

Es freut uns, dass viele der Diskussionsbeiträge die Bedeutung einer durchgängigen therapeutischen Beziehungsgestaltung und eines interdisziplinären Behandlungsansatzes (1) mit der Bereitschaft zum wechselseitigen „Blick über den Tellerrand“ betonen. Kurz möchten wir einige der vorgebrachten Kritikpunkte kommentieren:
Korrekterweise weisen die Vertreter der Deutschen Tinnitus-Liga ebenso wie die in einer spezialisierten psychosomatischen Klinik tätigen Kollegen Dr. Stattrop, Prof. Goebel und Prof. Voderholzer in übereinstimmender Formulierung darauf hin, dass „es sich [bei den derzeitig verfügbaren therapeutischen Optionen] überwiegend um Tinnitusbewältigung und nicht um eine Heilung“ handle. Dieser Feststellung stimmen wir zu, sind aber der Meinung, dass die Verfügbarkeit von Behandlungsansätzen zur Tinnitusbewältigung nicht daran hindern sollte, diese Ansätze weiter zu optimieren beziehungsweise an heilungsorientierten Techniken zu arbeiten.
Näher eingehen möchten wir auch auf die in diesem Zusammenhang getroffene Aussage, dass die „kognitive Verhaltenstherapie die einzige wirklich evidenzbasierte Therapie“ sei. Im vorliegenden Manuskript wurde zu allen vorgestellten Therapieverfahren die vorliegende Evidenz nach allgemein üblichen Kriterien angegeben. Die Argumentation, dass bestimmte Verfahren generell nicht in randomisierten, kontrollierten Studien untersuchbar seien, halten wir in diesem Zusammenhang für ebensowenig zielführend wie die pauschale Ablehnung apparativer Verfahren. Zu berücksichtigen ist auch, dass die gängigerweise in klinischen Studien eingesetzten Fragebögen zwar dazu geeignet sind, den Grad der Tinnitusbelastung im Behandlungsverlauf abzubilden, jedoch das Tinnitusperzept an sich darin keine Aufnahme findet. In der klinischen Versorgungsrealität wünschen sich jedoch viele Betroffene nicht nur Hilfen zur Tinnitusbewältigung, sondern auch eine tatsächliche Reduktion ihres Geräuscheindrucks. Was vor diesem Hintergrund als „einzig wirklich evidenzbasiert“ zu gelten hat, überlassen wir der Entscheidung des Lesers.
Bezüglich der im Leserbrief der Herren Albert und Bergmann kritisierten Tinnituseinteilung nach Biesinger war es uns ein Anliegen, den in der Regelversorgung tätigen hausärztlichen beziehungsweise HNO-ärztlich tätigen Kollegen eine pragmatische Entscheidungshilfe an die Hand zu geben, um rasch zwischen Betroffenen sowie höher belasteten Patienten zu unterscheiden. Nach unserer Erfahrung sind die unmittelbaren Patientenangaben im persönlichen Gespräch für eine klinische Beurteilung wesentlich zuverlässiger als die Gesamtpunktzahl in einem Selbstbeurteilungsfragebogen, die im Einzelfall ein verzerrtes Bild abgeben kann. Dies schmälert die Bedeutung der Fragebögen für wissenschaftliche Zwecke und zur Qualitätssicherung in keiner Weise. Aufgrund der gebotenen Kürze des Artikels konnten wir leider nicht auf die unterschiedlichen verfügbaren Selbst-Rating-Skalen eingehen.
Die Tatsache, nicht näher auf Selbsthilfe-Angebote eingegangen zu sein, war im Wesentlichen Platzgründen geschuldet. Aus einer aktuellen Übersichtsarbeit (veröffentlicht im Juni 2013) (2), die zur Drucklegung des Artikels noch nicht verfügbar war, geht hervor, dass spezifische Selbsthilfe-Interventionen im Vergleich zu reiner Informationsvermittlung oder Diskussionsgruppen einen signifikanten Nutzen aufweisen.
Zum Einwand von Herrn Dr. Schaaf und Herrn Prof. Hesse möchten wir anmerken, dass wir im gesamten Artikel keinerlei kategorische Unterscheidung zwischen psychiatrischer oder psychosomatischer Herangehensweise postulierten. Ohne auf gesundheitspolitische Zusammenhänge näher eingehen zu wollen sind wir vielmehr der Meinung, dass die individuelle Erfahrung des Therapeuten sowie dessen Bereitschaft zum interdisziplinären Dialog den entscheidenden Schlüssel zum Behandlungserfolg darstellen. Sicherlich fungiert üblicherweise weder ein psychosomatisch noch psychiatrisch tätiger Arzt als erste Anlaufstelle für Tinnitusbetroffene, sondern der Hausarzt beziehungsweise HNO-Arzt (3). Anders als im Beitrag von Stattrop et al. vermerkt, ist es uns daher ein Anliegen, Counseling als beratendes und aufklärendes Gespräch nicht unter „psychologisch ausgerichteter Tinnitustherapie“ zu subsummieren, sondern dies vielmehr als integralen Bestandteil jeglicher Tinnitusbehandlung zu verstehen. Den in der Regelversorgung tätigen Kollegen eine Übersicht über die derzeit verfügbaren evidenzbasierten Therapieoptionen als Orientierung für die klinische Entscheidungsfindung zu ermöglichen, war uns – neben der Betonung der Sinnhaftigkeit eines interdisziplinären Therapieansatzes – ein zentrales Anliegen.
DOI: 10.3238/arztebl.2013.0601
Dr. med. Peter M. Kreuzer
Dr. med. Veronika Vielsmeier
PD Dr. med. Berthold Langguth
Universität Regensburg
peter.kreuzer@medbo.de
Interessenkonflikt
Dr. Kreuzer hat Drittmittel für Studienprojekte erhalten von der Firma Cerbomed GmbH. Er bekam Kongressgebühren und Reisekosten erstattet von der Tinnitus Research Initiative. Zudem wurden für ihn Reise- und Fortbildungskosten übernommen von den Firmen Servier, Pfizer, AstraZeneca, Lilly, Bristol Myers Squibb und Lundbeck.
Dr. Vielsmeier bekam Kongressgebühren und Reisekosten erstattet von der Tinnitus Research Initiative.
PD Dr. Langguth erhielt Honorare für Beratertätigkeiten von den Firmen ANM, Autifony, Merz, Novartis und Sanofi und bekam Vortragshonorare von den Firmen Merz und ANM. Er hält Patente zur Methode der neuronavigierten Positionierung der TMS-Spule zur Tinnitusbehandlung und der Behandlung mit Cyclobenzaprin und Naltrexon. Darüber hinaus hat er Erlöse erhalten aus dem Verkauf des „Textbook of Tinnitus“.
1. | Cima RF, Maes IH, Joore MA, et al.: Specialised treatment based on cognitive behaviour therapy versus usual care for tinnitus: a randomised controlled trial. Lancet 2012; 379: 1951–9 CrossRef MEDLINE |
2. | Nyenhuis N, Golm D, Kroner-Herwig B: A systematic review and meta-analysis on the efficacy of self-help interventions in tinnitus. Cogn Behav Ther 2013; 42: 159–69 CrossRef MEDLINE |
3. | Hall DA, Lainez MJ, Newman CW, et al.: Treatment options for subjective tinnitus: self reports from a sample of general practitioners and ENT physicians within Europe and the USA. BMC Health Serv Res 2011; 11: 302 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
4. | Kreuzer PM, Vielsmeier V, Langguth B: Chronic tinnitus: an interdisciplinary challenge. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(16): 278–84 VOLLTEXT |