THEMEN DER ZEIT
Moderne Hypnotherapie: Im Dialog mit dem Unbewussten


Hypnotherapie ist Psychotherapie in veränderten Bewusstseinszuständen, die unter dem Begriff „Trance“ zusammengefasst werden. Darin werden vielfältige Techniken der Suggestion und Imagination angewandt. 2006 hat der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie die Hypnotherapie als Methode anerkannt.
Hypnose in der Psychotherapie – ist das nicht Manipulation? Funktioniert das bei jedem? Werden die Symptome einfach wegsuggeriert? Kann man damit auch Schaden anrichten? Das sind einige der typischen Fragen, die Hypnotherapeuten oft gestellt werden.
Hypnotherapie ist Psychotherapie in veränderten Bewusstseinszuständen, die unter dem Begriff „Trance“ zusammengefasst werden. In der Hypnotherapie werden vielfältige Techniken der Suggestion und Imagination zum Dialog mit dem Unbewussten angewandt. In Trance hat der Patient Möglichkeiten, die seinem bewussten Willen nicht zur Verfügung stehen. Es können zum Beispiel vegetative Funktionen beeinflusst werden, Schmerz kann vermindert oder ausgeschaltet werden, Stimmungen können relativ schnell verändert werden, der Patient kann seine Kindheit wiedererleben, sich in eine Vision seiner persönlichen Zukunft oder in andere Personen hineinversetzen. In Trance sind einschränkende Aspekte des kontrollierenden Wachbewusstseins reduziert, so dass latente und unbewusste Potenziale aktiviert und abgespaltene Anteile integriert werden können.
Ein Trance-Prozess wird in gewissem Umfang vom Hypnotherapeuten gelenkt. Dennoch wird in der modernen Hypnotherapie die Eigenmotivation des Patienten strikt respektiert, und seine autonome Kreativität wird gefördert. Der Patient wird niemals in eine Richtung gedrängt, die ihm fremd ist oder die ihm widerstrebt.
Durch eine Vielzahl kontrollierter Studien ist empirisch gut belegt, dass Hypnotherapie therapeutisch wirkungsvoll ist. 2006 wurde sie daher vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie wissenschaftlich anerkannt, zunächst nur als Methode für Abhängigkeitserkrankungen und psychosomatische Störungen.
Klassische Hypnose
Die klassische, direktive Hypnose, wie sie bis vor etwa 25 Jahren praktiziert wurde, arbeitet mit hypnotischen Standardverfahren. Jeder Patient wird auf die gleiche Weise in Trance geführt. Darin werden ihm Standardsuggestionen für spezifische Indikationen gegeben (zum Beispiel „Sie werden nie wieder rauchen“). Die Suggestionen werden als Behauptung („Sie sind ganz entspannt“) oder als Befehl („Entspannen Sie sich!“) formuliert. In der klassischen Hypnose geht man davon aus, dass die Hypnotisierbarkeit ein invariantes Persönlichkeitsmerkmal ist, das mit standardisierten Suggestibilitätstests gemessen werden könne. Der Vorteil der herkömmlichen, klassischen Hypnose ist, dass sie relativ leicht erlernbar ist und wenig individuelle Vorbereitung erfordert; ihr Nachteil ist, dass sie nur bei einem relativ kleinen Prozentsatz von Patienten nachhaltige Wirkungen hervorzubringen vermag.
Hypnotherapie nach Erickson
Seit den 1970er Jahren wurden die Techniken des US-amerikanischen Hypnotherapeuten Milton Erickson in Europa bekannt. Erickson führte seine Patienten so kunstvoll in Trance, dass selbst qualifizierte Beobachter zunächst kaum nachvollziehen konnten, wie Erickson die Trance eingeleitet und genutzt hatte. Er arbeitete, abgestimmt auf die individuellen Bedürfnisse und Abneigungen des Patienten, mit indirekten Suggestionen, gezielter Verwirrung sowie mit hypnotischen Metaphern und Geschichten. Mit den modernen Erickson’schen Techniken kann man heute praktisch jeden motivierten Patienten in eine Trance hineinführen, die für die meisten therapeutischen Zwecke genutzt werden kann.
Diverse Anwendungen
Eine relativ einfache Anwendung der Hypnose in der Psychotherapie besteht darin, sie als Entspannungsverfahren einzusetzen. Beispielsweise kann ein Hypnotherapeut dem Patienten die Formeln des autogenen Trainings als Suggestionen unterbreiten oder ihn in eine entspannende Strandszenerie hineinversetzen. Hypnotische Entspannung kann zum Beispiel zur Behandlung von Stresssymptomen, bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlafstörungen, psychosomatischen Störungen oder zur Burn-out-Prophylaxe eingesetzt werden.
In der hypnotischen Traumatherapie kann zunächst die Fähigkeit des Patienten zur inneren Abgrenzung von unerträglichen Gefühlen gestärkt werden, um ihn vor akuten Überflutungen zu schützen, um dann gegebenenfalls auf dissoziative Weise eine allmähliche Integration des Traumas zu ermöglichen.
In der Verhaltenstherapie wird Hypnose zum Beispiel bei Ängsten zur Entspannung im Rahmen der systematischen Desensibilisierung angewandt, sowie zur posthypnotischen Förderung gewünschter Verhaltensänderungen, zur Korrektur dysfunktionaler Denkmuster und Selbstbilder, zur Behandlung von posttraumatischem Stress und von Phobien, zur Kontrolle von Gewohnheiten oder zur Bewältigung von chronischen Schmerzen.
