MEDIZIN: Die Übersicht
Das HELLP-Syndrom - eine interdisziplinäre Herausforderung


Schlüsselwörter: HELLP-Syndrom, Differentialdiagnose, gastrointestinale Erkrankung, Lebererkrankung, thrombotische Mikroangiopathie
The HELLP syndrome - an Interdisciplinary Challenge
The HELLP syndrome is a severe, unpredictable and life-threatening complication of preeclampsia, characterized by a triad of hemolysis, elevated liver enzymes and low platelet counts. The early confirmation of diagnosis and evaluation of differential diagnosis is of significant prognostic importance for both mother and newborn. Problems in differential diagnosis result from clinical and laboratory similarities to other liver diseases in pregnancy such as acute fatty liver, acute viral hepatitis and intrahepatic cholestasis in pregnancy and thrombotic microangiopathies. Numerous publications on this topic, strong efforts in education activities, increased interdisciplinary awareness concerning the differential diagnosis as well as progress in neonatology have led to a significant reduction of maternal and perinatal mortality during the past years.
Key words: HELLP syndrome, differential diagnosis, gastrointestinal diseases, liver diseases, thrombotic microangiopathy
as HELLP-Syndrom stellt eine schwere Verlaufsform der Präeklampsie mit typischer laborchemischer
Konstellation dar (H für Hämolyse, EL für erhöhte Leberenzymwerte = elevated liver enzymes und LP für
niedrige Thrombozytenzahlen = low platelet count). Als Weinstein (28) vor über 16 Jahren den Begriff HELLPSyndrom in die Literatur einführte, beschrieb er zwar kein neuartiges Krankheitsbild, sondern es gelang ihm, mit
diesem "Suggestivbegriff" (HELLP needs help!) zunächst Geburtshelfer und Neonatologen, später auch andere
Fachdisziplinen auf eine lebensbedrohliche Erkrankung in der Schwangerschaft hinzuweisen, die aufgrund der
Vielgestaltigkeit ihrer Symptomatik, der Variabilität ihrer Erstmanifestationen und der multidisziplinären
therapeutischen Probleme jeden Kliniker und niedergelassenen Frauenarzt vor erhebliche Probleme stellen kann.
Bis vor kurzem lag die mütterliche Letalität beim HELLP-Syndrom weltweit zwischen 3 und 3,5 Prozent, die
Rate mütterlicher Komplikationen (unter anderem zerebrale Blutungen, akute Niereninsuffizienz, Lungenödem,
Leberruptur) betrug 12,5 bis 65 Prozent und die perinatale Mortalität 22,6 bis 24,2 Prozent (17). In Deutschland
machten vor kurzem Welsch und Krone auf den hohen Anteil des HELLP-Syndroms an der Müttersterblichkeit
aufmerksam (29).
Die Inzidenz des HELLP-Syndroms wird mit einem Erkrankungsfall auf 150 bis 300 Geburten angegeben, liegt
aber inzwischen aufgrund einer gezielten Zuweisungspraxis in Perinatalzentren bei 1 auf 70 bis 80 Geburten. Ein
spezifisches anamnestisches Risikoprofil für diese Erkrankung ist bisher nicht bekannt; das mediane Lebensalter
dieser Schwangeren liegt bei 25 Jahren, der Anteil der Erstgebärenden beträgt 52 bis 81 Prozent (18). Das
HELLP-Syndrom manifestiert sich im Median in der 34. Schwangerschaftswoche, in 10 bis 30 Prozent der Fälle
muß mit seinem Auftreten allerdings erst innerhalb der ersten sechs Wochenbettstage gerechnet werden (22).
Die Diagnose wird sowohl vom Geburtshelfer, vor allem aber auch vom klinischen Chemiker gestellt, wobei
eine Erhöhung der Transaminasen über das Zwei- bis Dreifache der Standardabweichung vom Normalwert, eine
Thrombozytopenie < 100 000/µl und die Zeichen der Hämolyse richtungweisend sind (22). Dabei ist zu
berücksichtigen, daß eine Erhöhung des Bilirubins nur in 47 bis 62 Prozent der Fälle und der Nachweis von
Fragmentozyten im peripheren Blutausstrich nur bei 54 bis 86 Prozent der Patientinnen zu beobachten sind (16).
Am empfindlichsten gelingt der Nachweis der Hämolyse durch die Bestimmung des Haptoglobins, dessen
Verlauf eine gute Korrelation zur klinischen Symptomatik aufweist (30), während die Erhöhung der
Laktatdehydrogenase, wie Auftrennungen des Isoenzymkomplexes mittels Agarose-Gelelektrophorese zeigten,
keinen hämolysespezifischen Parameter beim HELLP-Sydrom darstellt (18).
