POLITIK: Leitartikel
Vorschaltgesetz: Neue Regierung auf alten Pfaden
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mit geringeren Belastungen für die Versicherten. Für die Ärzte bedeutet dies zunächst: strenge Ausgabendisziplin innerhalb enger Budgetgrenzen.
Wenn alles anders werden soll, darf es zunächst einmal nicht teurer werden. Kostendämpfung ist deshalb für das Gesundheitswesen auch kein neuer Begriff - erst recht nicht im Vorfeld einer angekündigten großen Strukturreform. Wie schon Norbert Blüm und Horst Seehofer bei der Vorbereitung ihrer Gesundheitsreformen beschreitet nun auch Andrea Fischer denselben Weg: mit dem "Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der Gesetzlichen Krankenversicherung", bislang besser als Vorschaltgesetz bekannt.
Das vorläufige Aus für Regelleistungsvolumen
Von der strikten Ausgabenbegrenzung sind alle Leistungsbereiche betroffen - am stärksten die ambulante Versorgung, weil die Bundesregierung hier das meiste in eigener Kompetenz regeln kann. Das Wichtigste vorweg: Regelleistungsvolumen sind aus dem Gesetz gestrichen, es gilt wieder ein festes Budget, das nicht überschritten werden darf. Die für die Kassenärzte positive Weiterentwicklung der Vergütungsstruktur ist damit beseitigt - ohne Not, wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung kritisiert. Richtgrößen für Arzneimittel bleiben zwar erhalten; sie lösen aber nicht mehr das Arzneimittelbudget ab. Im Gegenteil: Überschreiten die niedergelassenen Ärzte die ihnen zugestandene Ausgabengrenze bei den Verordnungen, müssen sie bis zu fünf Prozent der Überschreitung aus ihren Honoraren ausgleichen. Das kann in der Summe bis zu 1,85 Milliarden DM ausmachen. Die gute Nachricht: Alle in der Vergangenheit aufgelaufenen Überschreitungsbeträge bei Arzneimitteln sind gestrichen. Die Kassenärzte müssen diese "Altschulden" nicht mehr begleichen. Das neue Arzneimittelbudget liegt bei rund 37 Milliarden DM. Es basiert auf den Ausgaben von 1996 abzüglich der jetzt wegfallenden Zuzahlungen der Versicherten in Höhe von 1,75 Milliarden DM. Es kann aber in Verhandlungen zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen um Beträge für Innovationen oder demographische Faktoren über einen Zeitraum von drei Jahren erhöht werden. Eine Neuordnung des Arzneimittelmarktes dürfte mit der großen Strukturreform kommen. Die Regierung plant eine Positivliste.
Das Honorarbudget setzt auf dem Vergütungsvolumen von 1997 auf. Es wird um die prozentuale Steigerung der Löhne und Gehälter in 1998 und (immerhin) zusätzlich um ein Prozent erhöht. Neu ist, daß KVen und Krankenkassen die Honorarverhandlungen bis zum 31. März des kommenden Jahres abgeschlossen haben müssen. Gelingt dies nicht, setzen die Schiedsämter die Verträge fest. Neu ist ferner eine Verschärfung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Der Gesetzgeber verpflichtet die Prüfgremien zur regelmäßigen Kontrolle von Tagesprofilen. Das heißt: Die Abrechnungen werden gezielt unter dem Aspekt geprüft, ob die abgerechneten Leistungen an den jeweiligen Tagen zeitlich tatsächlich auch erbracht werden konnten.
Als problematisch dürfte sich die Einbindung der Psychotherapeuten in die Gesamtvergütung erweisen. Hier sieht das Gesetz das Ausgabenvolumen von 1997 plus 20 Prozent vor. Allerdings werden infolge des Psychotherapeutengesetzes einige tausend Psychologische Psychotherapeuten hinzukommen. Ob die Mittel dann noch ausreichen, um eine halbwegs akzeptable Vergütung zu gewährleisten, muß bezweifelt werden.
Hausärztliche Versorgung
Das Hausarztmodell ist im Vorschaltgesetz nicht angesprochen. Das wird im wesentlichen der großen Strukturreform vorbehalten sein. Allerdings stellt das jetzige Gesetz bereits die Weichen zur Förderung der hausärztlichen Versorgung. Das Vorschaltgesetz regelt, daß sich die Krankenkassen im Rahmen des "Initiativprogramms zur Sicherstellung der allgemeinmedinischen Versorgung" an der Finanzierung von Weiterbildungsstellen für angehende Allgemeinärzte beteiligen dürfen. Um eine Verlängerung der Weiterbildungszeit auf fünf Jahre und damit letztlich die Gliederung der medizinischen Versorgung in eine haus- und eine fachärztliche voranzutreiben, müssen zusätzliche Stellen finanziert werden.
Dazu hatte ein Arbeitsausschuß der Gesundheitsministerkonferenz der Länder im Frühjahr das "Initiativprogramm" erarbeitet. Danach sollen innerhalb von fünf Jahren 7 500 Stellen für die allgemeinmedizinische Weiterbildung geschaffen werden. Die Kassen sollen sich in den ersten beiden Jahren an der Anschubfinanzierung beteiligen. Im Krankenhaus fördern sie jede Stelle mit maximal 2 000 DM, ebenso in den Praxen niedergelassener Ärzte, allerdings paritätisch mit den Kassenärztlichen Vereinigungen.
