POLITIK
Versorgung von Menschen mit Behinderung: Barrieren gibt es nicht nur äußerlich


Optimal ist die ambulante, stationäre und zahnärztliche Versorgung von Menschen mit Behinderungen noch immer nicht. Die vier ärztlichen und zahnärztlichen Spitzenorganisationen wollen das Augenmerk auf innere und äußere Barrieren lenken.
Eine bessere medizinische Versorgung der 9,6 Millionen Menschen mit Behinderung in Deutschland wollen Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Bundesärztekammer (BÄK), Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und Bundeszahnärztekammer (BZÄK) künftig gemeinsam verstärkt angehen. Die vier ärztlichen und zahnärztlichen Organisationen trafen sich deshalb am 9. September erstmals zu einem gemeinsamen Erfahrungsaustausch. Mit Betroffenen und Experten diskutierten sie, wie sich Barrieren abbauen lassen und welche speziellen Handlungsziele sich daraus für Ärzte und Zahnärzte ergeben.
Seit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 hat sich schon einiges in Deutschland getan. Dennoch existieren für Menschen mit Behinderungen immer noch viele Hürden, die eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft erschweren – auch in der gesundheitlichen Versorgung. Behinderung habe eine medizinische und eine soziale Komponente, betonte Prof. Dr. med. Michael Seidel, Ärztlicher Direktor der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel.
„Wir brauchen Fachwissen sowie Handlungs- und Kommunikationskompetenz“, sagte er. Dabei sei die Haltung von Ärztinnen und Ärzten oft noch ein Problem. „Es ist paradox“, analysierte er. „Während uns kranke Menschen vertraut sind, empfinden wir es teilweise als berufliche Kränkung, wenn wir Erkrankungen nicht beeinflussen können. Wir müssen lernen, dass nicht alles repariert werden kann“, erklärte Seidel. „Barrieren gibt es nicht nur äußerlich. Der Abbau muss im Kopf und im Herzen der Ärztinnen und Ärzte beginnen.“ Danach müssten mit politischen Entscheidungsträgern adäquate Rahmenbedingungen hergestellt werden (Interview: DÄ, Heft 33-34/2013).
Ambivalente Gefühle beschrieb Prof. Dr. med. Jeanne Nicklas-Faust, Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Lebenshilfe und selbst Mutter einer behinderten Tochter, auch auf der Seite der behinderten Menschen: „Sie haben oft zuvor schwierige Erfahrungen im Gesundheitsbereich gemacht, die dazu führen, dass sie erst möglichst spät zum Arzt gehen“, erläuterte sie. Andererseits verdankten sie der Medizin viel Lebenszeit.
Entscheidend ist „Weisheit der Kommunikation“
Den Kern barrierefreier gesundheitlicher Versorgung brachte der ehemalige Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Prof. Dr. Dr. Wolfgang Huber, auf den Punkt: Die ärztlichen Berufe seien nicht allein durch naturwissenschaftliche Expertise und technische Kompetenz geprägt, sondern in entscheidendem Maße durch „die Weisheit der Kommunikation“. „Die entscheidende Barrierefreiheit ist die Freiheit partnerschaftlicher Kommunikation“, sagte er. Die große Herausforderung sei es, die Selbstbestimmung des behinderten Menschen und die Fürsorge der Ärzte in Balance zu halten.
„Wir müssen innere sowie äußere Barrieren überwinden“, betonte auch Dr. med. Christoph von Ascheraden, Vorstandsmitglied der BÄK. Er verwies darauf, dass mittlerweile viele Vorgaben des Gesetzes über die Rechte von Menschen mit Behinderungen auf den Weg gebracht worden seien, aber: „Wir sind noch weit davon entfernt, alle Inhalte und Zielsetzungen des Gesetzes verwirklicht zu haben.“
Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU), hob den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention hervor. Dieser sehe vor, in den nächsten zehn Jahren eine ausreichende Anzahl von Arztpraxen barrierefrei zu gestalten. Barrierefreiheit bedeute allerdings nicht nur die Bereitstellung von Rampen, Fahrstühlen und breiten Türen. Vielmehr gehe es auch um andere Kommunikationswege und um das Eingehen auf die individuellen Bedürfnisse.
Für Patienten mit Sehbehinderung, Hörschädigung oder geistiger Behinderung sei es zwar noch immer schwer, sich in Krankenhäusern und Arztpraxen zurechtzufinden, erläuterte die Hausärztin Dipl.-Med. Regina Feldmann, Vorstand der KBV. Manchmal helfe es jedoch schon, sich den Patienten mit Behinderung zuzuwenden, sich deutlich auszudrücken oder gut sichtbare Schilder anzubringen, ermutigte sie die anwesenden Ärztinnen und Ärzte.
