ArchivDeutsches Ärzteblatt35-36/2013Interdisziplinäre Telekonsultation: Erfahrungen in der HNO-Heilkunde

THEMEN DER ZEIT

Interdisziplinäre Telekonsultation: Erfahrungen in der HNO-Heilkunde

Gollnick, Iris; Lipp, Thomas

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS
Die Audio-Video- Kommunikation zwischen Hausund Facharzt bietet vielfältige Möglichkeiten für die HNO-Heilkunde. Foto: ACQUA-Klinik
Die Audio-Video- Kommunikation zwischen Hausund Facharzt bietet vielfältige Möglichkeiten für die HNO-Heilkunde. Foto: ACQUA-Klinik

Von der telemedizinischen Fachkonsultation zwischen Hausarzt und Hals-Nasen-Ohren-Arzt profitieren alle Beteiligten, so das Resultat eines Pilotprojekts in Leipzig.

Die zunehmende Spezialisierung in den medizinischen Fächern und die hohe berufliche Belastung führen dazu, dass zwischen den Fachärzten für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (HNO) und den Allgemeinmedizinern nur noch selten ein fachlicher Austausch erfolgt, obwohl gerade diese Fächer viele Erkrankungen gemeinsam in ihrem jeweiligen Spektrum haben. Die Kontakte beschränken sich (von Ausnahmen abgesehen) auf präoperative Untersuchungen beim Allgemeinarzt und Zuweisungen bei komplizierten HNO-Befunden oder deren Komplikationen. Offensichtliche fachliche Synergien werden so nicht in vollem Umfang genutzt, etwa bei der gemeinsamen Behandlung einer Infektionserkrankung mit einer kalkulierten Antibiose oder bei schwierigen Differenzialdiagnosen einer Schwindelsymptomatik.

Symptome und Erkrankungen aus dem HNO-Gebiet stellen einen nennenswerten Anteil in der allgemeinmedizinischen Sprechstunde dar (15). Der Anteil von Patienten mit HNO-Erkrankungen, die ohne eine Konsultation des HNO-Facharztes allein durch den Allgemeinarzt behandelt werden, ist mit schätzungsweise 50 Prozent hoch. Auch in gut versorgten Gebieten dürfte der Patientenwunsch nach kurzen Wegen und Wartezeiten und der entsprechende logistische Aufwand zur Vereinbarung einer Facharztkonsultation zu dieser Situation beitragen.

Gleichzeitig gibt es seit etwa fünf Jahren einen deutlichen Technologiezuwachs in der Telemedizin. Vor allem die Qualität und die Stabilität der synchronen bidirektionalen Übertragung von Bild und Ton haben sich deutlich verbessert. Breitbandnetze, Konnektoren und flexible Endgeräte sind weit verbreitet, so dass der Anwendung im ärztlichen Alltag kaum noch Grenzen gesetzt sind. Dennoch werden diese Möglichkeiten für die HNO-Heilkunde bis heute kaum genutzt.

Vor diesem Hintergrund wurde in einem Pilotprojekt in Leipzig über einen Zeitraum von 18 Monaten ein Telekonsil erprobt, an dem vier Allgemeinärzte, fünf HNO-Fachärzte und 102 Patienten teilnahmen. Die Lösung sollte die Kommunikation zwischen den Ärzten zum Zweck einer verbesserten Diagnose- und Therapiesicherheit unterstützen.

Technische Voraussetzung war eine einfache, sichere und robuste Breitbandverbindung für eine Audio-Video(AV)-Kommunikation zwischen zwei und mehr Praxisstandorten. Die Lösung umfasste zusätzlich zur Übertragung herkömmlicher AV-Signale (PC-Bild, Audiosignal des Headsets) auch spezielle Signale wie das Videosignal eines Endoskops, um etwa Funktionen der Otoskopie (Betrachtung des äußeren Gehörgangs und des Trommelfells) durch den Allgemeinarzt zu ermöglichen. Parallel zur Bildübertragung und unabhängig von dieser wird beim Konsil jeweils eine Telefonverbindung zwischen Haus- und Facharzt aufgebaut. Von außen kann keine Verbindung zwischen dem Telefonat und der Übertragung der Videodaten hergestellt werden, die Videobilder lassen somit keinen Rückschluss auf den Patienten zu.

