstmessung im Vergleich zu Praxismessungen spiegelt sich auch in den
höheren Korrelationskoeffizienten zwischen Blutdruckhöhe und linksventrikulärer Herzhypertrophie deutlich
wider (Tabelle 3). Noch härtere Daten bezüglich prognostischer Wertigkeit ergeben sich aus einer aktuellen
japanischen Studie, in der prospektiv die Wertigkeit von Blutdruck-selbstmessungen bezüglich der korrekten
Einschätzung der kardiovaskulären Mortalität untersucht wurde (17). Für die korrekte Voraussage eines
tödlichen kardiovaskulären Ereignisses, bezogen auf die Höhe der initialen Blutdruckwerte, wurde
gleichermaßen eine Überlegenheit der Blutdruckselbstmessung als auch der ABDM im Vergleich zur
Praxismessung beobachtet.
Blutdruckselbstmessung in pharmakologischen Studien
Bevor die Blutdruckselbstmessung zur Beurteilung der therapeutischen Wirksamkeit antihypertensiver
Substanzen empfohlen werden konnte, mußte zunächst ihre Wertigkeit im Vergleich zur Praxismessung und
ABDM untersucht werden. Es zeigte sich übereinstimmend in allen von uns durchgeführten Studien, daß das
Ausmaß der Blutdrucksenkung mit Selbstmessungen vergleichbar gut wie mit der ABDM zu beurteilen war (14,
19, 29-31). Die Wertigkeit der Selbstmessung bezüglich der Wirkungsdauer antihypertensiver Substanzen war
besonders gut, wenn die Blutdruckselbstmessungen am Morgen und Abend vor Einnahme der Medikation
durchgeführt wurden. Hierbei erlaubte die Blutdruckselbstmessung im Gegensatz zur Praxismessung eine
eindeutige Unterscheidung zwischen langwirksamen Antihypertensiva mit 24-Stunden-Wirksamkeitsdauer und
kürzer wirksamen Antihypertensiva. Die Blutdruckselbstmessung kann zwar für wissenschaftliche
Fragestellungen nicht als Ersatz für die ABDM angesehen werden, bietet jedoch aufgrund ihrer beliebigen
Wiederholbarkeit Vorteile in der Langzeitkontrolle.
Medikamententreue und Blutdruckeinstellung werden verbessert
Normotensive Blutdruckwerte (< 140/90 mmHg) werden trotz der Vielzahl potenter Antihypertensiva nur bei
zirka einem Viertel aller medikamentös therapierten Patienten erreicht (24, 36). Eine Hauptursache der
unzureichenden Kontrolle der arteriellen Hypertonie wird in mangelnder Compliance gesehen (24).
Die auf die Medikamenteneinnahme bezogene Compliance, das heißt, die korrekte Anwendung von verordneter
Medikation in der richtigen Dosis zur richtigen Zeit, stellt unbestritten einen der wichtigsten limitierenden
Faktoren in der Therapie der arteriellen Hypertonie dar. Die mittleren Compliance-Raten in der
Langzeitbehandlung betragen maximal 50 bis 60 Prozent (22). Die Blutdruckselbstmessung führt durch die
aktive Mitarbeit und Beteiligung des Patienten an Behandlung und Überwachung seiner Erkrankung zu einer
Verbesserung der Compliance. Die Motivation des Patienten zur Mitarbeit in der Therapie wird nach dem
"health-belief"-Modell durch Faktoren wie erlebte Gefährlichkeit der Erkrankung, erlebte eigene Gefährdung
durch mangelnde Mitarbeit und erlebter Nutzen durch Mitarbeit determiniert (15). Ein positiver Einfluß der
Selbstmessung auf Compliance und damit auch auf die Blutdruckeinstellung besteht unbestritten (6, 9, 16).
Grafik 3 zeigt bei unzureichend therapierten Hypertonikern den positiven Einfluß der Blutdruckselbstmessung
auf Blutdruckeinstellung und Compliance (9).