In der psychodynamischen Hypnotherapie kann durch Altersregression in Trance daran gearbeitet werden, verdrängte Erinnerungen und Gefühle aufzudecken und zu integrieren. Das katathyme Bilderleben ist ein tiefenpsychologisches Imaginationsverfahren, in dem vorgegebene Motive (zum Beispiel Wiese, Bach, Waldrand, Höhle) vom Patienten in einem Versenkungszustand ausfantasiert werden. Die dabei entstehenden inneren Bilder werden dann psychodynamisch gedeutet, ähnlich wie Träume.
In der systemischen Hypnotherapie geht man davon aus, dass das Wohlbefinden des Patienten durch „Problemtrancen“ gestört wird, die selbsthypnotisch erzeugt werden. Der Therapeut hilft dem Patienten durch Fokussierung auf seine Ressourcen zum Übergang in „Lösungstrancen“. Man arbeitet dafür mit paradoxen posthypnotischen Aufgaben, mit kognitivem Umdeuten oder mit Fragen nach Ausnahmen vom Symptom, die in Trance suggestiv ausgearbeitet werden. In der hypnosystemischen Familientherapie können auch Familienmitglieder während der Behandlung des Symptomträgers hypnotisch indirekt mitbehandelt werden.
In der humanistischen Hypnotherapie wird der therapeutische Prozess als intersubjektiver, emanzipatorischer Dialog zwischen Patient und Therapeut unter Einbeziehung des Unbewussten beider verstanden. Humanistische Hypnotherapie dient vor allem dazu, durch einen gemeinsamen Suchprozess einen konstruktiven Dialog des Patienten mit seinem Unbewussten zu fördern. Der Therapeut moderiert während der Trance die inneren Dialoge des Patienten mit dessen Persönlichkeitsanteilen, mit Ressourcen oder mit imaginierten relevanten Personen seines Lebens.
Ziele, Verlauf und Dauer einer humanistischen Hypnotherapie stehen zu Beginn der Therapie nicht fest. Vielmehr ist das gemeinsame Erarbeiten von Lebenszielen sowie der Wege, die dorthin führen können, der zentrale Inhalt des therapeutischen Prozesses selbst. Dabei wird nicht nur an der Bewältigung umgrenzter Symptome gearbeitet, sondern der Patient setzt sich in Trance auch mit den damit verbundenen existenziellen Fragen auseinander, zum Beispiel nach Sinn und Werten, Freiheit und Verantwortung, dem Umgang mit Endlichkeit und Absurdität.
In der humanistischen Hypnotherapie kann der Patient durch vertieftes Erleben des Hier-und-Jetzt in Trance lernen, seine Probleme vor dem Hintergrund seiner Biografie zu verstehen und sich auf konstruktive Zukunftsentwürfe hin zu orientieren. Ein humanistischer Hypnotherapeut leitet den Patienten in Trance an, Beziehungs- und Einstellungsmuster, ungelebte Bedürfnisse und Fähigkeiten sowie einschränkende Selbstbilder zu erkunden und zu reflektieren. Dies kann zum Beispiel durch empathisch begleitete freie Assoziation in Trance oder durch angeleitetes hypnotisches Fantasieren und Identifizieren geschehen.
Humanistische Hypnotherapie will dem Patienten signifikante emotionale Erfahrungen vermitteln, durch die die posthypnotischen Wirkungen der Trance-Erfahrung über lange Zeit hinweg anhalten können. In der humanistischen Hypnotherapie geht man davon aus, dass jeder Mensch latent über eine „innere Weisheit“ verfügt, mit der er in Trance in Dialog treten kann. Dies kann vor allem dann hilfreich sein, wenn der Patient existenzielle Entscheidungen treffen muss, die er auf einer rationalen Ebene allein nicht treffen kann.
Zentrales Ziel der humanistisch-hypnosuggestiven Arbeit ist es, die Eigenaktivität und -motivation sowie die Selbstgestaltungsfähigkeiten des Patienten zu fördern, um ihn zu befähigen, Möglichkeiten der Wahl in der Lebensgestaltung zu erkennen und zu nutzen, die ihm vorher nicht gegenwärtig waren.
Ein Fallbeispiel
Zur Illustration eine Sequenz aus der 14. Therapiesitzung mit einem 23-jährigen Medizinstudenten. Er spricht zu Beginn der Sitzung über „übertriebene Ängste“ vor einer anstehenden Prüfung. Ich leite ihn in einen Versenkungszustand, in dem er innerlich hin und her pendelt zwischen einer Fantasie der Prüfungssituation und einer Situation aus seiner Kindheit, in der ihn sein Vater auf beschämende Weise maßregelte. Wir suchen zunächst gemeinsam nach einer für ihn emotional evidenten Unterscheidung zwischen „sich anstrengen“ und „unter Leistungsdruck stehen“. Ich bestärke ihn suggestiv in seinem Gefühl der Verwurzeltheit in seinen Kompetenzen und lade ihn gleichzeitig ein, sich von übermäßiger Perfektion zu distanzieren. Mehr und mehr erlebt er sich in der imaginierten Prüfungssituation als sicher und kompetent, und dann wieder in seiner Kindheit mit seinem unerfüllten Bedürfnis nach dem Angenommensein von seinem Vater. Ich agiere als Moderator des Prozesses und gleichzeitig als Repräsentant eines „guten Vaters“, der den Patienten mit seinen Ängsten annimmt und ernst nimmt. Es handelt sich also um eine Trance-Erfahrung auf mehreren Ebenen zugleich, von denen hier nur einige angedeutet werden konnten.
- Zitierweise dieses Beitrags:
PP 2013; 12(8): 356−7
Anschrift des Verfassers
Werner Eberwein, Psychologischer Psychotherapeut, Institut für Humanistische Psychotherapie,
Aachener Straße 21, 10713 Berlin,
www.werner-eberwein.de
Sachsse, Ulrich