ArchivDeutsches Ärzteblatt29-30/2013Leistungsbeeinflussende Substanzen im Breiten- und Freizeitsport: Trainieren mit allen Mitteln

THEMEN DER ZEIT

Leistungsbeeinflussende Substanzen im Breiten- und Freizeitsport: Trainieren mit allen Mitteln

Siegmund-Schultze, Nicola

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Foto: Fotolia/Aron Amant
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Leistungsverstärker sind nicht nur im Spitzensport, sondern auch unter Hobbyathleten verbreitet, die Risiken mangels ärztlicher Kontrolle teilweise höher. Der Hausarzt ist wesentlich für die Prävention.

Der 17-jährige Turner, ein Amateur, brachte zum Arzttermin eine Plastiktüte mit, darin mehrere Ampullen, kyrillisch beschriftet. Ob er ihm davon etwas spritzen könne, fragte der Patient den Sportmediziner Dr. med. Helmut Pabst, Inhaber einer Privatpraxis in Gilching bei München. Es war nicht die einzige Anfrage von Patienten zur Mitwirkung an Doping, die Pabst abgelehnt hat.

Er wurde in seiner langjährigen Tätigkeit ebenso wie andere Sportmediziner vergleichsweise häufig auf das Thema Doping angesprochen: nicht nur von Profis, sondern auch von Freizeit- und Breitensportlern. Nach Umfragen aus den vergangenen Jahren werden bei Sportärzten fast immer Nahrungsergänzungsmittel thematisiert und häufig – bei 62 bis 72 Prozent – Dopingmittel (1, 2). Doping-Nebenwirkungen waren bei jeweils etwa 25 Prozent der Ärzte Thema, jeweils 14 Prozent in beiden Studien gaben an, dass Bezugsquellen nachgefragt würden. Dies sind häufig Internetanbieter, Mitsportler und Bekannte.

Breitensport bildet mit den auf lokaler oder regionaler Ebene organisierten Wettkämpfen die breite Basis, aus der sich Spitzensportler rekrutieren. Freizeitsport ist nicht auf Wettkampf ausgerichtet. Der Begriff Doping beschreibt für den Spitzensport die Anwendung von Substanzen oder Methoden zur Leistungssteigerung, die in der aktuellen Liste der Welt-Antidoping-Agentur (WADA) verboten sind. Außerdem gibt es Medikamentenmissbrauch, der nicht unbedingt die Dopingdefinition erfüllt.

Frei verkäufliche oder verschreibungspflichtige Medikamente werden ohne medizinische Indikation angewendet, Analgetika zum Beispiel. Sie sollen die Schmerzschwelle und damit die körperliche Belastbarkeit erhöhen und ermöglichen offenbar manchem Hobbysportler überhaupt erst das Training. „In der ärztlichen Praxis sieht man erstaunlich viele, oft junge Patienten, die die Vorstellung haben: ‚Man nimmt etwas, und dann klappt das schon mit dem Erreichen des Trainingsziels‘“, sagt Pabst. „Das ist naiv. Dazu ist ein auf die individuellen Möglichkeiten und Ziele abgestimmter fachlich guter Trainingsplan nötig, abgesehen davon, dass die Patienten zum Teil hohe Risiken in Kauf nehmen.“

Überforderung bei Nichtprofis

Nach der langjährigen Erfahrung von Pabst gehören Patienten, die leistungssteigernde oder schmerzstillende Mittel im Rahmen des Breitensports anwenden, vor allem zu drei Gruppen: Es sind 15-, 16-Jährige an der Schwelle zum Kaderathleten, bei denen die Steigerung der körperlichen Leistung erstmals ins Stocken geraten ist. Es sind Vierzig-, Fünfzigjährige, beruflich erfolgreich, die in einer guten Amateurklasse Sport treiben und sich durch Verletzungen oder nachlassende Leistungsfähigkeit zurückfallen sehen. Und es sind ambitionierte Einsteiger in den Breitensport, die sich überfordern, oft in Trendsportarten wie Marathon, Triathlon, Radfahren, aber auch Ballsportarten und Golf.

„Die Grenzen zwischen Leistungs- und Breitensport verschwimmen zunehmend“, beobachtet der Psychiater Dr. med. Valentin Markser aus Köln, der sich mit Sportpsychiatrie beschäftigt. „Ich sehe immer häufiger Patienten, die nichtprofessionell Sport treiben und sich überschätzen – bis hin zum Übertrainingssyndrom, das im Profisport vermieden wird, weil es einen Leistungsknick und depressive Verstimmungen auslösen kann.“

Trainingsziel sind mehr Kraft und Ausdauer, teilweise wird auch ein perfektes äußeres Erscheinungsbild über mehr Muskelmasse angestrebt. „Freizeit- und Breitensportler, die dopen, haben oft den Hausarzt als einzigen Ansprechpartner für gesundheitliche Folgeschäden. Der Hausarzt hat damit eine entscheidende Rolle für die Prävention“, sagt Dr. med. Michael Fritz, Allgemein- und Sportmediziner in Viersen. Patienten aus seinem praktischen Erfahrungsbereich, die offensichtlich leistungssteigernde Mittel nehmen, machen vor allem Krafttraining oder Bodybuilding: junge 16- bis 18-jährige Männer mit überfliegendem Ehrgeiz und wenig Lebenserfahrung auf der Suche nach sozialer Anerkennung.

Insulin als Dopingmittel

Anabole androgene Steroide (AAS) wie Testosteron und seine Derivate gehören noch immer zu den „Rennern“ unter den Leistungsverstärkern: bei den Ausdauer- und Kraftsportarten ebenso wie im Bodybuilding, häufig in Kombination mit anderen Medikamenten. Da der Körper AAS zu Östrogenderivaten umwandelt, werden teilweise Antiöstrogene angewandt, um Wassereinlagerungen und Gynäkomastie zu verhindern. Auch Wachstumshormon, für Profisportler wegen guter Nachweisbarkeit uninteressant, ist bei Hobbyathleten beliebt: Es steigert den Muskelzuwachs über die Erhöhung der Proteinsynthese, kann allerdings vorübergehende Spitzen bei den Blutzuckerwerten hervorrufen. Daher, heißt es in einschlägigen Foren, könnten Wachstumshormone mit Insulin kombiniert werden.

Es soll Blutzuckerspitzen kappen, hat einen leicht anabolen Effekt und beschleunigt die Regeneration, indem es den Proteinabbau hemmt und die Glykogensynthese fördert. Die missbräuchliche Anwendung von Insulin aber kann eine unter Umständen tödliche Hypoglykämie durch Überdosierung zur Folge haben. „Als Nichtdiabetiker wissen die Anwender oft nicht, dass Insulin gefährlicher ist als viele andere leistungssteigernde Substanzen“, erläutert Priv.-Doz. Dr. med. Dr. rer. nat. Dr. Sportwiss. Christoph Raschka, Allgemeinmediziner in Hünfeld.

Bislang gab es wenig belastbare Daten zur Häufigkeit der Anwendung leistungsbeeinflussender Mittel im Freizeitsport. Das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin stellte zum Stand der Forschung im Jahr 2011 fest, die bislang durchgeführten Studien zu dieser Fragestellung seien entweder regional begrenzt, umfassten nur kleine Stichproben und ermöglichten keine repräsentativen Aussagen (3). „Mein Eindruck ist, dass die Anwendung leistungssteigernder Substanzen im Freizeit- und Breitensport quantitativ eher rückläufig ist“, meint der Sportmediziner Prof. Dr. med. Herbert Löllgen aus Remscheid.