Unterstützung – zumindest bei der Überwindung der äußeren Barrieren – gibt es bei der KBV und den jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen: „Mit praktischen Tipps hilft die KBV, Praxisinhabern Maßnahmen aufzuzeigen, die auch ohne großen finanziellen Aufwand umsetzbar sind“, erklärte Feldmann. Eine entsprechende Broschüre „Barrieren abbauen – Ideen und Vorschläge für Ihre Praxis“ sei aufgrund der großen Nachfrage schon zweimal nachgedruckt worden und könne bei der KBV kostenfreiangefordert oder im Internet heruntergeladen werden. Zudem setze sich die KBV derzeit bei der Bundesregierung für ein Förderprogramm „Barrierearme Praxis“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau ein.
Mundhygiene fällt Menschen mit Behinderung schwer
Die besondere Situation in der Zahnmedizin verdeutlichte Dr. med. dent. Wolfgang Eßer, stellvertretender Vorsitzender der KZBV. Der Leistungskatalog baue darauf auf, dass Patienten eigenverantwortlich Mundhygiene betrieben. Menschen mit Behinderung könnten dies jedoch oft nicht und erhielten daher nicht die notwendige Betreuung. „Diese Barriere wollen wir mit unserem Versorgungskonzept abbauen“, sagte er und verwies auf das Konzept „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“.
Für Zahnärzte sei es schwierig, Menschen mit einer geistigen Behinderung zu erklären, was bei einer Untersuchung passiere und aus welchem Grund. Deshalb sei hier der richtige Umgang mit den Patienten besonders wichtig, betonte Prof. Dr. med. dent. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der BZÄK. „Wir wollen externe und interne Barrieren angehen. Eine wertschätzende Einstellung und offene kommunikative Haltung gegenüber Menschen mit Behinderung sollen für Ärzte und Zahnärzte – aber auch für die Gesellschaft – selbstverständlich sein“, ergänzte er.
Auf einen besonderen Versorgungsbedarf von Erwachsenen mit Behinderungen wies Seidel hin. Behinderte Kinder könnten in Sozialpädiatrischen Zentren betreut werden. Behinderte jenseits des 18. Lebensjahrs jedoch fielen nach jahrelanger Betreuung sozusagen in ein Loch. Denn auch Patienten, die gar nicht dazu in der Lage seien, selbst Verantwortung für sich zu übernehmen, seien dann gezwungen, die pädiatrische Versorgung zu verlassen. Diese „gesetzgeberische Barriere“ beklagte Eßer auch für die Mundgesundheit der Betroffenen. Die Gruppenprophylaxe wird nämlich von den Sozialpädiatrischen Zentren ebenfalls nur bis zum 18. Lebensjahr angeboten.
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
@Broschüre, Vorträge und demnächst auch Checklisten für Ärzte: www.kbv.de/43908.html
Barrieren beseitigen: findig, nicht teuer
Dr. med. Wolfgang Blank ist Hausarzt im bayerischen Kirchberg im Wald. Zusammen mit Kollegen versorgt er circa 3 000 Patienten. Darunter sind zwei Rollstuhlfahrer, vier stark sehbehinderte und etwa 20 stark hörbehinderte Frauen und Männer. Für zwei Rollstuhlfahrer statt der Eingangstreppe einen Lift anbauen für 40 000 Euro? Nicht finanzierbar. Für vier Sehbehinderte die ganze Praxis umgestalten? Unrealistisch.
Solche umfangreichen Maßnahmen seien denn auch „für viele Kollegen ein rotes Tuch“, stellte Blank fest. Er leitete bei der Koop
Der Hausarzt bietet seit längerem Workshops für Ärzte und Medizinische Fachangestellte an und sagt: „Es geht eher darum, die Barrieren in den Köpfen wegzubekommen.“ Oder, wie es in einer der Gruppen formuliert wurde: „Manchmal ist eine empathische Praxis hilfreicher als eine umgebaute, in der der Patient spürt: Hier bin ich eigentlich nicht erwünscht.“
Anregungen, wie ein Praxisteam den Weg zur Praxis erleichtern und die Versorgung dort für Behinderte vereinfachen kann, hatten die Teilnehmer viele: Weiß jeder, welche Hilfen man für den Weg organisieren kann, auch die neue Auszubildende? Sind Behindertenparkplätze vorhanden, auch solche ohne Festlegung auf ein Kennzeichen? Mobile Rampen? Sind die Klingelschilder gut sichtbar und groß, ist eindeutig, in welchem Stock die Praxis liegt?
Erreicht man als hörbehinderter Patient den Arzt rasch per Fax oder E-Mail? Gibt es Krückenhalter an der Anmeldung, eine Garderobe mit Haken in verschiedenen Höhen, Stühle im Wartezimmer, aus denen man auch tatsächlich wieder hochkommt?
Wer sich seine Praxis aus der Perspektive von behinderten Patienten anschaue, entdecke manches, was sich mit verhältnismäßig geringem Aufwand ändern lasse, befanden alle Arbeitsgruppen. Man könne Betroffene auch bitten, eine gemeinsame Begehung zu machen, lautete ein Tipp. Gut geeignet seien dafür ebenso Vertreter von Gesundheitsberufen in der Nachbarschaft wie Physiotherapeuten, jemand vom Sanitätshandel oder ein Architekt. Rie