Vielversprechende Ergebnisse der Studie

Die Lösung ermöglichte eine Telekonsultation zwischen den Ärzten und die Einbindung von speziellen Videosignalen wie Endoskopkamera und Ultraschall. Einschränkend im Hinblick auf die technische Machbarkeit ist allerdings anzumerken, dass die geforderte Bandbreite nicht überall verfügbar ist und eine geringere Bandbreite eine Videoverbindung teilweise unmöglich machen kann.

Die Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit sowie die Grundsätze des Berufsrechts konnten berücksichtigt werden.

Untersucht wurde zudem die Frage, ob sich die Telekonsultation auf die Qualität der ärztlichen Diagnose und Therapiestrategie des behandelnden Allgemeinarztes auswirkt. Die häufigsten klinischen Fragestellungen betrafen der Studie zufolge die Tonsillen (37 Prozent), den äußeren Gehörgang (32 Prozent) und die innere Nase (15 Prozent), Grafik 1. Im Durchschnitt wurden die Patienten 1,1-mal per Telekonsultation dem Facharzt vorgestellt. Auf der Basis der vorliegenden Daten zu den untersuchten Patienten lässt sich nachweisen, dass die telemedizinische Vorstellung die Behandlungsqualität beim Hausarzt verbessern kann. Die durchschnittliche Bewertung des Level of Quality (LOQ*) mit 64 Punkten bedeutet einen signifikanten Erkenntniszuwachs beim Hausarzt im Hinblick auf die Diagnose- und Therapiequalität (eGrafik, eTabelle). Dieser hat bei mehr als einem Drittel der vorgestellten Patienten zu einer Veränderung der ursprünglich geplanten Therapie geführt. Hiervon waren vor allem Fragen zur Trommelfellperforation (100 Prozent), zur Tonsillenasymmetrie (72,7 Prozent) und zur Septumdeviation (62,5 Prozent) betroffen.

Zusätzlich wurde ausgewertet, ob die Telekonsultation Einfluss auf die Anzahl der vorgestellten Patienten beim Facharzt hat. Durch die telemedizinische Vorstellung kamen 55 der 102 Patienten zur Konsultation beim HNO-Facharzt, die aller Voraussicht nach ohne diese Möglichkeit im Rahmen des Behandlungsfalls dort nicht vorstellig geworden wären. Mehr als 40 Prozent der vorgestellten Patienten suchten zudem zusätzlich zum Telekonsil die Praxis des HNO-Arztes auf (Grafik 2). Dies lässt den Schluss zu, dass die Möglichkeit eines Telekonsils nicht zu einem Patientenrückgang beim HNO-Facharzt führt. Vielmehr werden durch die vereinfachten Zugänge tendenziell mehr Patienten vorstellig.

Bessere Zusammenarbeit in der Praxis

Das interdisziplinäre Telekonsil zwischen dem Allgemein- und dem HNO-Facharzt ist für die Behandlungsqualität und den Patientenkomfort von Nutzen. Die direkte und enge Kommunikation kann zu einer noch besseren Zusammenarbeit der beiden Fachgruppen beitragen.

Indikationsspektrum der Vorstellung von Patienten durch den Allgemeinarzt beim HNO-Facharzt via Telekonsil
Grafik 1
Indikationsspektrum der Vorstellung von Patienten durch den Allgemeinarzt beim HNO-Facharzt via Telekonsil

Für die Facharztpraxis bietet das Konsil den Vorteil, dass sie mehr facharztspezifische Arbeiten durchführen kann. Das Risiko einer Verschiebung von Behandlungskompetenz zulasten der HNO-Heilkunde ist nach den vorliegenden Erfahrungen als gering einzuschätzen. Vielmehr erlaubt die Beteiligung der Fachgruppe an frühen Projektphasen eine breite Gestaltungsfreiheit und die Chance auf eine Erweiterung des Leistungsprofils.

