ArchivDeutsches Ärzteblatt41/2013Pharmaindustrie: Fragwürdige Preispolitik

SEITE EINS

Pharmaindustrie: Fragwürdige Preispolitik

Korzilius, Heike

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

Vor gut einem Jahr verzichtete das Pharmaunternehmen Genzyme, eine Tochtergesellschaft von Sanofi-Aventis, freiwillig auf die Zulassung für sein Krebsmedikament Mabcampath (Alemtuzumab). Mit dem Präparat werden seit 2001 Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL) vom B-Zell-Typ behandelt, für die eine Fludarabin-Kombinationschemotherapie nicht infrage kommt. Um die Versorgung der vergleichsweise überschaubaren Zahl an Patienten sicherzustellen, legte der Hersteller ein Sonderprogramm auf, über das die behandelnden Ärzte das Präparat weiterhin kostenfrei beziehen können. Der Einsatz erfolgt dann allerdings außerhalb der zugelassenen Indikation.

Was viele Onkologen und Arzneimittelexperten damals wie heute empört: Der Zulassungsverzicht hatte nicht etwa medizinische, sondern rein kommerzielle Gründe. Denn für den Wirkstoff Alemtuzumab zeichnete sich ein Nutzen in der Therapie der Multiplen Sklerose (MS) ab. Bei dieser Indikation lassen sich höhere Preise erzielen. Außerdem sind die Patientenzahlen größer. Bei Genzyme fürchtete man offenbar, dass es sich negativ auf das Preisniveau auswirken würde, wenn Alemtuzumab zur Therapie der CLL auf dem Markt bliebe.

Seit Mitte September ist das Präparat in der Europäischen Union wieder verfügbar. Genzyme vertreibt es unter dem Namen Lemtrada gemeinsam mit Bayer Health Care zur MS-Behandlung. Und während für Mabcampath dereinst je Milligramm 21 Euro gezahlt werden mussten, fallen für ein Milligramm Lemtrada 887 Euro an. Das pharmakritische Arznei-Telegramm kritisiert zudem, Genzyme wolle ein neues Hochpreisniveau für MS-Mittel etablieren. Denn Lemtrada sei um rund 40 Prozent teurer als ebenfalls hochpreisige MS-Therapeutika wie Fingolimod. Eine Unternehmenssprecherin von Sanofi-Aventis erklärt dagegen, dieser Vergleich hinke. Die Kritiker vernachlässigten die zeitliche Dimension. Alemtuzumab wirke über drei, womöglich sogar über fünf Jahre, wohingegen andere Therapeutika regelmäßig gegeben werden müssten.

Das erklärt allerdings nicht, warum ein und derselbe Wirkstoff bei der einen Indikation um ein 40faches teurer ist als bei der anderen. Unseriös findet der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, ein solches Vorgehen. Zwar habe das Pharmaunternehmen für die Zulassung von Alemtuzumab als MS-Therapeutikum aufwendige Phase-III-Studien durchführen müssen. Das rechtfertige aber nicht diesen Preis. „Das ist völlig überzogen“, sagte der Onkologe gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt.

Heike Korzilius, Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik
Heike Korzilius, Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik

Ludwig vermutet dahinter Taktik. Zweifellos werde der Gemeinsame Bundesausschuss Lemtrada einen Zusatznutzen gegenüber den Standardtherapeutika bescheinigen, meint der AkdÄ-Vorsitzende. Auf die anschließenden Preisverhandlungen mit den Krankenkassen könnte sich ein hohes Ausgangsniveau deshalb günstig auswirken.

Zumindest können die Krankenkassen beim Preisniveau noch als Korrektiv wirken. Ein solches fehlt allerdings, wenn es um Zulassungsfragen geht. Ob und für welche Indikation ein Präparat auf dem Markt verfügbar ist, ist allein Sache des Pharmaunternehmens. Hier muss die Politik handeln.

Heike Korzilius
Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote