MEDIZIN: Zur Fortbildung
Epilepsietherapie – Teil 1: Konservative Behandlung


Schlüsselwörter: Neurologische Erkrankung, Epilepsietherapie, Kern-Schalenmodell, Pharmakoresistenz
New Methods in Diagnosis and Conservative
Therapy of Epilepsy
Epilepsies are neurological diseases which require different therapeutic procedures according to the type of
seizure, syndrome, acuity, and individual disposition of the patient.
Basic diagnostic procedures for a rational therapy have been improved considerably by new imaging methods
and the dynamic description of symptoms of the individual seizure. A clinical prognosis of the origin and
propagation of the seizure of focal epileptic activity can be established with the help of the nucleus/shell model.
However, only a summary of seizure symptoms, etiology, age, and family disposition can provide sufficient
information for the diagnosis of an epileptic syndrome. The range of conservative therapy has been extended
lately by non-drug-related procedures and the use of new antiepileptic drugs. Careful examination helps to
differentiate between true pharmacoresistency and pseudo-pharmacoresistency.
Key words: Neurological disease, therapy of epilepsy, nucleus shell model, pharmacoresistency
Durch intensive Grundlagen- und klinische Forschung haben sich in den letzten Jahren eine Fülle von neuen
Erkenntnissen im Hinblick auf die Diagnostik und die hieraus resultierende Therapie ergeben. Im folgenden
können nur schlaglichtartig einige wichtige Prinzipien der Epilepsietherapie aufgezeigt werden. Ergänzend zu
den erweiterten Möglichkeiten der konservativen Behandlung hat sich bei bestimmten
Patienten die operative Behandlung durchgesetzt. Im ersten Teil werden Gesichtspunkte der konservativen und
im zweiten, im nächsten Heft folgenden Teil wird die operativ invasive Behandlung erörtert.
Konservative Behandlung
Vor jeder Therapie muß eine exakte Diagnose gestellt werden. Das heißt, zunächst muß zwischen nichtepileptischen Attacken und epileptischen Anfällen differenziert werden. Einerseits führen Verwechslungen mit
Synkopen, psychogenen Attacken, Dys- und Parasomnien oder Migräne und andererseits Verkennungen
epileptischer Anfälle als nicht epileptische Attacken in zirka 15 Prozent zu einer inadäquaten
Behandlungsstrategie. Falls bei der Erstdiagnose auch nur leichte Zweifel bestehen, sollte der Hausarzt oder
Neurologe mit einem Spezialisten Kontakt aufnehmen. Eine Fehldiagnose zu Beginn der Erkrankung kann
schwerwiegende gesundheitliche und soziale Folgen für den Patienten bewirken, welche vermeidbar sind. Die
Analyse eines Anfallgeschehens im Zeitablauf läßt sich didaktisch vereinfacht nach dem Kern-Schalen-Modell
durchführen (Grafik 1). Während bei den Anfällen zwischen fokalen (partiellen) und generalisierten Anfällen
ohne und mit Bewußtseinstrübung unterschieden wird, werden in der Klassifikationsebene der epileptischen
Syndrome Ursache und Prognose mit einbezogen. Bei den epileptischen Syndromen wird zwischen
idiopathischen, symptomatischen und kryptogenen unterschieden. Besondere Richtlinien für die
Kernspindiagnostik bei Epilepsien wurden kürzlich von der "Kommission für Bildgebung der Internationalen
Liga gegen Epilepsie" ausgearbeitet (1997). Das Vorgehen bei symptomatischen Epilepsien richtet sich nach
dem jeweils zugrunde liegenden zerebralen Prozeß. Die klinische Epilepsiediagnostik ist für das praktische
Vorgehen vom Symptom bis zur Definition der Erkrankung in drei Stufen in Grafik 2 dargestellt. Bei den
fokalen Epilepsien wird außerdem bereits durch die Anfallsanalyse klinisch versucht, den Ausgangspunkt der
fokalen Entladungen in bestimmten Hirnregionen (zum Beispiel frontal, temporal, parietal und okzipital) für eine
Lokalisationshypothese zu nutzen. Wichtige Therapiemaßnahmen sind in Tabelle 1 in Übersichtsform
zusammengefaßt.