Prof. Dr. rer. nat. Mario Thevis von der Deutschen Sporthochschule (DSHS) in Köln ist skeptisch. „Ich glaube, dass Doping im Freizeit- und Breitensport das Ausmaß im Profibereich sogar übertreffen könnte: weil es keine Kontrollen gibt und die Verfügbarkeit durch weltweite Bezugsquellen über das Internet eher größer geworden ist.“ Generell dürfte bei Umfragen zu leistungsbeeinflussenden Substanzen und Dopingmitteln von einer hohen Dunkelziffer auszugehen sein: Es handelt sich um nicht überprüfbare Selbstauskünfte.

Die erste Studie, die auf ein „größeres Ausmaß“ im Bereich von Fitnessstudios hinweist, wurde 1998 im Deutschen Ärzteblatt publiziert (4). Forscher der Universitätsklinik Lübeck befragten knapp 500 Besucher in 24 norddeutschen Studios, die Rücklaufquote betrug 52 Prozent (n = 255, darunter 51 Frauen). Insgesamt gaben 21 Prozent eine aktuelle oder frühere Einnahme von anabolen Steroiden zur Unterstützung des Muskelwachstums an: 24 Prozent der Männer (49/204) und acht Prozent der Frauen (4/51), am häufigsten im Alter zwischen 21 und 25 Jahren. Es überwogen orale Präparate mit einem hohen first-pass in der Leber und einer daraus resultierenden erheblichen Toxizität, vor allem Stanozolol, Methandrostenolon, Nandrolon und Testosteron.

Ein ähnliches Ergebnis hatte eine Umfrage unter elf Fitnessstudios im Raum Frankfurt/M.: Knapp jeder vierte Nutzer kommerzieller Fitnessstudios wendete Dopingmittel an, 28 Prozent der Anwender nannten auch Ärzte als Bezugsquelle (5).

Die 2011 publizierte KOLIBRI-Studie des RKI ist die bislang umfangreichste epidemiologische Untersuchung zur Häufigkeit des Konsums leistungsbeeinflussender Mittel in Alltag und Freizeit in Deutschland (3). Gefragt wurde nach der Verwendung von verschreibungspflichtigen und frei verkäuflichen Mitteln, die die körperliche Leistungsfähigkeit oder das psychische Wohlbefinden bessern sollen: Mittel zum Muskelaufbau, zur Leistungssteigerung im engeren Sinne (wie EPO, Betablocker, Stimulanzien), zum Abnehmen, Schmerz-, Beruhigungs- und Schlafmittel, Vitamin-, Protein- und Mineralstoffpräparate, inklusive Substanzen der WADA-Liste. Die Teilnehmer waren 19 bis 97 Jahre alt; circa 68 Millionen Einwohner dieser Altersgruppe gab es im Befragungszeitraum (6). Die Fragebogen von 6 142 Personen konnten ausgewertet werden. Danach ergibt sich eine Gesamtprävalenz der Verwendung leistungsbeeinflussender Mittel ohne medizinische Notwendigkeit in den letzten zwölf Monaten von 9,5 Prozent: 10,0 Prozent bei den Frauen, 9,1 Prozent bei den Männern. Verschreibungspflichtige Medikamente hatten 5,6 Prozent angewendet (6,2 Prozent Frauen, 5,0 Prozent Männer) und 3,7 Prozent frei verkäufliche Präparate (3,6 Prozent Frauen, 3,7 Prozent Männer). In der Gruppe der sportlich Aktiven gaben 7,1 Prozent an, verschreibungspflichtige Mittel ohne medizinische Indikation verwendet zu haben, inklusive Dopingmitteln, vor allem Stimulanzien (Amphetamine).

Trendsportarten mit Risiken

„Die Ergebnisse lassen nicht den Schluss zu, dass ein großer Teil der Bevölkerung oder der Sporttreibenden regelmäßig zu verschreibungspflichtigen, leistungssteigernden Substanzen oder Dopingmitteln greifen würde“, so das Resümee der RKI-Studie. Eine missbräuchliche Anwendung verschreibungspflichtiger Arzneimittel könne bei circa sechs Prozent vermutet werden. In bestimmten Gruppen, wie Fitnessstudiobesuchern, sei die Anwendung leistungsbeeinflussender Mittel aber deutlich häufiger (Grafik).

