

Die Techniker-Krankenkassen erprobt die Internet-Psychotherapie als neuen Weg in der Versorgung psychisch Kranker. Viele Psychotherapeuten haben Bedenken.
Neue Wege in der Versorgung psychisch Kranker will die Techniker-Krankenkasse (TK) gehen. Dazu gehört für den Kostenträger auch, die Möglichkeiten des Internets für die psychotherapeutische Versorgung stärker zu nutzen, als dies zurzeit der Fall ist. Das wurde bei einem Diskussionsforum Anfang September in Berlin deutlich. „Internettherapie ist zwar kein Allheilmittel gegen lange Wartezeiten und kein Ersatz, kann aber durchaus eine Ergänzung zur herkömmlichen Psychotherapie sein“, sagte Thomas Ballast, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der TK. Hinsichtlich der Qualitätsanforderungen und des Datenschutzes sei Internettherapie ein „hochsensibles Feld“, betonte er, und man wolle „nichts gegen die Profession tun“, sondern in einen Dialog eintreten.
Dazu legte die TK ein Konsensuspapier vor, das mit Wissenschaftlern der Freien Universität (FU) Berlin und des Universitätsklinikums Ulm abgestimmt wurde. Unter Internettherapie versteht man demnach strukturierte, komplett online-basierte Programme, die – ebenfalls online – von einem Psychotherapeuten oder Berater begleitet werden. Hinsichtlich der Wirksamkeit gebe es keine signifikanten Unterschiede zu herkömmlichen Psychotherapieverfahren, schloss Prof. Dr. Christine Knaevelsrud, FU Berlin, aus internationalen Studien. Die Effekte blieben auch nach Ende der Programme stabil. Internettherapie finde bei den Betroffenen eine hohe Akzeptanz, das zeige der Versorgungsalltag in Ländern wie den Niederlanden, Schweden oder Australien, wo sie bereits fester Bestandteil der Versorgung sei. Für die Internettherapie spreche zudem, dass die Hemmschwelle für die Inanspruchnahme niedrig sei. „Beispielsweise profitieren besonders schambesetzte Menschen davon, das hat eine Studie mit über 70-Jährigen gezeigt, die nie in eine herkömmliche Psychotherapie gehen würden“, ergänzte die Psychotherapeutin. Internettherapie sei zudem auch für multimorbide Patienten geeignet. Sie sei zeitlich flexibel und leicht in den Alltag der Betroffenen einzubinden. Ein weiteres Pro-Argument sei die beschleunigte Selbstöffnung der Patienten. „Auch online ist die therapeutische Beziehung sehr wichtig“, sagte Knaevelsrud. Gegen die Internettherapie sprächen die begrenzten diagnostischen Möglichkeiten, zudem sei keine Krisenintervention möglich.
Um die Internettherapie weiterzuentwickeln beziehungsweise in die Regelversorgung einführen zu können, bedarf es zurzeit noch wichtiger Voraussetzungen. Auch dieser Aspekt wird in dem Konsensuspapier aufgeführt: Es sollten nur standardisierte, wissenschaftlich evaluierte Therapieprogramme eingesetzt werden; die Qualifikation der „Berater“ müsse festgelegt werden. Bei dem „TK-DepressionsCoach“ beispielsweise, einem strukturierten sechswöchigen virtuellen Programm bei leichtgradiger Depression, begleiten speziell qualifizierte Psychologen der Freien Universität die Patienten. Das Programm wird zurzeit im Rahmen eines Pilotprojekts mit 500 TK-Versicherten an der FU erprobt.
Eine weitere wichtige Voraussetzung ist es, Standards für den Datenschutz und die Datensicherheit festzulegen. Eine laufende Psychotherapie zusätzlich beispielsweise über Skype durchzuführen, wie eine niedergelassene Psychotherapeutin aus dem Publikum vorschlug, birgt Gefahren für die sensiblen Informationen. „Skype darf alle Aufnahmen mitschneiden“, erklärte Prof. Dr. Ulrich Müller, Vorstand der Psychotherapeutenkammer Hessen. Und auch bei einer E-Mail-Kommunikation zwischen Therapeut und Patient während einer regulären Therapie sollte man sich der Risiken – erst recht nach Bekanntwerden des NSA-Abhörskandals – bewusst sein.
Zu klären ist weiter die Vereinbarkeit von Internettherapie im Sinne von komplett online-basierten Programmen mit der Berufsordnung. Psychotherapeuten müssen Behandlungen im persönlichen Kontakt erbringen; Ausnahmen sind aber unter bestimmten Voraussetzungen möglich (Kasten).
Neben den formellen Hindernissen gibt es aber auch eine ganze Reihe anderer Bedenken aus den Reihen der an dem Diskussionsforum beteiligten Psychotherapeuten. „Der persönliche Kontakt ist wichtig, weil wir den ganzen Menschen, seine Mimik, Gestik und Sprache wahrnehmen müssen“, betonte beispielsweise Müller. Online-basierte Therapie könne daher nur Ergänzung, niemals Ersatz einer herkömmlichen Therapie sein.
Im Jahr 2011 kam der Qualitätssicherungsausschuss der Psychotherapeutenkammer Hessen nach einer Bestandsaufnahme noch zu der Bewertung, dass internetgestützte Angebote nicht als Psychotherapie gelten oder sie gar ersetzen könnten. Und nur reale Begegnungen setzten Veränderungsprozesse in Gang (1). Anni Michelmann, Vertreterin der Systemischen Psychotherapie, bezweifelte, dass man über einen PC, Tablet oder iPad in eine Beziehung mit dem Patienten treten kann. „Sinnvoll kann es allenfalls zur Selbstreflexion sein.“ Pilar Isaac-Candeias, Vorstandsmitglied der Psychotherapeutenkammer Berlin, wies darauf hin, dass man mit einer Internettherapie „nur die braven Patienten“ erreiche: „In Konflikte gehen kann man über das Internet nicht.“ Prof. Dr. Dr. Wolfgang Schneider, Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin, Universität Rostock, hält die Internettherapie in erster Linie als für die „Digital-Natives“, die mit dem Internet Großgewordenen, geeignet; die „Digital-Immigrants“ dagegen würden sich damit schwertun.
Petra Bühring
Sorgfaltspflichten
(Muster-)Berufsordnung § 5 (5):
Psychotherapeuten erbringen psychotherapeutische Behandlungen im persönlichen Kontakt. Sie dürfen diese über elektronische Kommunikationsmedien nur in begründeten Ausnahmefällen und unter Beachtung besonderer Sorgfaltspflichten durchführen.
Modellprojekte, insbesondere zur Forschung, in denen psychotherapeutische Behandlungen ausschließlich über Kommunikationsnetze durchgeführt werden, bedürfen der Genehmigung durch die Kammer und sind zu evaluieren.
Quelle: Bundespsychotherapeutenkammer
1. | Wollstadt, Jörg: Internet- und computergestützte Angebote in der Psychotherapie: Von Heilkunde weit entfernt. PP 2011, 10(1): 22–3. VOLLTEXT |
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