Vermeidung von Auslösern
Der auslösenden Situation von Anfällen kommt große Bedeutung zu. Häufig haben Patienten nur einzelne
Anfälle nach bestimmten auslösenden Situationen wie Schlafmangel, Fieber, Flüssigkeitsstoß, Streß,
Entspannung, emotionale Belastung, Alkoholentzug, Einnahme von Antibiotika, Antidepressiva, Drogen oder
bei bestimmten Reizen visueller, akustischer oder sonstiger sensorischer Art. In diesen Fällen hilft unter
Umständen bereits das Vermeiden der auslösenden Situation, oder es können bei immer wiederkehrenden, nicht
vermeidbaren Situationen Konditionierungsbehandlungen und Verhaltenstherapie erfolgen. Hierzu muß der
Patient auf mögliche Auslösesituationen vom Arzt aufmerksam gemacht werden; und es muß ein Verständnis für
die Ursachen sowie Zusammenhänge seiner Erkrankung und - bei komplexen psychischen Auslösern - unter
Umständen mit seiner Rolle im sozialen Umfeld (Familie, Partner, Beruf) vermittelt werden. Durch intensive
Aufklärung wird die Basis für eine möglichst selbständige Persönlichkeitsentwicklung geschaffen. Einen
weiteren Ansatz zur nichtmedikamentösen unterstützenden Therapie stellt das Biofeedback-Verfahren (4, 17)
dar. Selbstverständlich ist das Behandlungsziel, neben der Vermeidung der Anfälle, die soziale Integration.
Hierzu muß ein wichtiges Augenmerk auf familiäre und berufliche Gegebenheiten gerichtet werden. Zur
besseren Beurteilung der sozialen Eingliederungsfähigkeit im Rahmen der Berufsfindung hat sich eine besondere
Sicht der Einteilung von Anfällen (1) bewährt (Tabelle 2). Voraussetzungen für eine differenzierte
Anfallstherapie sind die Sicherung der Diagnose "Epilepsie", der Nachweis oder Ausschluß kausal
behandelbarer Ursachen, die Indikation zur Behandlung mit Antiepileptika und die Auswahl geeigneter
Medikamente sowie eine individuell angepaßte Therapiestrategie bezüglich des Beginns, der Durchführung und
Beendigung der Therapie. Hierzu ist eine enge Zusammenarbeit des Hausarztes mit dem Neurologen oder
Pädiater erforderlich, da diese die individuelle Diagnose und Therapiestrategien festlegen (Tabelle 1). Dabei
müssen dem Patienten die Erkrankung sowie Nutzen und Risiko der Behandlung ausführlich erklärt werden. Für
eine solche fachkompetente Information muß hinreichend Zeit zur Verfügung stehen. Die bloße Überreichung
eines ausgefüllten Rezeptformulares ohne eingehende Erläuterung zur Indikation, Auswahl und Durchführung
der medikamentösen Behandlung reicht nicht für die nötige Compliance.
Medikamentöse Behandlung
Indikation
Bei Gelegenheitsanfällen wird die auslösende Ursache behandelt. Eine medikamentöse Langzeittherapie kommt
meist nicht in Betracht. Bei spontan auftretenden Anfällen richtet sich die Indikation nach der Anzahl der
Anfälle, der Familienanamnese, dem neurologischen Befund sowie dem EEG. Beim Auftreten eines zweiten
spontanen tonisch-klonischen Grand-mal-Anfalls wird in der Regel eine medikamentöse Behandlung eingeleitet.