Der Verlauf des HELLP-Syndroms ist unkalkulierbar, zumal bisher zuverlässige prädiktive Parameter zur
Abschätzung des Krankheitsverlaufes fehlen. Wie neue Untersuchungen zeigten, darf in 21,5 bis 43 Prozent der
Fälle mit einer "biochemischen" Rückbildung des Syndroms gerechnet werden beziehungsweise mit einem
intermittierenden Verlauf, charakterisiert durch wiederholte HELLP-Schübe (19); andererseits kann sich nach
initialem Wohlbefinden der Schwangeren innerhalb weniger Stunden aus dem kompensierten Stadium einer
subklinischen chronischen Verbrauchsreaktion mit noch inapparenter Mikrozirkulationsstörung ein
dekompensierter Zustand mit Störung der Globalgerinnung und Multiorganversagen entwickeln (15). Dabei
hängt die Prognose dieser Schwangeren entscheidend von der Latenzzeit zwischen Diagnosestellung und
Therapie ab, so daß bei jeder Schwangeren mit Präeklampsie und/oder Oberbauchschmerzen ein
laborchemisches Screening unmittelbar nach der Aufzunahme zu fordern ist. Dies gilt um so mehr, da diese
Schwangeren häufig erst über zeitraubende interdisziplinäre Umwege aufgrund von Fehldiagnosen den Weg
zum Geburtshelfer finden, so daß der raschen differentialdiagnostischen Abgrenzung des HELLP-Syndroms von
anderen Krankheitsbildern besondere prognostische Relevanz zukommt.
Differentialdiagnose:
Gastrointestinale Symptome
Klinisches Leitsymptom des HELLP-Syndroms sind die in 80 bis 90 Prozent der Fälle auftretenden, meist
rechtsseitigen Oberbauchschmerzen oder Schmerzen im Epigastrium, die bei 20 bis 40 Prozent der Patientinnen
der laborchemischen Manifestation der Erkrankung um Tage und Wochen vorausgehen können (Anamnese!).
Ursache dieser Oberbauchschmerzen ist eine Dehnung der Glissonschen Kapsel, bedingt durch die Obstruktion
des Blutflusses in den Lebersinusoiden (18). Besonders gefährlich sind auf dem Boden konfluierender
hämorrhagischer Nekrosen entstehende Leberhämatome (Häufigkeit: 2,5 Prozent), die sich mittels bildgebender
Verfahren häufig noch vor Beginn der klinischen Symptome nachweisen lassen (1). Daher ist eine
Oberbauchsonographie bereits bei der Aufnahme dieser Schwangeren zu empfehlen, die gegenüber dem LeberCT eine höhere prognostische Treffsicherheit im Hinblick auf die Entwicklung eines HELLP-Syndroms
aufweisen soll (11).
Eine der schwersten Komplikationen stellt die Leberruptur dar (Häufigkeit: 1,5 bis 1,8 Prozent), die mit einer
mütterlichen Letalität bis
zu 35 Prozent und einer fetalen Mortalität von 60 bis 70 Prozent belastet ist (21).
Letale Verläufe können nur durch die umgehende operative Intervention eines erfahrenen Abdominalchirurgen
vermieden werden, wobei das operative Spektrum vom "Leberpacking" bis hin zur orthotopen
Lebertransplantation bei ausgedehnter Leberschädigung reicht (5). Besonders gefährdet hinsichtlich einer
Leberruptur sind offenbar Schwangere mit persistierenden Oberbauchschmerzen 24 bis 28 Stunden post partum,
bei denen vor der Geburt keine Zeichen einer Präeklampsie vorlagen (26).
In diesem Zusammenhang ist
von klinischer Bedeutung, daß bei bis zu 20 Prozent der Patientinnen zwar die laborchemische Konstellation des
HELLP-Syndroms nachweisbar ist, die Zeichen der klassischen Präeklampsie (Hypertonie, Proteinurie) aber
fehlen können (HELLP-Syndrom sine preeclampsia). In diesen Fällen ist dann oft nur das Symptom
"Oberbauchschmerz" richtungweisend für die Diagnose HELLP-Syndrom (21, 22).