Verwendung leistungsbeeinflussender Mittel beim Trainieren im Fitnessstudio
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Verwendung leistungsbeeinflussender Mittel beim Trainieren im Fitnessstudio

Fitnessstudios ermöglichen wetterunabhängig das selektive Trainieren von Muskelgruppen, die Durchlässigkeit zum Wettkampfsport ist gegeben. Seit Anfang der 80er Jahre hat sich die Zahl der Fitnessstudios in Deutschland mehr als versechsfacht (7). Andere Trendsportarten wie Rennradfahren, Triathlon, Marathon und Halbmarathon haben zwischen April und September Hochkonjunktur. Viele haben inzwischen internationalen Wettkampfcharakter und ziehen Profis und ambitionierte Amateure gleichermaßen an. Der Bonn-Marathon/Halbmarathon im April dieses Jahres zum Beispiel brachte circa 12 000 Läufer auf die Beine, beim Berlin-Marathon waren es zuletzt circa dreimal so viele. Bei höher platzierten Sportlern werden Dopingkontrollen gemacht. Um eine gute Zeit laufen zu können, müsse man einige Jahre trainieren, sagt Pabst. Seiner Einschätzung nach wenden circa zehn Prozent der ambitionierten Läufer Erythropoetin an zur Erhöhung der Ausdauerleistung und/oder AAS zum Muskelaufbau.

AAS sind in vielen westlichen Ländern über den Profisport hinaus verbreitet. Fallbeschreibungen und kleinere Kohortenstudien weisen auf eine geringere Stressbelastungsfähigkeit des Herzens nach AAS-Anwendung durch eine höhere Herz- und Gefäßwandsteifigkeit hin sowie auf ein erhöhtes Myokardinfarktrisiko (8). Linksherzhypertrophie mit verminderter linksventrikulärer Funktion und eine erhöhte Neigung zu Schlaganfall, arteriellen Thrombosen und pulmonalen Embolien wurden beobachtet.

Weitere Risiken ergeben sich bei der Anwendung von Leistungsverstärkern aus der Herkunft der Mittel: „Der Schwarzmarkt floriert, begünstigt durch das Internet“, erläutert Thevis. Am Institut für Biochemie der DSHS werden vom Zoll beschlagnahmte Präparate und Proben aus eigenen Testkäufen analysiert. Ergebnis für AAS: Bei circa 40 Prozent der analysierten Präparate entsprachen Dosierungen oder Inhaltsstoffe nicht den Angaben. Statt Testosteron sei zum Beispiel das deutlich stärker leberschädigende Methyltestosteron enthalten gewesen. Als Muskelaufbaupräparate ausgewiesene Mittel hätten weder Wachstumshormon noch Anabolika, sondern Insulin enthalten.

„Gesundheitsrisiken sind bei Doping im Freizeit- und Breitensport vermutlich deutlich höher als im Profisport, weil es weniger medizinische Betreuung gibt, weniger Qualitätskontrollen der Substanzen und Präparate und keine zuverlässigen Daten zu Risiken und Nebenwirkungen der unterschiedlichsten Rezepturen“, sagt Thevis.

Bei regelmäßigen Testkäufen stellen er und seine Mitarbeiter fest: Das meiste, was die Forscher an Dopingmitteln vermuten, ist auf dem Markt erhältlich. Darunter ein ausdauerleistungsförderndes Medikament, das zuerst im Profiradsport gefunden und für die Indikation metabolisches Syndrom klinisch geprüft wurde. Weger erhöhter Tumorrisiken wurde die klinische Prüfung abgebrochen.