In Abhängigkeit von der sozialen Situation des Patienten (Führerschein, Beruf, bei positiver Familienanamnese
oder generalisierter spike-wave im EEG) kann in Absprache mit dem Patienten schon nach einem Anfall eine
Behandlung durchgeführt werden. Als Richtlinie für die Therapieeinleitung mit Antiepileptika gilt: zunächst
Monotherapie bei schrittweiser Dosissteigerung, systematische klinische Kontrollen, Ausdosierung! Ein häufiger
Therapiefehler besteht darin, daß ein Medikament bei mangelnder Kontrolle der Anfälle nicht bis zur
Nebenwirkungsgrenze ausdosiert, sondern frühzeitig abgesetzt wird.
Die erste Monotherapie stellt jedoch einen ganz entscheidenden Abschnitt in der Behandlungsstrategie der medikamentösen Epilepsietherapie dar. Wird durch fehlende Aufklärung, unzureichende Dosierung oder
zu komplizierte Verabreichungsschemata pro Tag die Compliance unzureichend aufgebaut, bestehen für eine
jahrelange Langzeitbehandlung schlechte Chancen. Es sollte eine Verabreichung von möglichst wenigen
Einzeldosen pro Tag angestrebt werden. Im Verlauf der Titrierung muß dann die Dosierung gewählt werden, die
so niedrig wie möglich, aber so hoch wie nötig ist. Bei Carbamazepin retard (CBZ) und Valproat (VPA) kann
die Therapieeinleitung zunächst in Form einer abendlichen Einmalgabe erfolgen. Nach Möglichkeit sollte
zunächst eine Monotherapie durchgeführt werden, um die Gefahr unübersichtlicher Wirkungen und
Nebenwirkungen einer Kombinationstherapie zu vermeiden.
Für die Auswahl eines geeigneten Antiepileptikums werden neben den Kontraindikationen klinisch die
Unterscheidung in fokale und generalisierte Anfälle sowie die individuelle Verträglichkeit und das jeweils
vorliegende epileptische Syndrom berücksichtigt. Nicht oder wenig sedierende Antiepileptika werden bevorzugt.
Fokale Anfälle oder sekundärgeneralisierte Grand-mal-Anfälle wurden früher gewöhnlich mit Phenytoin
behandelt. In zunehmendem Maße wird jedoch jetzt Carbamazepin in der Retard-Präparation verwandt.
Carbamazepin und Valproat sind etwa gleich wirksam bei fokal eingeleiteten, sekundär-generalisierten tonischklonischen Anfällen. Der antikonvulsive Effekt tritt bei Valproat in der Regel später als bei Carbamazepin auf.
Als neues Antiepileptikum wurde jetzt zusätzlich Lamotrigin zur Monotherapie zugelassen. Generalisierte
Anfälle ohne nachweisbare fokale Aktivität werden heute bevorzugt mit Valproat oder im Falle der Absencen
mit Ethosuximid behandelt. Zur Add-on-Therapie fokaler Epilepsien sind außerdem Vigabatrin, Gabapentin,
Tiagabin und Topiramat zugelassen.
Lamotrigin hat außerdem in der Add-on-Therapie generalisierter Anfälle (Absencen, tonisch-klonischer Grand
mal) einen antikonvulsiven Effekt. Pharmakokinetik und Interaktionen von Antiepileptika sind in Tabellen an
anderer Stelle zusammengefaßt dargestellt (21).