Andererseits ergeben sich aus diesem Symptom aber, bei 46 bis 86 Prozent der Schwangeren in Verbindung mit
Übelkeit und Erbrechen, auch erhebliche differentialdiagnostische Probleme, die - wie Kasuistiken aus
verschiedenen Fachdisziplinen belegen (4) - nichtgeburtshilfliche Erkrankungen mit ähnlichen gastrointestinalen
Beschwerden betreffen (Grafik). Daher sollte bei allen Schwangeren mit Oberbauchsymptomatik - unabhängig
vom Vorliegen einer Präeklampsie - ein laborchemisches Screening durchgeführt werden, da nur auf diese
Weise eine rasche Diagnose gestellt werden kann. Bei initial nur diskret pathologisch veränderten
Laborparametern ist eine Kontrolluntersuchung nach spätestens sechs Stunden zu empfehlen (Dynamik des
Krankheitsverlaufes).
Differentialdiagnose: Lebererkrankungen
Stellt man das betroffene Organ Leber in den Mittelpunkt differentialdiagnostischer Überlegungen, so sind die
akute Schwangerschaftsfettleber, die akute Virushepatitis und die intrahepatische Schwangerschaftscholestase
vom HELLP-Syndrom abzugrenzen (Tabelle 1).
Gemeinsames morphologisches Korrelat von akuter Schwangerschaftsfettleber (Häufigkeit 1 : 13 000
Schwangerschaften) und HELLP-Syndrom ist eine mikrovesikuläre Verfettung der Hepatozyten
unterschiedlicher Ausprägung (10); eine Leberbiopsie zur Differenzierung zwischen beiden Erkrankungen
erscheint im Hinblick auf das erhöhte Blutungsrisiko nicht sinnvoll (31).
Weitere klinische Gemeinsamkeiten ergeben sich aus dem initialen Auftreten von Übelkeit, Erbrechen,
epigastrischen Schmerzen und neurologischen Symptomen; in 30 bis 50 Prozent der Fälle tritt bei der akuten
Schwangerschaftsfettleber eine Präeklampsie auf. Richtungweisend für die Schwangerschaftsfettleber sind
Ikterus, Fieber, eine ausgeprägte Leukozytose sowie eine Hypoglykämie als Ausdruck einer progredienten
Leberinsuffizienz, die sich vor allem in schweren Gerinnungsstörungen mit konsekutiven Blutungen in den
Gastrointestinaltrakt, die Niere und das ZNS manifestiert (8). Hinsichtlich der laborchemischen Konstellation
gelingt die Abgrenzung vom HELLP-Syndrom weniger durch die obligate Hyperbilirubinämie und die
Transaminasenerhöhung als vielmehr durch das Fehlen der Hämolyse und die im Rahmen einer disseminierten
intravasalen Gerinnung erst sekundär auftretende Thrombozytopenie, die ihrerseits aber Initialsymptom des
HELLP-Syndroms ist (3).
Die akute Virushepatitis (Häufigkeit in der Schwangerschaft: 0,04 bis 1,5 Prozent) ist mit 40 Prozent die
häufigste Ursache für einen Ikterus in der Schwangerschaft. Die Unterscheidungskriterien vom HELLPSyndrom sind die oft typische Anamnese (zum Beispiel Infektionsmodus), der rapide Anstieg der Transaminasen
und des Bilirubins sowie das Fehlen von Thrombozytopenie, Hämolyse und Proteinurie. Durch die bei jeder
unklaren Transaminasenerhöhung in der Schwangerschaft obligate Hepatitisserologie ist die Diagnose meist
sicher zu stellen.
Eine Unterscheidung zwischen der intrahepatischen Schwangerschaftscholestase (Häufigkeit 1 : 500 bis 1 : 5
000 Schwangerschaften), mit 20 Prozent die zweithäufigste Ursache für einen Ikterus in der Gravidität (13), und
dem HELLP-Syndrom bereitet im allgemeinen keine Schwierigkeiten, da das klinische Leitsymptom der
Schwangerschaftscholestase - der Juckreiz - neben dem Ikterus bereits klinisch die Weichen für eine korrekte
Diagnose stellt. Die laborchemische Abgrenzung vom HELLP-Syndrom gibt Tabelle 1 wieder. Darüber hinaus
finden sich bei der Schwangerschaftscholestase eine zwei- bis dreifache Erhöhung der alkalischen Phosphatase,
ein meist diskreter Anstieg der g-GT sowie eine 10- bis 100fache Erhöhung der Gallensäuren (vorwiegend
Cholsäure und Chenodeoxycholsäure) im Blut (13, 31).
Differentialdiagnose: thrombotische Mikroangiopathien
Weitaus schwieriger gestaltet sich die differentialdiagnostische Abgrenzung des HELLP-Syndroms von seltenen,
ebenfalls lebensbedrohlichen Erkrankungen, wie der thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura (TTP) und
dem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS), wobei sich gerade diese beiden Erkrankungen oft nur durch den
unterschiedlichen Schweregrad und den zeitlichen Verlauf des Auftretens einzelner Symptome vom HELLPSyndrom unterscheiden. Die pathophysiologischen Gemeinsamkeiten mit dem HELLP-Syndrom liegen in der
obstruktiv-thrombotischen Mikroangiopathie, die sich bei der TTP präferentiell am ZNS, beim HUS an der Niere
und beim HELLP-Syndrom mit Dominanz an der Leber manifestiert (20).
