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Praktisches Jahr: Studierende fordern eine faire Bezahlung


Unikliniken und Lehrkrankenhäuser dürfen ihre Studierenden im praktischen Jahr (PJ) bezahlen. Aber nicht alle tun das. PJler fordern eine faire Aufwandsentschädigung für alle. Doch wie genau soll die aussehen?
Haken halten, Mund halten und mit etwas Glück ein kostenfreies Mittagessen. Das war noch vor wenigen Jahren mancherorts die Realität im praktischen Jahr (PJ). Doch das hat sich geändert. Denn der Kampf um den ärztlichen Nachwuchs ist voll entbrannt. Die Krankenhäuser suchen händeringend Ärztinnen und Ärzte. Möglichst früh, schon während des Studiums, versuchen die Einrichtungen die jungen Mediziner an sich zu binden. Das hat auch dazu geführt, dass immer mehr Kliniken ihre PJ-Studierenden bezahlen. In der Approbationsordnung ist festgelegt, dass sich die Höhe des Entgelts am Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) orientiert. Gemäß BAföG-Höchstsatz beträgt die maximale PJ-Vergütung 597 Euro monatlich.
PJler sollten entschädigt und nicht vergütet werden
Vergütung? Für Pascal Nohl-Deryk, stellvertretender Bundeskoordinator für Gesundheitspolitik, Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd), ist dieser Begriff nicht akzeptabel. „Der Begriff ,Vergütung‘ suggeriert, dass wir Arbeitnehmer sind. PJler sind aber in der Ausbildung“, sagt Nohl-Deryk. Es gehe darum, dass Studierende im PJ dazu in die Lage versetzt werden müssten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. „Es handelt sich um eine Aufwandsentschädigung, damit die Studierenden nicht arbeiten gehen müssen.“ Wenn PJler neben ihrer ganztägigen Arbeit in der Klinik noch einen anderen Job hätten, ginge das zulasten der Ausbildung und der Patientensicherheit.
Dass die Aufwandsentschädigung nach oben gedeckelt ist, ist dabei durchaus im Sinne der bvmd. „Wir haben in so vielen Bereichen der Medizin eine Verquickung von monetären und qualitativen Anreizen. Im Studium wollen wir das nicht. Die Ausbildungsorte sollen in einem rein qualitativen Wettbewerb stehen“, erläutert Nohl-Deryk. Die bvmd sowie der Hartmannbund (HB) fordern deshalb eine „einheitliche Vergütung“ im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten, also gemäß dem BAföG-Höchstsatz. Mit anderen Worten: 597 Euro monatlich für alle. Die PJler sollen sich ihre Krankenhäuser nicht nach dem Geld aussuchen, sondern eine gute Ausbildung erhalten.
Doch selbst, wenn man die 597 Euro bekommt: Reicht das? Gerade in Städten wie München, Köln oder Hamburg kommt man damit nicht allzu weit – allein wegen der Miete. Den Einwand findet Nohl-Deryk berechtigt. Aber er gibt zu bedenken: „Die Kopplung ans BAföG ist nicht ungeschickt. Dadurch hat man nicht bei jeder Novelle der Approbationsordnung eine Diskussion über die Höhe der Aufwandsentschädigung.“ Das BAföG wird regelmäßig an die allgemeinen Preissteigerungen angepasst.
Eine Pflicht, PJler zu bezahlen, gibt es nicht
Auch der Marburger Bund (MB) plädiert für eine Aufwandsentschädigung. Bei der Ausgestaltung hat der MB aber andere Vorstellungen als bvmd und HB: Der erlaubte Höchstsatz sollte nach Meinung des MB eine Mindestgrenze sein. „Wir sind gegen eine Deckelung“, betont MB-Sprecher Hans-Jörg Freese. „Es muss auch möglich sein, mehr zu zahlen.“ Dass eine hohe Aufwandsentschädigung zulasten der Qualität geht, glaubt er nicht. „Das eine schließt das andere doch nicht aus“, meint Freese. Die Forderung des MB deckt sich mit einem Beschluss des diesjährigen Deutschen Ärztetages in Hannover.
Bisher müssen Unikliniken und akademische Lehrkrankenhäuser ihren PJlern nichts zahlen. Insofern sind beide Positionen von der Realität in manchen Krankenhäusern weit entfernt. So zeigen erste Ergebnisse einer HB-Umfrage, an der 1 500 Medizinstudierende teilgenommen haben: Von einer angemessenen Aufwandsentschädigung kann man vielerorts nicht sprechen. Jeder vierte PJler bekommt überhaupt kein Geld. Der Hartmannbund will in Kürze eine bundesweite Liste veröffentlichen, der man entnehmen kann, welche Klinik wie viel zahlt.
Die Aufwandsentschädigung bringt möglicherweise auch Schwierigkeiten mit sich: Sie könnte PJler unter Zugzwang setzen, eine Vielzahl von Routineaufgaben zu übernehmen, so die Befürchtung. Nach dem Motto: „Nun stellt Euch mal nicht so an, ihr bekommt ja schließlich Geld.“ Außerdem stellt sich die Frage: Was ist mit ambulanten PJ-Tertialen? Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte dürften kaum dazu in der Lage oder gewillt sein, ihre PJ-Studierenden zu bezahlen. Doch gerade die Allgemeinmedizin soll ja gefördert werden – wegen des drohenden Hausärztemangels. „Wir sehen da eine besondere Problematik. Aber wenn das politisch so gewollt ist, dann muss man konsequent sein und auch für die Finanzierung sorgen“, sagt Nohl-Deryk.
Unbefriedigend ist auch die Situation bei der Aufwandsentschädigung für PJ-Tertiale im Ausland. Hier gilt ebenfalls die Höchstgrenze von derzeit 597 Euro. Höhere Beträge zum „Kaufkraftausgleich“ sind zwar erlaubt – gemäß einer Verordnung über BAföG-Zuschläge. Möglich sind solche Zuschläge allerdings nur „außerhalb der EU und der Schweiz“. Das ist ein Problem, weil zum Beispiel gerade in der Schweiz die Lebenshaltungskosten hoch sind und entsprechend auch die Aufwandsentschädigung, die die dortigen Kliniken zahlen.
Doch trotz aller Kritik von Studierenden wird sich bei den Regelungen zur Aufwandsentschädigung von Auslandstertialen zunächst einmal nichts ändern. „Eine weitere Nachbesserung ist derzeit nicht geplant“, teilte das Bundesgesundheitsministerium mit. Die Frage ist jedoch: Überprüft überhaupt jemand die Höhe der Aufwandsentschädigungen? „Die Landesprüfungsämter sehen keine Rechtsgrundlage, die sie berechtigt, künftig regelmäßig die Vorlage der Einzelverträge der Studierenden mit den Krankenhäusern im In- oder Ausland zu verlangen“, so das Ministerium weiter. Gebe es aber einen begründeten Verdacht des Verstoßes, gingen die Landesprüfungsämter diesem gemeinsam mit den Universitäten nach.
In puncto Auslandszuschläge wäre es für die Studierenden sicherlich wünschenswert, wenn die Politik mehr Klarheit schaffen würde. Das wäre eine Aufgabe für den neuen Bundesgesundheitsminister oder die neue Bundesgesundheitsministerin.
Dr. med. Birgit Hibbeler