Im Vergleich zu den Antiepileptika der ersten Generation (wie Phenobarbital, Phenytoin, Carbamazepin) weisen
die Antiepileptika der zweiten Generation (Vigabatrin, Lamotrigin, Gabapentin und Tiagabin) weniger
Interaktionen mit anderen Medikamenten, keine oder eine geringe Autoinduktion und eine weniger nach
Serumkonzentrationen ausgerichtete Erfassung des sogenannten "therapeutischen" Bereiches auf. Hierdurch
wird (bis auf den Einfluß anderer Antiepileptika auf Lamotrigin) eine einfache Handhabung
in Kombinationstherapie ermöglicht. Serumkonzentrationsmessungen sind routinemäßig nicht erforderlich. Über
den Wert von Serumkonzentrationsbestimmungen von Antiepileptika informiert kritisch eine Stellungnahme der
Therapiekommission der Liga gegen Epilepsie (11). Erst der langjährige tatsächliche Einsatz in der Praxis kann
das Effektivitäts- und Nebenwirkungsprofil neuer Antiepileptika in Mono- und Kombinationstherapie
realitätsnah erfassen. Anwendungsbeobachtungen zeigen, daß neue Antiepileptika unter Umständen in der Praxis
zu schnell eindosiert und nicht ausreichend hoch ausdosiert werden. Hier muß man auf die speziellen
Gegebenheiten bei Mono- und Kombinationstherapie achten. Die Häufigkeit erforderlicher Laborkontrollen ist
niedriger als bei Carbamazepin und vor allem bei Valproat. Bei Valproat wird zur Zeit die Vereinfachung der
Laborkontrollen diskutiert (12) (Konsensus-Konferenz, Berlin). Kontrollen des Verlaufes erfolgen je nach
Akuität der Erkrankung. Sie schließen ein: die Bestimmung der Anfallsfrequenz (ein Anfallskalender ist zur
Therapieüberwachung obligatorisch erforderlich), fremdanamnestische Angaben, die Ausprägung der Anfälle,
körperliche und psychische Befunde, EEG und laborchemische Werte (Blutbild, Leberwerte, Elektrolyte,
Kreatinin und andere).
Wichtig ist das klinische Befinden des Patienten. Bei längerer Behandlungsdauer muß auf die schleichende
Entwicklung einer Blut-, Leberfunktionsstörung und bei den enzyminduzierenden Antiepileptika der ersten
Generation auf die Entwicklung einer Osteopathie geachtet werden. Bei Auftreten von Anfällen in Clustern kann
eine intermittierende Benzodiazepin-Gabe von 10 bis 20 mg Clonazepam zum Zeitpunkt der Anfallshäufung
hilfreich sein. Bei konstanter perimenstrueller Clusterung kommt unter Umständen auch eine hormonelle
Behandlung mit Progesteron oder Gonadotropin-Release-Hormon-Agonisten (3,75 mg Decapeptyl pro Monat) in
Betracht.
Therapie im höheren Lebensalter
Die Dosierung zur Behandlung der Altersepilepsie ist häufig niedriger als im jungen Erwachsenenalter. Da
oftmals zusätzlich Alterskrankheiten vorliegen, ist bei rezidivierenden Anfällen häufig eine zweigleisige
symptomatische Behandlung sowohl einer internistisch-neurologischen Grunderkrankung als auch eine
antiepileptische Therapie erforderlich.
Erhöhte Rezeptorempfindlichkeit, reduzierte Nieren- beziehungsweise Leberfunktion, Proteinbindung sowie
Erkrankungen des kardiovaskulären Systems erfordern eine besondere Vorsicht bei der Auswahl der
Medikamente (Carbamazepin nicht bei Arrhythmie).
Aufgrund der häufig relativ schlechten Compliance der Patienten wird eine möglichst einfache abendliche
Einmalgabetherapie von Carbamazepin, Valproat retard oder Lamotrigin empfohlen. Die Ersteinstellungsdosis
sollte zunächst allmählich auf 300 bis 400 mg Carbamazepin retard aufdosiert werden, bei Valproat auf 500 bis 1
000 mg.
Interaktionen von Antiepileptika mit Digitalis, Furosemid oder Phenprocoumon können zu einem herabgesetzten
therapeutischen Effekt führen. Bei Verwendung enzyminduzierter Antiepileptika muß mit einer veränderten
Metabolisierung von Antikoagulantien gerechnet werden. In solchen Fällen sind nicht enzyminduzierende
Antiepileptika vorzuziehen.
Epilepsiesyndrome und Autoimmunerkrankung
Ergänzend zu den bekannten symptomatischen Epilepsien bei Immunerkrankungen werden bei bestimmten
schwer zu behandelnden fokalen Epilepsien immunvermittelte Mechanismen diskutiert. Fokale Status nach Art
der Epilepsia partialis continua können durch eine sogenannte Rasmussen-Enzephalitis bedingt sein. Hierbei
finden sich histologisch im Gehirn entzündliche Infiltrate, deren Genese bisher noch nicht hinreichend geklärt
ist. Bei bis zu 70 Prozent der Patienten mit Rasmussen-Enzephalitis wurde eine Persistenz des ZytomegalievirusGenoms nachgewiesen. Durch die Behandlung mit einem Virostatikum (Ganciclovir) (15) oder intraventrikulär
verabreichten Interferon (9) wurde in einigen Fällen ein medikamentöser Behandlungserfolg erzielt. Rogers et al.
1994 (18) berichten über Antikörper gegen Glutamat-Rezeptoren, welche Anfälle durch Aktivierung dieser
Rezeptoren triggern sollen. Eine Plasmapherese kann zu einer - meist allerdings nur vorübergehenden -
Besserung führen. Allerdings ist später wegen Pharmakoresistenz dennoch ein epilepsiechirurgischer Eingriff
erforderlich. Erfahrungen an größeren Fallzahlen werden zur Zeit noch gesammelt. !
Scheinbare und echte Pharmakoresistenz
Bei mangelnder Anfallskontrolle muß differenziert werden, ob eine scheinbare oder echte Pharmakoresistenz
vorliegt. Eine scheinbare Pharmakoresistenz liegt dann vor, wenn diagnostische oder therapeutische Fehler dazu
führen, daß die Anfälle nicht unterdrückt werden können. Diagnostische Fehler bestehen darin, daß der Patient
entweder überhaupt nicht an Epilepsie leidet, sondern an psychogenen Anfällen oder anderen nichtepileptischen Attacken. Ein weiterer Fehler kann in einer falschen Klassifikation des Anfalles oder in
einem unerkannten Gehirnprozeß zu suchen sein. Unerkannte Auslösefaktoren müssen ebenfalls bei schwer
einstellbaren Epilepsien stets mit bedacht werden. Weitere wichtige Ursachen einer scheinbaren
Pharmakoresistenz sind Non-Compliance und unzureichende Dosierung. Von schwer behandelbaren Epilepsien
kann gesprochen werden, wenn Antiepileptika der ersten Wahl in Monotherapie nicht zum gewünschten Erfolg
führen, von absoluter Pharmakoresistenz im strengen Sinne, falls kein adäquat eingesetztes Antiepileptikum
einen befriedigenden Effekt erzielen kann.
Die pathophysiologischen Voraussetzungen der Pharmakoresistenz sind Gegenstand aktueller Forschung.
Verschiedene Studien haben darauf hingewiesen, daß neuronale Aktivität während epileptischer Anfälle zu einer
Veränderung der Genexpression verschiedener früher Gene (C-fos-C-jun-junp, zifl268) in Neuronen des
limbischen Systems sowie spät agierender Gene, wie zum Beispiel das Microtubulus-assoziierte Protein 1B (10)
führen können. Im epileptogenen Hirngewebe von operierten Patienten mit fokaler pharmakoresistenter
Epilepsie fand sich eine Änderung der Konzentration von MDR1 (multiple drug resistance gene). Hieraus wurde
ein weiteres Modell für die Entstehungsbedingungen von Pharmakoresistenz abgeleitet. Die veränderten
Konzentrationen von MDR1 sollten erniedrigte Konzentrationen der bei den Patienten verabreichten
Antiepileptika im epileptogenen Fokusgewebe erklären.
Aus diesen und anderen Beobachtungen leitet sich die Vorstellung für weitere mögliche Therapiestrategien ab,
beispielsweise durch Implantationen von gentechnisch gewonnenen Zellen mit inhibitorischer
(GABA-)Funktion.
Diese Ansätze befinden sich noch im experimentellen Stadium. Eine klinisch anzunehmende Pharmakoresistenz
kann nur im Zusammenhang mit dem jeweils vorliegenden epileptischen Syndrom und der subjektiven
Einstellung des Patienten zu Wirkungen, Nebenwirkungen und Risiken einer Therapie festgestellt werden.
