ArchivDeutsches Ärzteblatt19/1996Krankenkassenwahl: Zwangsabschiebung

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Krankenkassenwahl: Zwangsabschiebung

Korzilius, Heike

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LNSLNS Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muß ich fort . . ." – In dieses Lied können wohl demnächst die Sozialhilfeempfänger einstimmen, wenn die Idee des Sozialamtes der Stadt Bremerhaven Schule macht. Dort haben die Verantwortlichen den "pfiffigen" Plan ausgeheckt, ihren 1 550 Sozialhilfebeziehern den Wechsel in eine günstigere Krankenkasse ans Herz zu legen. Sie sollen die Allgemeine Ortskrankenkasse verlassen und der Techniker Krankenkasse beitreten. Das Sozialamt, das die Kassenbeiträge zahlen muß, hat ausgerechnet, daß dabei die erkleckliche Summe von rund 280 000 DM in der Stadtkasse verbleiben kann. Um seine Klientel für einen Wechsel ausreichend zu "motivieren", hat das Sozialamt den Sozialhilfeempfängern angedroht, daß sie andernfalls die Beitragsdifferenz aus eigener Tasche zu zahlen haben. Da nicht sicher ist, ob die angepeilte Ausgleichszahlung Rechtens ist, hat man inzwischen von diesem Vorhaben Abstand genommen. Man beläßt es bei der schlichten Empfehlung zu wechseln.
Anscheinend haben aber die Bremerhavener Sparer wenig darüber nachgedacht, welche Konsequenzen es hat, wenn abhängige Versicherte zur Manövriermasse werden. Man stelle sich vor, die Sozialhilfeempfänger klopfen tatsächlich alle an die Tür der Techniker Krankenkasse. Da sie als sogenannte schlechte Risiken gelten, die niedrige Beiträge zahlen und viele Leistungen beanspruchen, wird die Kasse über kurz oder lang ihre Beitragssätze erhöhen müssen. Da wird auch der Risikostrukturausgleich wenig helfen. Dann zieht die Karawane der Sozialhilfeempfänger auf Geheiß der Ämter weiter zur nächsten Kasse.
Eine unrealistische Vorstellung? Immerhin haben zuletzt die Ersatzkassen der neuen Betriebskrankenkasse für Heilberufe eine Zukunft als Billigversicherer für Sozial- und Arbeitsämter vorausgesagt. Spätestens dann habe der Spuk (der günstigen Beitragssätze) ein Ende (vgl. DÄ 17/1996). Im Bundesministerium für Gesundheit hält man sich mit Stellungnahmen zu dem Bremerhavener Plan zurück. Er sei kurzsichtig und undurchdacht, ließ eine Sprecherin lediglich verlauten.
Dennoch: Für die Hüter der Stadt- und Gemeindekassen scheint der finanzielle Aspekt dieses Plans durchaus attraktiv zu sein. So hat es in Duisburg und Bremen ähnliche Diskussionen gegeben. Auch dort sollen die Sozialhilfeempfänger auf ihre neuen Wahlmöglichkeiten hingewiesen werden – allerdings ohne die Androhung von Sanktionen. Ansonsten träumt man im Stadtstaat von einem kassenartenübergreifenden einheitlichen Beitragssatz für diese "Personengruppe". HK

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