Auch neue Substanzen mit unklarem Nebenwirkungsprofil sind erhältlich: der den Stoffwechsel anregende nukleäre Transkriptionsfaktor PPAR delta etwa oder der modifizierte insulinähnliche Wachstumsfaktor LongR3, für den Spitzensport wegen langer Nachweisbarkeit ungeeignet.

Analgetika beim Marathon

Unter den Läufern sind allerdings Analgetika vermutlich die am häufigsten angewandten leistungsbeeinflussenden Mittel. „Viele der ambitionierten Läufer, die ich in meiner Praxis berate, meinen, ohne Schmerzmittel nicht mehr auszukommen“, berichtet Löllgen. „Sie riskieren nicht nur Schäden an inneren Organen, sondern auch, dass sie vorzeitig eine Hüftendoprothese oder ein künstliches Kniegelenk benötigen. Eine wichtige Prävention wäre stattdessen, Gelenkfehlstellungen auszugleichen.“

In Bezug auf Analgetika fehle es an Problembewusstsein, konstatieren auch Forscher vom Schmerzzentrum DGS in Bonn-Bad Godesberg und vom Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Universität Erlangen (9, 10). In einer aktuell publizierten prospektiven Kohortenstudie (11) haben sie untersucht, wie hoch der Prozentsatz der Teilnehmer des Bonn-Marathon/Halbmarathons 2010 war, der vor dem Lauf Schmerzmittel eingenommen hatte, und ob die Einnahme mit akuten Nebenwirkungen korrelierte.

3 913 von 7 048 befragten Teilnehmern hatten die Fragen komplett beantwortet. Die Männer waren durchschnittlich 40, die Frauen 39 Jahre alt. 49 Prozent (n = 1 931) gaben an, vor dem Start Analgetika genommen zu haben, um Schmerzen während des Laufs oder danach zu reduzieren, davon waren 54 Prozent der Substanzen nicht verschrieben. 1 982 Teilnehmer ohne Analgetikaeinnahme (51 Prozent) bildeten die Kontrollgruppe.

Hohe Nebenwirkungsrate

In der Analgetikagruppe wurde am häufigsten Diclofenac eingenommen (47 Prozent), von elf Prozent in höherer Einzeldosierung als für den rezeptfreien Gebrauch empfohlen. Am zweithäufigsten gewählt wurde Ibuprofen (37 Prozent), wobei 43 Prozent der Anwender 800 mg oder mehr einnahmen, also mindestens das Doppelte der rezeptfrei empfohlenen Einzeldosis. Acetylsalicylsäure wurde seltener und meist niedrig dosiert angewandt.

Gastrointestinale Krämpfe machten mit 14 Prozent in der Verumgruppe die häufigste Nebenwirkung aus (< ein Prozent in der Kontrollgruppe); vier Teilnehmer, die vor dem Start Analgetika genommen hatten, berichteten über stationäre Aufnahmen wegen gastrointestinaler Blutungen, darunter ein blutendes Ulcus. Es gab eine Korrelation zwischen Dosis und Nebenwirkung. Neun Prozent der Analgetikaanwender gaben kardiovaskuläre Ereignisse an, darunter zwei schwere Fälle mit Angina pectoris, Arrhythmien und Herzinfarkt nach dem Lauf. Beide Sportler erholten sich.

Weitere vier Prozent berichteten über Hämaturien (0 in der Kontrollgruppe), drei Teilnehmer, die Ibuprofen genommen hatten, wurden wegen akuten Nierenversagens (reversibel) stationär behandelt. Insgesamt war das Risiko für Nebenwirkungen unter Analgetika um das Fünffache erhöht, die Number Needed to Harm betrug acht. 93 Prozent der Gesamtgruppe berichteten, über die besonderen Risiken von Schmerzmitteln bei hoher Ausdauerleistung nicht informiert gewesen zu sein.