In der Regel wird das erfolglose Verabreichen von mehreren Antiepileptika verlangt. Falls der Patient unter
dieser Medikation nicht anfallsfrei wird oder intolerable Nebenwirkungen auftreten und zwei Antiepileptika der
ersten Wahl in Monotherapie ausdosiert wurden, kann die Möglichkeit eines epilepsie-chirurgischen Eingriffes
geprüft werden. Das Abwägen bezüglich des Ausmaßes einer notwendigen Pharmakotherapie und einer
eventuell möglichen operativen Therapie kann mit Hilfe von Gewichtungsskalen erleichtert werden. Bei
Patienten mit epileptogenen Herden in funktionell wichtigen Hirnregionen (Sprachregion oder Zentralregion)
werden in der Regel noch mehr Antiepileptika einzusetzen sein.
Um eine ungünstige Auswirkung auf die Prognose und die soziale Entwicklung zu vermeiden, wird gefordert,
daß die Bestimmung der Pharmakoresistenz bei Erwachsenen innerhalb der ersten zwei bis drei Jahre nach
Krankheitsbeginn erfolgen sollte. Nach diesem Zeitraum sollte der Patient zumindest über die eventuelle
Möglichkeit eines epilepsiechirurgischen Eingriffes informiert werden.
Die subjektive Zufriedenheit des Patienten mit der Therapie sollte durch Abwägen von Wirkung und
Nebenwirkung einer jährlichen Bilanz unterzogen werden. In einer ausgedehnten Untersuchung zu den
Ergebnissen der Behandlung mit Antiepileptika bei Patienten mit zuvor unbehandelter Epilepsie zeigte sich, daß
zirka 15 Prozent der mit Mono- und Kombinationstherapie behandelten Patienten schließlich mögliche
Kandidaten für einen epilepsiechirurgischen Eingriff waren (14).
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1998; 95: A-3128-3137
[Heft 49]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser
und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschrift des Verfassers
Prof. Dr. med. Hermann Stefan
Zentrum Epilepsie Erlangen
Neurologische Klinik
Universität Erlangen-Nürnberg
Schwabachanlage 6
91054 Erlangen
Kern-Schalen-Modell partieller und sekundär generalisierter Anfälle
Ursprungsort und Ausbreitung fokaler epileptischer Aktivität können klinisch mit Hilfe des Kern-SchalenModells nachvollzogen werden. Das Kern-Schalen-Modell trägt somit zum Verständnis der beobachteten
Anfallssymptome und zur Klassifikation von Anfällen bei. Der Kernbereich entspricht der fokalen epileptischen
Initialaktivität zu Anfallsbeginn, die Schalenbereiche entsprechen der teilweisen oder vollständigen
Generalisation. Je nach verschiedener Initialsymptomatik liefern die Anamnese und die Beobachtung der
Anfallssymptome erste wichtige Hinweise für die Hypothese zur Lokalisation des epileptogenen Areals, welches
für die Entstehung der Anfälle verantwortlich ist. Aus H. Stefan: Epilepsien, Diagnose und Behandlung, 2.
Auflage, Chapman und Hall-Verlag, 1995.
Tabelle 1
Epilepsiebehandlungsstand, Therapiestrategien und weitere Behandlungsmöglichkeiten
bei verschiedenen Epilepsien
Epilepsie- Therapiestrategie weitere
Behandlungsstand Behandlungsmöglichkeit
Erstmanifestation Auslöser meiden Lebensregulierung
bisher unbehandelt Monotherapie
(z. B. abendliche Einmal gabe CBZ-Retard; VPA Retard; falls erforderlich
zweimal Gabe/Tag)
Monotherapie Kombinationstherapie
unzureichend: Neue Antiepileptika
schwer behandelbar
Clustertherapie intermittie rend (Clobazam), Decapep tyl, Verhaltenstherapie, Bio feedback Allupurinol; keto gene Diät, Vagusstimulation,
Immuntherapie, Plasma pherese, Radiotherapie
Pharmakoresistent Epilepsiechirurgie
Neue Wirksubstanzen
Therapieresistent innovative Therapieansätze
(molekularbiologisch pharmakologisch)?