Das Vorschaltgesetz ermöglicht die vereinbarte Finanzierung, befristet vom 1. Januar 1999 bis zum 31. Dezember 2000. Weiter regelt es, daß in Krankenhäusern nur bereits bestehende, für die allgemeinärztliche Weiterbildung umgewidmete Stellen bezuschußt werden können. Die Zahl der geförderten Stellen darf 1999 insgesamt 3 000 und im Jahr 2000 insgesamt 6 000 Stellen nicht überschreiten. Die finanzielle Belastung der gesetzlichen Krankenkassen beläuft sich auf maximal 216 Millionen DM. Das Nähere über den Umfang und die Durchführung der finanziellen Beteiligung regeln zweiseitige Verträge, die die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen gemeinsam und einheitlich jeweils mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft vereinbaren. Vom Verlauf der Verhandlungen wird also abhängen, wann und wie das Initiativprogramm gestartet werden kann. Schon gibt es aber kritische Stimmen: Die Spitzenverbände der Krankenkassen monieren, daß das vorliegende Gesetz lediglich die Finanzierung regeln soll. Notwendige Strukturänderungen wie eine Anpassung der Bedarfsplanung blieben ausgespart. Ebenfalls auf Bundesebene und möglichst umgehend müsse eine verbindliche Anschlußregelung getroffen werden, die den Fortbestand des Programms über die ersten zwei Jahre hinaus sichert - ein Punkt, der auch der Bundesärztekammer am Herzen liegt.
Wenngleich sich die meisten Regelungen auf die ambulante Versorgung und deren Strukturen beziehen, spart das Vorschaltgesetz die Krankenhäuser dennoch nicht aus. Sie sollen über ein enges und konsequentes Budget und weitere strukturelle Maßnahmen in die von der Politik vorgegebene strikte Kostendämpfungspflicht und Ausgabendrosselung einbezogen werden. Bei der Ausgabenentwicklung soll mit den übrigen Leistungssektoren, was die Begrenzungsmaßnahmen betrifft, völlig gleichgezogen werden (dies war bisher nicht immer der Fall; bis auf 1997 war der Krankenhaussektor stets der "Ausreißer"). Die sofortige Aussetzung des Krankenhaus"Notopfers" für die Jahre 1998 und 1999 führt bei der Gesetzlichen Krankenversicherung zu Einnahmenminderungen in Höhe von 730 Millionen DM jährlich. Allerdings haben viele Krankenkassen bereits im Vorgriff auf das 20-DM-"Jahresnotopfer" ihren hieraus zu finanzierenden 1,1-Prozent-Budgetzuschlag für 1998 an die Krankenhäuser geleistet. Reparaturaufwendungen wurden damit bereits finanziert.
Krankenhäuser fürchten um Arbeitsplätze
Die relativ starre Budgetdekkelung könnte, so die Befürchtungen sowohl der Deutschen Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG) als auch der Klinikärzteorganisation Marburger Bund, Zehntausenden Fachkräften ihren Job kosten, verhindern, daß bedarfsnotwendiges Zusatzpersonal eingestellt wird und die gesetzlichen Auflagen erfüllt werden (zum Beispiel beim Arbeitszeitgesetz). Die Klinikträger und das Fachpersonal kritisieren zudem, daß zwar die Budgets für die einzelnen Häuser des Jahres 1998 fortgeschrieben werden sollen, dabei allerdings die Zahl der Fälle nicht berücksichtigt werden soll, die die Krankenhäuser im laufenden Jahr mehr behandelt haben werden, also diejenigen, die nicht bei der prospektiven Festsetzung des Budgets berücksichtigt werden. Dies trifft vor allem die leistungsfähigen Krankenhäuser. Dagegen kritisiert die DKG, daß die Kosten für die Instandhaltung und -setzung auf das Budget lediglich aufgeschlagen werden können, aber nicht aufgeschlagen werden müssen.
Klargestellt wird im Gesetz auch, daß künftig für die Berechnung des Erlösgesamtbetrages die effektive Erhöhung der Vergütung (der Tarifvertragsparteien) maßgebend ist und nicht nur die "lineare Erhöhung des Tarifvertrags". Die bisher geltende Regelung hat zu Auseinandersetzungen zwischen den Krankenkassen und den Klinikträgern geführt über die Frage, ob auch Einmalzahlungen, die in einer Protokollnotiz zum Tarifvertrag festgelegt wurden, bei der Bemessung berücksichtigt werden müssen.
Namentlich die DKG kritisiert, daß jegliche Mehrerlöse der Kliniken künftig gestrichen werden sollen. Weil die BAT-Steigerungsraten nur teilweise berücksichtigt werden sollen, ist nach Darstellung der DKG die Gehaltsentwicklung für 1999 nicht voll in der Budgetberechnung berücksichtigt worden. Lediglich ein Drittel der BAT-Steigerungen in den Budgets für 1999 zu berücksichtigen sei jedenfalls nicht ausreichend. Insgesamt rechnet die Deutsche Krankenhausgesellschaft damit, daß den rund 2 250 Krankenhäusern in Deutschland infolge der Budgetdeckelung und anderer restriktiver Maßnahmen sowie nicht seriös gegenfinanzierter Einnahmenausfälle Einbußen und Verluste in der Größenordnung von annähernd zehn Milliarden DM jährlich entstehen werden.
Josef Maus, Heike Korzilius,
Dr. Harald Clade
Die Finanzierung
Die Regierung rechnet mit folgenden Mehrausgaben und Mindereinnahmen: Reduzierung der
Arzneimittelzuzahlung (einschließlich chronisch Kranker) insgesamt rund 970 Millionen DM; Aussetzung des
Krankenhaus-"Notopfers" 730 Millionen DM; Förderung Allgemeinmedizin 72 Millionen DM; Zahnersatz bei
Kindern und Jugendlichen 175 Millionen DM.
Mehreinnahmen werden durch die Versicherungspflicht für geringfügige Beschäftigung (rund 1,4 Milliarden
DM), höhere Rentensteigerungen und die Wiedereinführung der vollen Lohnfortzahlung erwartet.