Vorstellung beim HNO-Arzt „nur“ wegen Telefonkonsils, Vorstellung in Sprechstunde
Grafik 2
Vorstellung beim HNO-Arzt „nur“ wegen Telefonkonsils, Vorstellung in Sprechstunde
Daher sind weitere Anwendungen des Telekonsils innerhalb der Fachgruppe der HNO-Fachärzte vorstellbar.

Eine telemedizinische Behandlung (Diagnostik- und Behandlungshilfe) bietet auch für den Allgemeinarzt vielfältige Vorteile. Bei unklaren Befunden oder Routinekontakten können unnötige Konsultationen wegen desselben Problems eingespart werden. Damit werden Kapazitäten für andere Patienten frei, und den Krankenkassen entstehen keine zusätzlichen Kosten. Der Arzt hat über die Telemedizin zwar einen bis zu fünf Minuten erhöhten Aufwand für den einzelnen Patienten, erspart sich aber im besten Fall Wiedereinbestellungen und die Überweisung an andere Ärzte.

Durch die in den Telekonsultationen gewonnenen unmittelbaren Lösungen kommt es zu einem erheblichen Imagegewinn des Arztes beim Patienten, der das Interagieren zwischen Haus- und Facharzt miterlebt. Der Patient nimmt an dem Konsil teil und kann sich selbst eine Meinung zur Zweitmeinung bilden. Er ordnet dem Hausarzt mehr Kompetenz zu, das Arzt-Patienten-Verhältnis und die beiderseitige Zufriedenheit werden gestärkt. Der Hausarzt wird in seiner Rolle als Organisator und Sammler der Befunde zum primären Ansprechpartner für den Patienten. Überdies profitiert er von der direkten Einbindung in die Diagnostik und den Therapievorschlag, da im Gespräch nicht nur der Befund, sondern auch die Entscheidungskriterien und die Erfahrungen des Facharztes einen Wissenszuwachs ermöglichen.

Gleichzeitig verringern sich über den Hausarzt die Barriere und Schnittstelle zum Spezialisten. Das fachliche Spektrum des Hausarztes wird größer, ohne dass der Facharzt Honorareinbußen zu befürchten hat. Durch das direkte Zusammenwirken von Hausarzt und Spezialist wird das kollegiale fachliche Gespräch weit über den Austausch von Befundberichten hinaus geführt. Das ärztliche Zusammengehörigkeitsgefühl und Miteinander werden deutlich gestärkt.

Die meisten Vorteile hat indes der Patient: Er hat ohne organisatorischen Mehraufwand Zugang zur Expertise eines Spezialisten. Er muss hierfür nicht extra Urlaub nehmen oder sich krankschreiben lassen. Die üblichen zeitlichen Belastungen und Wartezeiten für einen Termin beim Spezialisten entfallen.

In der Regel hat der Patient zu seinem Hausarzt ein persönlicheres Verhältnis als zu Fachärzten, die er nur durch die Überweisung kennenlernt. Durch das Telekonsil erfährt der Patient den Hausarzt als Problemlöser aus einer Hand. Das schafft Vertrauen in den Hausarzt und in die Medizin als solche. Der Zeitrahmen für Diagnostik und Therapie verkürzt sich unter Umständen erheblich, und die Behandlung lässt sich eindeutig besser koordinieren. In einem konkreten Beispiel konnten die Arzt-Patienten-Kontakte auf dem Weg von einer primären Beschwerdeschilderung über Diagnostik, Operation, Nachsorge und abschließendes Gespräch beim Hausarzt von neun auf vier bis fünf Arztkontakte verringert werden.