Tabelle 2
Gefährdungsbeurteilung - industrielle maschinenbautechnische Berufe
Industrielle Paragraph 25 BBiG; Paragraph 25 BBiG; Paragraph 25 BBiG;
maschinenbautechnische Paragraph 25 WHO Paragraph 25 WHO Paragraph 25 WHO
Berufe Bohrer, Bohrwerksdreher, Mechaniker, Feinwerk-, Chirurgie-, Büro- Güteprüfer,
Dreher, Revolverdreher, maschinenmechaniker, Elektromaschinen- Technischer Zeichner,
Hinweise Automateneinrichter, bauer, Werkzeugmacher, Fluggeräte-, Land Teilekonstrukteur
zur Beurteilung der beruflichen Fräser, Universalfräser, maschinenmechaniker, Maschinen-, Betriebs-,
Möglichkeiten für Personen mit Hobler, Universalhobler, Kunststoffschlosser, Schmelzschweißer, NC Maschinenbautechniker
Epilepsie Universalschleifer Anwendungsfachmann Fachrichtung
-- -- - Konstruktion
- Qualitätswesen
grundsätzlich keine Zerspanungsmechaniker Industriemechaniker - Arbeitsvorbereitung und
Bedenken Fachrichtung: Fachrichtung: Geräte- und Feinwerktech- NC-Technik
Automatendrehtechnik, nik, Produktionstechnik, Maschinen- und - Produktionsorganisation
Frästechnik, Systemtechnik, Betriebstechnik
möglich in der Mehrzahl Drehtechnik, Werkzeugmechaniker Dipl.-Ing. Maschinenbau
der Arbeitsplätze Schleiftechnik Fachrichtung: Instrumententechnik, Stanz und Umformtechnik
möglich in besonderen Berufe der ehemaligen DDR: Konstruktionsmechaniker - Fällen Facharbeiter für Fachrichtung: Ausrüstungstechnik
Werkzeugmaschinen Anlagenmechaniker -Risiken Drehen, Fräsen, Schleifen, Fachrichtung: Versorgungstechnik Werkstoffprüfer, Metall,
insbesondere Hobeln, Bohren Maschinenbauzeichner
Berufe der ehemaligen DDR:
drehende, Facharbeiter für Instandhaltungs-, Flugzeugmechaniker,
ungeschützte Teile Schleifwerkzeuge Landmaschinen- und Traktorenschlosser,
(Backenfutter, Bohrspindeln) Maschinenbauer, Mechaniker, Elektro-
Automateneinrichter maschinenbauer, Feinmechaniker, Fachar-
beiter für Schweißtechnik, Werkzeugmacher
Fehlprogrammierung
1 2 3
- Anfallsfrei > 1 Jahr
nach operativer Therapie
- Anfallsfrei > 2 Jahre
unter Pharmakotherapie L L L
- Anfälle nur aus dem
Nachtschlaf > 3 Jahre
- Kategorie "0"
Anfälle < 2 / Jahr A L L L
B L L L
C § § §
D N § §
Anfälle 3-11 / Jahr A L L L
B § § L
C § § §
D N N §
Anfälle > 1 / Monat A L L L
B § § §
C N N §
D N N §
A = Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit bei erhaltenem Bewußtsein mit Haltungskontrolle; B =
Handlungsunterbrechung bei Bewußtseinsstörung mit Haltungskontrolle; C = Handlungsunfähigkeit mit/ohne
Bewußtseinsstörung bei Verlust der Haltungskontrolle; D = Unangemessene Handlungen bei
Bewußtseinsstörungen mit/ohne Haltungskontrolle
Tabelle nach: Arbeitskreis Empfehlungen zur Beurteilung beruflicher Möglichkeiten von Personen mit
Epilepsie. Die Rehabilitation. Stuttgart,
New York: Georg Thieme Verlag, 1994; 33: 171-178.