Als klassische klinische Symptome der TTP gelten neben einer schweren, Coombs-negativen, mikroangiopathisch-hämolytischen Anämie
eine ausgeprägte Thrombozytopenie, Fieber bei 60 Prozent der Patientinnen, neurologische Symptome (zum
Beispiel Krämpfe, passagere Hemiparesen) sowie Nierenfunktionsstörungen, wobei diese Pentalogie allerdings
nur bei 30 bis 40 Prozent der Patientinnen nachweisbar ist (23) und die genannten Symptome in 60 Prozent der
Fälle bereits vor der
24. Schwangerschaftswoche auftreten (27). Von klinischer Bedeutung ist, daß die Inzidenz für die Entstehung
einer TTP in der Schwangerschaft mit 40 Prozent so hoch ist, daß die Gravidität allein ein prädisponierender
Faktor für eine TTP zu sein scheint (23).
Die TTP ist vom HELLP-Syndrom noch am ehesten durch das Fieber, die stärkere Ausprägung der Hämolyse
und der Thrombozytopenie bei gleichzeitig bestehendem Ikterus, die klinische Dominanz neurologischer
Symptome und vor allem durch den geringen oder fehlenden Anstieg der Transaminasen zu unterscheiden. Im
Gegensatz zur TTP besteht beim HELLP-Syndrom ein normales Verteilungsmuster von Von-Willebrand-FaktorMultimeren im peripheren Blut (24).
Neugeborene von an TTP erkrankten Müttern weisen im allgemeinen keine Anämie und keine
Thrombozytopenie auf, während bei einer idiopathisch-thrombozytopenischen Purpura (ITP) infolge
diaplazentarer Übertragung antithrombozytärer IgG-Antikörper mit einer Thrombozytopenie des Kindes
gerechnet werden muß. Im Hinblick auf die schwierige Diagnose und Therapie (Plasmapherese) ist eine enge
interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Geburtshelfern, Neonatologen und vor allem Internisten unerläßlich.
Gleiches gilt auch für das hämolytisch-urämische Syndrom, das zwar typischerweise im Kindesalter, aber auch
beim Erwachsenen nach Einnahme oraler Kontrazeptiva (20) und vor allem im Wochenbett (nicht aber in der
Schwangerschaft) einige Tage und bis zu zehn Wochen post partum auftreten kann (7). Da sich auch das
HELLP-Syndrom in bis zu 30 Prozent der Fälle erst postpartal manifestiert, ist eine differentialdiagnostische
Abgrenzung oft schwierig (4). Vom zeitlichen Ablauf der Symptome weisen die präpartale Existenz einer
Präeklampsie sowie der Beginn der Erkrankung innerhalb der ersten drei Wochenbettstage eher auf ein HELLPSyndrom hin; darüber hinaus gelingt eine Unterscheidung in diesen Fällen noch am ehesten durch die beim HUS
meist ausgeprägtere Hämolyse und Thrombozytopenie, das Vorhandensein des Ikterus sowie vor allem durch die
Manifestation einer schweren Niereninsuffizienz mit sekundärer Entwicklung eines Hypertonus, wobei die
Transaminasen im Gegensatz zum HELLP-Syndrom nur fakultativ erhöht sind (3, 20).
Eine weitere interdisziplinäre Herausforderung stellt die differentialdiagnostische Abgrenzung des HELLPSyndroms von bestimmten Autoimmunerkrankungen dar, vor allem vom Systemischen Lupus Erythematodes
(SLE), bei dem die Pfropfpräeklampsie mit einer Häufigkeit von 2,8 bis 25 Prozent die einzige
schwangerschaftsspezifische Komplikation darstellen kann (12). Gemeinsamkeiten mit dem HELLP-Syndrom
bestehen in einer hämolytischen Anämie (SLE: durch Autoantikörper induzierte Zytopenie mit Coombs-positiver
hämolytischer Anämie; HELLP-Syndrom: Coombs-negative hämolytische Anämie) und Thrombozytopenie in
14 bis 20 Prozent der Fälle, die beim HELLP-Syndrom obligat ist, in einer Proteinurie bei 75 Prozent der
Patientinnen mit Hämaturie und Pyurie als Folge einer Lupus-Nephropathie (Häufigkeit 60 bis 70 Prozent),
während eine Erhöhung der Transaminasen beim SLE meist nicht nachweisbar ist (25).