Zyklooxygenasehemmer wie Diclofenac oder Ibuprofen wirken während der Anstrengung nur mäßig und verhindern nach dem Sport nicht zuverlässig Muskel- oder Gelenkschmerzen, konstatieren der Erlanger Pharmakologe Prof. em. Dr. med. Kay Brune und Kollegen (10). Diese Analgetika sollten, wenn überhaupt, nach der Belastung und nur nach ausreichender Flüssigkeits- und Salzzufuhr eingenommen werden. Generell sollte nur so viel Sport betrieben werden, wie der Körper schmerzmittelfrei verkrafte.

Wie aber soll der Arzt mit Patienten umgehen, von denen er vermutet, dass sie dopen oder andere leistungsbeeinflussende Substanzen anwenden? „Der Patient ist meist von der Sorge um Nebenwirkungen getrieben, und das ist ein wichtiger Ansatzpunkt, einen Kontakt herzustellen und zu halten mit einem präventiven Ziel“, sagt Fritz. Meist würden Doping oder Medikamentenmissbrauch geleugnet. Stattdessen gäben Patienten Vorzeigebeschwerden an, mit dem Ziel, dass der Arzt sie durch Überwachung vor möglichen Schäden schützt.

„Typische Vorzeigebeschwerden bei Doping zum Muskelaufbau sind Leistungsabfall, Schlaflosigkeit, depressive Verstimmung, Wassereinlagerungen in den Beinen, Arrhythmien, Luftnot, heller Stuhl. Sie sollen bewirken, dass Blutbild, Schilddrüsenfunktion, Elektrolythaushalt und Laborwerte kontrolliert, ein Ultraschall von Herz und Leber und ein Belastungs-EKG gemacht werden“, berichtet Fritz. Vergleichbar dem Abusus anderer Substanzen, sei der Arzt verpflichtet zu behandeln.

Ob es insgesamt eine zunehmende Bereitschaft zur Steigerung von Fitness und Körperbild mit fremden Mitteln gibt oder das negative Vorbild Spitzensport in den Breiten- und Freizeitsport hineinwirkt, lässt sich schwer ermessen. Der Staat jedenfalls möchte Doping auch mit den Mitteln des Rechts bekämpfen. Wie wirksam dies geschieht, ist umstritten. Kürzlich wurden die ersten fünf Jahre des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport bilanziert: Die Gutachter machten rechtliche Lücken aus (12).

Neue Gesetzesbestimmungen

Im Juni nun hat der Deutsche Bundestag beschlossen, das Gesetz zu ändern: Es ist künftig nicht nur der Besitz, sondern auch der Erwerb von Substanzen in nicht geringen Mengen strafbewehrt mit bis zu drei Jahren Freiheits- oder Geldstrafe (13). Der Staat will ein Zeichen setzen für Fair Play und Gesundheit im Sport. Er fördert schließlich nicht nur den Spitzen-, sondern auch den Breiten- und Freizeitsport. Einigkeit besteht darin, dass Prävention wichtiger ist als Strafe. Für die Prävention haben Ärzte eine wesentliche Funktion.

Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze

@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit2913

Dopen ähnelt einer Sucht

Dopen hat einen suchtähnlichen Charakter, oft kombiniert mit einem gewissen Narzissmus und einem gestörten Körperbild. Einer meiner Patienten macht Bodybuilding, sein Körperbau hat ihm eine berufliche Nische erschlossen. Er wendet Anabolika an und hat Phasen, in denen er die Substanzen wegen unerwünschter Wirkungen reduzieren oder absetzen möchte. Der Patient hat mir von seiner psychischen Abhängigkeit berichtet: von einem Hochgefühl, wenn er merkt, wie der Körper aus einem Trainingstief auf das Spritzen von Anabolika mit Muskelaufbau reagiert.

Es entwickelt sich bei ihm ein Gefühl von Stärke, von Unbesiegbarkeit. Dieser Patient hat aber als Nebenwirkung auch schwere Aggressionszustände entwickelt bis hin zur Notwendigkeit einer Einweisung in die Psychiatrie. Es ist wichtig, die Arzt-Patienten-Beziehung trotz Kenntnis von Doping aufrechtzuerhalten und weiter zu behandeln, ohne sich als Arzt instrumentalisieren zu lassen.

Dr. med. Michael Fritz, Allgemein- und Sportmediziner in Viersen

AnZeichen für Doping

Von einem jungen Mann, einem meiner Patienten, berichtete die Mutter über Verhaltensänderungen und hochrotem Kopf. Seit einiger Zeit trainiere er in einem Fitnessstudio und lasse sich Vitamintabletten schicken. Als ich den Patienten sah und untersuchte, drängte sich der Verdacht eines Anabolikamissbrauchs wegen eines veränderten Erscheinungsbilds auf: deutliche Zunahme an Muskelmasse, hochrotes Gesicht, stark erhöhter systolischer und diastolischer Blutdruck und Akne, vermutlich eine Steroidakne.

Weitere sichtbare Zeichen eines Anabolikamissbrauchs, die ich bei Patienten beobachtet habe, sind Seborrhö, Alopezie und Gynäkomastie. Auch wenn ein Anabolikagebrauch nicht bestätigt wird, informiere ich über Risiken, darunter Hodenhypotrophie und Infertilität, die sich schon nach vergleichsweise kurzer Zeit entwickeln können.

Priv.-Doz. Dr. med. Dr. rer. nat. Dr. Sportwiss. Christoph Raschka, Allgemeinmediziner in Hünfeld (Hessen)

1.
Raschka C, Ziegler R, Grebe W, Vennemann N, Schmidt-Saloff S, Tusk I: Doping 2012 – eine aktuelle Befragung hessischer SportmedizinerInnen zur Erfahrung mit Doping. Prävention und Rehabilitation 2013; 25: 25–9
2.
Peters C, Selg PJ, Schulz T, Pabst H, Michna H: Die Dopingproblematik aus Sicht des Sportmediziners: Erfahrungen von deutschen Verbandsärzten und bayerischen Sportmedizinern. Dtsch Z Sportmed 2007; 58: 160–77
3.
Hoebel J, Kamtsiuris P, Lange C, Müters S, Schilling R, von der Lippe E: Kolibri – Studie zum Konsum leistungsbeeinflussender Mittel im Alltag und Freizeit. Ergebnisbericht. Robert-Koch-Institut Berlin, 2011
4.
Boos C, Wulff P, Kujath P, Bruch HP: Medikamentenmißbrauch beim Freizeitsportler im Fitnessbereich. Dtsch Arztebl 1998; 95: A 953–7 VOLLTEXT
5.
Raschka C, Chmiel C, Preiß, R, Boos K: Wie verbreitet ist Doping bei Freizeitsportlern? MMW 2013; 12: im Druck
6.
Bundesamt für Statistik, Altersstruktur am 31.12.2010
7.
Müller-Platz C, Boos C, Müller RK: Doping beim Freizeit- und Breitensport. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Robert-Koch-Institut Berlin 2006
8.
Angell P, Chester N, Green D, Somauroo J, Whyte G, George K: Anabolic steroids and cardiovascular risk. Sports Med 2012; 42: 1–16 CrossRef MEDLINE
9.
Brune K, Niederweis U, Krämer BK: Sport und Schmerzmittel. Unheilige Allianz zum Schaden der Niere. Dtsch Arztebl 2008; 37: A 1894–7 VOLLTEXT
10.
Brune K, Niederweis U, Küster M, Renner B: Laien- und Leistungssport. Geht nichts mehr ohne Schmerzmittel? Dtsch Arztebl 2009; 46: A 2302–4 VOLLTEXT
11.
Küster M, Renner B, Oppel P. Niederweis U, Brune K: Consumption of analgetics before a marathon and the incidence of cardiovascular, gastrointestinal, and renal problems. BMJ Open 2013; doi: 10.1136/bmjopen-2012-002090 CrossRef
12.
Bericht der Bundesregierung zur Evaluation des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport. Bundesministerium des Innern, Bundesministerium für Gesundheit. September 2012. www.bmi.bund.de
13.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode; Drucksache 17/13770
14.
Weitere Quellen: Raschka C, Nowacki PE, Zichner L, May R: Doping. Klinik, Wirkstoffe, Methoden, Prävention. Schattauer Verlag Stuttgart 2010
15.
Clasing D ( Hrsg.): Doping und seine Wirkstoffe – verbotene Arzneimittel im Sport. Spitta Verlag Balingen 2006
Verwendung leistungsbeeinflussender Mittel beim Trainieren im Fitnessstudio
Grafik
Verwendung leistungsbeeinflussender Mittel beim Trainieren im Fitnessstudio
1.Raschka C, Ziegler R, Grebe W, Vennemann N, Schmidt-Saloff S, Tusk I: Doping 2012 – eine aktuelle Befragung hessischer SportmedizinerInnen zur Erfahrung mit Doping. Prävention und Rehabilitation 2013; 25: 25–9
2.Peters C, Selg PJ, Schulz T, Pabst H, Michna H: Die Dopingproblematik aus Sicht des Sportmediziners: Erfahrungen von deutschen Verbandsärzten und bayerischen Sportmedizinern. Dtsch Z Sportmed 2007; 58: 160–77
3.Hoebel J, Kamtsiuris P, Lange C, Müters S, Schilling R, von der Lippe E: Kolibri – Studie zum Konsum leistungsbeeinflussender Mittel im Alltag und Freizeit. Ergebnisbericht. Robert-Koch-Institut Berlin, 2011
4.Boos C, Wulff P, Kujath P, Bruch HP: Medikamentenmißbrauch beim Freizeitsportler im Fitnessbereich. Dtsch Arztebl 1998; 95: A 953–7 VOLLTEXT
5.Raschka C, Chmiel C, Preiß, R, Boos K: Wie verbreitet ist Doping bei Freizeitsportlern? MMW 2013; 12: im Druck
6.Bundesamt für Statistik, Altersstruktur am 31.12.2010
7.Müller-Platz C, Boos C, Müller RK: Doping beim Freizeit- und Breitensport. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Robert-Koch-Institut Berlin 2006
8.Angell P, Chester N, Green D, Somauroo J, Whyte G, George K: Anabolic steroids and cardiovascular risk. Sports Med 2012; 42: 1–16 CrossRef MEDLINE
9.Brune K, Niederweis U, Krämer BK: Sport und Schmerzmittel. Unheilige Allianz zum Schaden der Niere. Dtsch Arztebl 2008; 37: A 1894–7 VOLLTEXT
10.Brune K, Niederweis U, Küster M, Renner B: Laien- und Leistungssport. Geht nichts mehr ohne Schmerzmittel? Dtsch Arztebl 2009; 46: A 2302–4 VOLLTEXT
11.Küster M, Renner B, Oppel P. Niederweis U, Brune K: Consumption of analgetics before a marathon and the incidence of cardiovascular, gastrointestinal, and renal problems. BMJ Open 2013; doi: 10.1136/bmjopen-2012-002090 CrossRef
12. Bericht der Bundesregierung zur Evaluation des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport. Bundesministerium des Innern, Bundesministerium für Gesundheit. September 2012. www.bmi.bund.de
13.Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode; Drucksache 17/13770
14.Weitere Quellen: Raschka C, Nowacki PE, Zichner L, May R: Doping. Klinik, Wirkstoffe, Methoden, Prävention. Schattauer Verlag Stuttgart 2010
15.Clasing D ( Hrsg.): Doping und seine Wirkstoffe – verbotene Arzneimittel im Sport. Spitta Verlag Balingen 2006

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