Krankheitsverlauf, Pharmakotherapie und Indikation zur präoperativen Diagnostik
Mit zunehmender Epilepsiedauer besteht die Möglichkeit einer Verschlechterung der Prognose durch
Veränderung der epileptogenen Läsion und psychosoziale Folgen. Je nach vorliegendem epileptischen Syndrom
und subjektiver Einstellung des Patienten muß über den Zeitpunkt einer präoperativen Diagnostik entschieden
werden. Zur Frage, welche Patienten geeignet sind und wie vorgegangen werden soll, liefern spezielle
Epilepsieambulanzen Informationen und Hinweise für das Prozedere.
Tabelle 3
Dosierung und wichtige pharmakologische Richtgrößen der gebräuchlichsten Antiepileptika
Medikament Tagesdosis (mg/kg), Zahl der Plasmahalb- Zeitintervall "Therapeuti Eiweiß im Einzelfall (mg/d) Verabrei- wertszeit bis Steady state scher" Bereich
bindung
chungen (Stunden) (Wochen) (µg/ml) (Prozent)
Brom 10-20 2-3 300 6 750-1250 0
Carbamazepin 8-20 (Erwachsene) 1-2 12 (7-35) 1 4-12 60-90
20-25 (Kinder) 1-3
Clobazam 0,2-0,5 1-2 18 4 — 85
Ethosuximid 15-20 (Erwachsene) 1-3 48 (20-60) 2 40-100 10
15-30 (Kinder)
Felbamat*1 48*3 3 14-24 4 — 30
15-45*3 (Kinder)
Gabapentin*1 20-35 (Erwachsene) 3 5-7 3 Tage — 0
ab 12 Jahre!!
Lamotrigin*2 100-400 mg/die
(Erwachsene) 1-2 22-38 3-15 Tage — 55
6 (Kinder > 4 Jahre) (13-59)
Mesuximid 20 1-2 1-2 (20-30) 1 10-50 ?
Oxcarbazepin*3 12-30 2-3 10-13 4 Tage — 50
Phenobarbital 3 (Erwachsene) 1-2 96 (46-136) 4 10-40 40-60
5 (Kinder)
Phenytoin 5 (Erwachsene) 1-2 24 (10-40) 2 5-20 70-96
7 (Kinder)
Primidon 15 (Erwachsene) 3 12 (6-18)*4 1 10-40 0-25
(Phenobarbital)
20 (Kinder) 4-12
(Primidon)
Sultiam 10-15 (Erwachsene) 1-3 9 1 6-10 30
5-10 (Kinder)
Tiagabin*1 0,4-0,7 2-3 7-9 2 Tage — 96
Topiramat*1, 4 3-8 (Erwachsene) 2 20-30 5 Tage — 15
Vigabatrin*1 2-4 g/die
(Erwachsene) 1-2 5-7 3 Tage — 0
50-80 (Kinder)
Valproat 15-20 (Erwachsene) 1-2 12 (6-19) 1 25-120 80-95
(chrono, long) 15-30 (Kinder)
*1 Derzeit in Deutschland nur zur Kombinationstherapie bei fokalen Epilepsien zugelassen.
*2 Starke Abhängigkeit der Pharmakokinetik von Komedikation (Enzyminduzierende Antiepileptika verkürzen
die Halbwertszeit; Valproat verzögert den Abbau). Eindosierungsrichtlinien zur Vermeidung von
Nebenwirkungen beachten (Cave: allergische Hautreaktionen!).
*3 In Deutschland derzeit noch nicht zugelassen. Dosisäquivalenz Carbamazepin: Oxcarbazepin 1 : 1,5 bis 1 : 2;
bestimmt wird der wirksame Metabolit Monohydrohydroxicarbazepin.
*4 Derzeit nur bei Lennox-Gastaut-Syndrom zugelassen.
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