Diagnostisch richtungweisend für einen reaktiven SLE-Schub in
der Schwangerschaft ist neben der
typischen Anamnese der Nachweis von antinukleären Antikörpern bei
98 Prozent der betroffenen Patientinnen (6).
Auch beim Antiphospholipidsyndrom muß in 50 Prozent der Fälle mit einer Präeklampsie während der
Schwangerschaft gerechnet werden (2). Neben dem Fehlen der Transaminasenerhöhung ist eine sichere
Abgrenzung zum HELLP-Syndrom beziehungsweise zur Präeklampsie in diesen Fällen durch den Nachweis von
Antiphospholipid-Antikörpern möglich (2).
Die Vielgestaltigkeit der klinischen Symptomatik des HELLP-Syndroms spiegelt sich nicht zuletzt in seltenen
Erstmanifestationen oder schwerwiegenden Begleiterkrankungen wider (Textkasten), die pathophysiologisch als
Folge oder Komplikation der Grunderkrankung oder Ausdruck des Multiorganversagens anzusehen sind, im
Einzelfall aber das bekannte Erscheinungsbild des HELLP-Syndroms überlagern und damit zu einer verzögerten
Diagnosestellung führen können. Aus zahlreichen Kasuistiken der letzten Jahre (4) wird deutlich, daß damit fast
alle Fachdisziplinen in das differentialdiagnostische Spektrum des HELLP-Syndroms miteinbezogen sind.
Gleiches gilt auch für die therapeutischen Probleme, die nicht nur den Geburtshelfer und Neonatologen, sondern
auch den Anästhesisten, Chirurgen und Internisten unmittelbar betreffen können.
Da bisher keine kausale pharmakologische Therapie des HELLP-Syndroms bekannt ist, bestehen die
Erstmaßnahmen in einer schonenden Blutdrucksenkung (zum Beispiel i. v. Hydralazin) und in der Vermeidung
der Eklampsie (zum Beispiel i.v.-Gabe von Magnesiumsulfat); kontrovers diskutiert wird derzeit das
geburtshilfliche Vorgehen beim HELLP-Syndrom entweder im Sinne einer sofortigen
Schwangerschaftsbeendigung zur Vermeidung mütterlicher (kindlicher) Komplikationen oder einer abwartenden
Haltung mit Induktion der Lungenreife durch Gabe von Kortikosteroiden und in der Erwartung auf eine
Rückbildung des HELLP-Syndroms mit dem Ziel, die fetale Organreife zu erreichen (19).
Seit unserer Publikation im Deutschen Ärzteblatt 1989 (14) konnte durch eine intensive publizistische und
Fortbildungstätigkeit die Zahl der korrekten Einweisungsdiagnosen beim HELLP-Syndrom durch
niedergelassene Ärzte und Krankenhausärzte deutlich erhöht werden. Die unverzügliche Diagnosestellung durch
ein laborchemisches Screening bei Aufnahme der Patientin, das interdiziplinäre Bewußtsein um die
differentialdiagnostische Problematik des HELLP-Syndroms mit Vermeidung diagnostischer Umwege und
Zeitverluste sowie die optimale Betreuung dieser Risikoschwangeren und ihrer Kinder in Perinatalzentren haben
in Verbindung mit unübersehbaren Fortschritten in der Neonatologie (unter anderem Surfactant-Behandlung,
Einführung neuer Beatmungstechniken) dazu geführt, daß zumindest in den westeuropäischen Ländern seit 1990
eine Verminderung der mütterlichen Letalität auf < 1 Prozent und eine Senkung der perinatalen Mortalität auf
5,0 bis 16,2 Prozent erreicht werden konnte (19).
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1998; 95: A-2997-3002
[Heft 47]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser
und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschrift des Verfassers
Prof. Dr. med. Werner Rath
Frauenklinik für
Gynäkologie und Geburtshilfe
Universitätsklinikum
der RWTH Aachen
Pauwelsstraße 30
52074 Aachen
Seltene Erstmanifestationen und Begleiterkrankungen
beim HELLP-Syndrom
- Fallberichte c Hypoglykämie mit Koma
c kortikale Erblindung
c Netzhautablösung
c Glaskörperblutungen
c Diabetes insipidus
c Diabetes mellitus Typ I
c Hyponatriämie ® Verwirrtheit
c Pleuraerguß/Aszites
c unstillbares Nasenbluten
c tödliche Karotisstenose
c akute Perikarditis
c HIV-assoziierte
Thrombozytopenie
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