Fazit: Für den Hausarzt stellen telemedizinische Verfahren keinen Ersatz für übliche diagnostische oder therapeutische Verfahren dar. Vielmehr sind sie künftig eine unverzichtbare Option in ärztlich unterversorgten Gebieten oder ein Serviceangebot in Großstädten. Experten gehen davon aus, dass die Telemedizin in Zukunft einen Teil der Regelversorgung abbilden wird, da die medizinische Infrastruktur in demografisch belasteten und ländlichen Regionen zunehmend ausgedünnt ist. Die Telemedizin stellt jedoch keine massenhaft einzusetzende Variante dar, sondern ist Krankheitsbildern vorbehalten, bei denen der Hausarzt sich nicht sicher ist und deswegen die Expertise eines Facharztes einholen muss.

Iris Gollnick,

International Reference and Development Centre for Surgical Technology (IRDC) Leipzig, i.gollnick@irdc-leipzig.de

Dr. med. Thomas Lipp,

Allgemeinarztpraxis Dres. Lipp und Amm, Leipzig

@Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/lit3513

eTabelle und eGrafik: www.aerzteblatt.de/131622

1.
Kvaerner KJ, Helgaker AB: Otitis media referrals – the general practitioner perspective. Int J Pediatr Otorhinolaryngol 2007; 71:1219–24 CrossRef MEDLINE
2.
Marinos G, Vasileiou I, Katsargyris A, Klonaris CP, Korombelis P, Michail O, Valatsou A, Griniatsos J, Vlasis K, Siasos G, Souliotis K, Konstantopoulos K: Management of minor medical problems and trauma: the role of general practice. Rural Remote Health 2009; 9: 1019 MEDLINE
3.
Pabla L, Jindal M, Latif K: The management of otitis externa in UK general practice. Eur Arch Otorhinolaryngol 2012; 269: 753–6 CrossRef MEDLINE
4.
Stainkey LA, Seidl IA, Johnson AJ, Tulloch GE, Pain T: The challenge of long waiting lists: how we implemented a GP referral system for non-urgent specialist’ appointments at an Australian public hospital. BMC Health Serv Res 2010, 10: 303 CrossRef MEDLINE PubMed Central
5.
Townsley R, Burkes M: Tips for GP trainees working in ENT. Br J Gen Pract 2011; 61: 363–4 CrossRef MEDLINE PubMed Central
Indikationsspektrum der Vorstellung von Patienten durch den Allgemeinarzt beim HNO-Facharzt via Telekonsil
Grafik 1
Indikationsspektrum der Vorstellung von Patienten durch den Allgemeinarzt beim HNO-Facharzt via Telekonsil
Vorstellung beim HNO-Arzt „nur“ wegen Telefonkonsils, Vorstellung in Sprechstunde
Grafik 2
Vorstellung beim HNO-Arzt „nur“ wegen Telefonkonsils, Vorstellung in Sprechstunde
1. Kvaerner KJ, Helgaker AB: Otitis media referrals – the general practitioner perspective. Int J Pediatr Otorhinolaryngol 2007; 71:1219–24 CrossRef MEDLINE
2. Marinos G, Vasileiou I, Katsargyris A, Klonaris CP, Korombelis P, Michail O, Valatsou A, Griniatsos J, Vlasis K, Siasos G, Souliotis K, Konstantopoulos K: Management of minor medical problems and trauma: the role of general practice. Rural Remote Health 2009; 9: 1019 MEDLINE
3. Pabla L, Jindal M, Latif K: The management of otitis externa in UK general practice. Eur Arch Otorhinolaryngol 2012; 269: 753–6 CrossRef MEDLINE
4. Stainkey LA, Seidl IA, Johnson AJ, Tulloch GE, Pain T: The challenge of long waiting lists: how we implemented a GP referral system for non-urgent specialist’ appointments at an Australian public hospital. BMC Health Serv Res 2010, 10: 303 CrossRef MEDLINE PubMed Central
5. Townsley R, Burkes M: Tips for GP trainees working in ENT. Br J Gen Pract 2011; 61: 363–4 CrossRef MEDLINE PubMed Central

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote