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Wir danken den Autoren für die wertvolle Übersichtsarbeit (1), unterstreichen die Wichtigkeit der kontinuierlichen therapeutischen Beziehungsgestaltung, und sehen dringenden qualitativen Forschungsbedarf zu komplexen Störungen.

Erfahrungsgemäß exazerbiert der sonst harmlose Tinnitus häufig dann, wenn das eigene Leben „nicht mehr stimmig ist“. Ein Entwicklungsschritt steht an, und Stress ist Kennzeichen von ausgereizten Bewältigungsmöglichkeiten. Komplexe psychische Funktionen wie Selbst- und Weltbild, Identität und Konsistenzerleben sind betroffen; aufwendige, aber beforschbare Größen (2).

In der zitierten überlegenen multiprofessionellen Behandlung (3) kommen, wie die Autoren erwähnen, neben Counseling und Psycho- auch Sozio-, Physio-, Bewegungs- und Sprachtherapie zur Anwendung, entsprechend der Komplexität von Störung und Patient. Auch unserer Erfahrung entspricht, dass neben verbaler Psychotherapie auch körper-, und sinnesorientierte Verfahren die multimodale Therapie wirksam machen. Ort des Symptoms ist ja das auditorische System als „Umschlagspunkt“, wo äußere Welt im Sinnesreiz zu innerem, das heißt psychischem Erleben wird. Dort wird bei zunehmender Spannung und Diskrepanz zwischen der inneren und der äußeren Welt der quälende „Warnton“ Tinnitus erlebt.

So überrascht es, in der Zusammenfassung zu lesen, dass neben der Verhaltenstherapie insbesondere apparative Lösungen im Mittelpunkt der Forschung stehen. Dies weckt Hoffnungen auf einfache Lösungen, impliziert aber ein reduktionistisches Krankheits- und Menschenbild. Denn trotz konstanter Hörminderung schwankt Tinnitus erheblich in Abhängigkeit vom psychischen Befinden, was viele Arbeiten am (Tier-)Modell nicht abbilden können.

Das Subjekt als eigentlicher Ort des Leidens mit Dimensionen wie Entwicklung, Reife, Selbstbild, Sinn, Authentizität und „Stimmigkeit“ darf nicht verloren gehen. Es ist medikamentöser und apparativer Behandlung nur indirekt zugänglich, für die nachhaltige Genesung des nicht objektivierbaren Tinnitus jedoch die entscheidende Größe.

DOI: 10.3238/arztebl.2013.0600a

Dr. med. Tobias Roeckl

HNO-Klinik Dr. Gaertner, München

t.roeckl@gaertnerklinik.de

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

1.
Kreuzer PM, Vielsmeier V, Langguth B: Chronic tinnitus: an interdisciplinary challenge. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(16): 278–84 VOLLTEXT
2.
Fonagy P, Gergely G, Jurist E, Target M: Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. Stuttgart: Klett-Cotta 2002.
3.
Cima RF, Maes IH, Joore MA, et al.: Specialised treatment based on cognitive behaviour therapy versus usual care for tinnitus: a randomised controlled trial. Lancet 2012; 379: 1951–9 CrossRef MEDLINE
1.Kreuzer PM, Vielsmeier V, Langguth B: Chronic tinnitus: an interdisciplinary challenge. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(16): 278–84 VOLLTEXT
2.Fonagy P, Gergely G, Jurist E, Target M: Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. Stuttgart: Klett-Cotta 2002.
3.Cima RF, Maes IH, Joore MA, et al.: Specialised treatment based on cognitive behaviour therapy versus usual care for tinnitus: a randomised controlled trial. Lancet 2012; 379: 1951–9 CrossRef MEDLINE

Fachgebiet

Der klinische Schnappschuss

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