Zuverlässigkeit selbstgemessener Blutdruckwerte
Voraussetzung für korrekt gemessene und dokumentierte Blutdruckwerte sind einerseits eine adäquate
Instruktion der Patienten, andererseits die Meßgenauigkeit des Gerätes.
Geräte, die die Validierungskriterien international anerkannter Protokolle erfüllen, können ohne Bedenken
eingesetzt werden. Aufgrund der zum Teil vorherrschenden Tendenz zur Selbstanschaffung eines Gerätes durch
den Patienten ist davon auszugehen, daß häufig Geräte erworben werden, die diese Kriterien nicht erfüllen.
Des weiteren ist mit erheblichen Untersuchungsfehlern zu rechnen, da die Patienten in der Regel ihre
Anwenderinformationen nur über unzureichende Gebrauchsanweisungen erhalten. Hierbei ist besonders zu
kritisieren, daß sich fast alle uns bekannten Gebrauchsanweisungen noch immer fälschlicherweise an den
Kriterien der Weltgesundheitsorganisation für die Praxis-Blutdruckmessung orientieren.
Durch die Einführung vollautomatischer Geräte mit digitaler Anzeige der Blutdruckwerte sind die meisten
Faktoren, die zu einem Untersuchungsfehler führen, eliminiert worden.
Alle bisher publizierten Daten bezüglich diagnostischer und therapeutischer Wertigkeit der
Blutdruckselbstmessung vertrauen auf die korrekte Übertragung der selbstgemessenen Blutdruckwerte in den
Blutdruckpaß. Aktuelle Forschungsergebnisse unserer Arbeitsgruppe zur Frage der Zuverlässigkeit der
Dokumentation zeigen jedoch, daß eine Vielzahl von durchgeführten Messungen von dem Patienten überhaupt
nicht dokumentiert werden und insbesondere hohe Blutdruckwerte nicht in den Paß eingetragen werden (32).
Anwendung in der ärztlichen Praxis
Die Blutdruckselbstmessung kann für die Mehrzahl behandlungsbedürftiger Hypertoniker empfohlen werden, da
sie einen erheblichen Informationszuwachs für therapeutische und prognostische Fragestellungen liefert, der
durch die Praxis-Blutdruckmessung und die ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung nicht zu erreichen ist. Die
Hauptindikationen der Blutdruckselbstmessung sind im Textkasten dargestellt.
Geräteanforderung und Patienteninstruktion
Bei der Auswahl des Meßgerätes stellen sich im wesentlichen zwei Fragen:
1. Wo soll gemessen werden: Oberarm, Handgelenk, Finger?
2. Welches Gerät sollte benutzt werden?
Wir bevorzugen die Messung mit einer Oberarm-Manschette, womit gewährleistet wird, daß sich
der Meßpunkt immer auf Herzhöhe befindet. Der rasante Zuwachs an Geräten zur Handgelenksmessung ist
größtenteils durch eine starke industrielle Promotion und weniger durch ärztliche Indikation bedingt. Unter
Laborbedingungen zur invasiven und nichtinvasiven Validierung dieser Geräte ist die Meßgenauigkeit als
ausreichend zu betrachten (8). Da die Patienten allerdings in der Regel ohne vorausgehende ärztliche Instruktion
messen, kommt es nach unseren Erfahrungen häufig zu einer falschen Positionierung des Meßpunktes und damit
zu falsch-hohen oder -niedrigen Blutdruckwerten.
Von Finger-Blutdruckmessungen zur Langzeitüberwachung therapiebedürfter Hypertoniker raten wir und andere
Arbeitsgruppen grundsätzlich ab, da die Variabilität dieser Messungen aufgrund funktioneller (Raynaud-Syndrom) und morphologischer Veränderungen der Fingerarterien zu groß für eine
genaue Messung ist.
Die Geräte sollten die Standards mindestens eines internationalen Validierungsprotokolls erfüllen. Es haben sich
die Protokolle der British Hypertension Society (BHS) sowie der Association for the Advancement of Medical
Instrumentation (AAMI) durchgesetzt (1, 34). Bislang ist auf dem deutschen Markt nur ein Gerät verfügbar,
welches die Standards beider Protokolle mit hohem Grading erfüllte (Stand: Oktober 1997; 10, 35). Die
Patienteninstruktion sollte grundsätzlich durch einen Arzt erfolgen. Hinsichtlich der Details der
Patienteninstruktion sei auf entsprechende Empfehlungen der Deutschen Liga zur Bekämpfung des hohen
Blutdrucks verwiesen (13).
Datengewinnung und Datenanalyse
Die Patienten werden instruiert, den Blutdruck täglich morgens zwischen 6 und 8 Uhr sowie abends zwischen 18
und 20 Uhr vor Medikamenteneinnahme zu messen. Wird ein System mit automatischer Datenspeicherung
benutzt, können die ermittelten Blutdruckwerte, ähnlich wie bei der ABDM, über eine entsprechende Software
beurteilt werden. Der Hauptzielparameter ist der Durchschnittswert aller systolisch beziehungsweise diastolisch
gemessenen Blutdruckwerte. Nebenzielparameter sind ähnlich wie bei der ABDM minimale und maximale
Blutdruckwerte und die sogenannte blood pressure load (prozentualer Anteil an Werten > 140/90 mmHg). Zur
genauen Beurteilung des Therapieerfolges empfehlen wir sowohl bei bislang unbehandelten als auch
unbefriedigend eingestellten Hypertonikern zunächst eine zweiwöchige Ausgangsmessung. Die
Durchschnittswerte dieser Ausgangsmessung bieten Orientierungsdaten in der nachfolgenden Phase der
Dosistitration und Langzeitüberwachung. Nach unseren Erfahrungen liegen die am Morgen vor Medikation
gemessenen Blutdruckselbstmeßwerte ("trough"-Werte) bei antihypertensiv behandelten Hypertonikern höher
als die entsprechenden Tagesmittelwerte der ambulanten 24-Stunden-Blutdruckmessung. Der fehlende
therapeutische Effekt auf den frühmorgendlichen Blutdruckanstieg ist bei einzelnen Patienten möglicherweise
durch eine unzureichende 24-Stunden-Wirksamkeit der Medikation bedingt. Als Therapieziel
sollte ein Durchschnittswert unter 135/85 mmHg angestrebt werden, gemäß den Empfehlungen der Deutschen
Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdrucks und der amerikanischen Gesundheitsbehörde.
Kontrolle durch den Arzt
Wie bereits erwähnt, stehen für den deutschen Markt bereits Blutdruckselbstmeßgeräte mit automatischer
Datenspeicherung und -analyse zur Verfügung. Es ist hier eine ähnliche Entwicklung wie bei der ABDM zu
prognostizieren. Die wesentlichen Vorteile liegen in der Elimination von Untersucherfehlern sowie in der
statistischen Datenanalyse. Als weiteres wichtiges Argument für den Einsatz von Geräten, deren Daten durch
entsprechende Software in der ärztlichen Praxis analysiert werden können, ist die damit verbundene
Einbeziehung von ärztlichem Personal in die Dateninterpretation zu sehen. Die breite Anwendung eines solchen
Konzeptes wird von einer entsprechenden Vergütung der behandelnden Ärzte abhängen, die das System
erwerben und in ihrer Praxis anwenden. Ein entsprechender Qualifikationsnachweis zur Anwendung der
Methode der Selbstmessung sollte erbracht werden.
Sozioökonomische Aspekte
Die nachweisbare Verbesserung der Compliance (regelmäßigere Medikamenteneinnahme) darf schon als
kostensparend angesehen werden, wenn man von mittleren Complianceraten von 60 Prozent ausgeht. Hinweise,
daß die Selbstmessung tatsächlich kosteneffizient ist, ergaben sich aus einer Studie des "Kaiser Permanent
Medical Care"-Programms in San Francisco (37). Nach einem Jahr Beobachtungszeit waren die Kosten in der
Gruppe mit Blutdruckselbstmessung 29 Prozent niedriger als in der Kontrollgruppe und die Blutdruckeinstellung
deutlich besser. Eine bessere Langzeit-Blutdruckeinstellung durch die Anwendung der Blutdruckselbstmessung
bedeutet schließlich eine erhebliche Reduktion der Folgekosten von Schlaganfall, Herz- oder Nierenversagen.
!
Resümee
Die vorliegenden Daten zu diagnostischen, prognostischen und therapeutischen Aspekten der
Blutdruckselbstmessung zeigen, daß durch den Einsatz der Selbstmessung eine Verbesserung der
Langzeitkontrolle der arteriellen Hypertonie möglich ist.
Definitive Studien zur Klärung der Frage, ob die durch die Hypertonie bedingte kardiovaskuläre Morbidität und
Mortalität durch den Einsatz der Selbstmessung reduziert werden kann, stehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt
allerdings noch aus.
Anforderungen an Meßgenauigkeit, Meßmethodik und Dateninterpretation müssen durch nationale und internationale Gesundheitsorganisationen genauer definiert und standardisiert werden. Nur die ärztlich
kontrollierte Selbstmessung des Blutdrucks und die daraus resultierende Einbeziehung der ermittelten Daten in
therapeutische Entscheidungsprozesse stellen einen wirklichen Nutzen für den Patienten dar.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1998; 95: A-2833-2842
[Heft 45]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser
und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Hans Vetter
Medizinische Universitäts-Poliklinik
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Wilhelmstraße 35-37 · 53111 Bonn
Tabelle 1
Blutdruck-Paß eines unbehandelten Patienten mit hypertensiver Herzkrankheit
Datum Zeit Oberer Wert Unterer Wert Puls
1. Juli 7.00 140 87 81
19.15 132 83 86
2. Juli 7.10 120 76 78
19.15 142 68 78
3. Juli 7.10 151 72 80
19.00 151 88 87
4. Juli 7.00 139 80 84
19.05 140 79 89
5. Juli 7.10 171 89 87
19.10 140 84 84
6. Juli 7.10 157 87 85
19.15 142 86 87
7. Juli 7.10 137 88 84
19.05 142 89 77
8. Juli 7.00 119 76 76
19.10 139 83 82
9. Juli 7.10 137 80 84
19.20 132 76 78
10. Juli 7.00 153 86 81
19.10 143 82 85
Praxisblutdruck: 190/110 mmHg; Tagesmittelwert der ambulanten 24-Stunden-Messung: 143/84 mmHg (normal
< 135/85 mmHg). Es liegt trotz der relativ niedrigen Selbstmeßwerte eine therapiebedürftige Hypertonie vor!
Tabelle 2
Obere Normwerte für systolische und diastolische Werte von Blutdruckselbstmessungen zweier
Populationsstudien
Referenz Systolisch Diastolisch
Weisser et al., 1994 (38) 133 mmHg 86 mmHg
(n = 503)
Gaudemaris et al., 1994 (12) 127 mmHg 83 mmHg
(n = 390)
Tabelle 3
Korrelation von systolischer und diastolischer Blutdruckhöhe und linksventrikulärer Herzhypertonie. Vergleich
der Korrelationskoeffizienten von Praxismessung, ambulanter 24-Stunden-Messung und
Blutdruckselbstmessung mit linksventrikulärer Herzhypertrophie
Praxis- Ambulante Blutdruck messung 24-Stunden- selbstmessung
Messung
Referenz systo- diasto- systo- diasto- systo- diasto lisch lisch lisch lisch lisch lisch
Devereux 0,24 0,20 0,50 0,39
et al. (7)
Kleinert (20) 0,22 0,07 0,45 0,40
et al. (20
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