THEMEN DER ZEIT
Zwangsbehandlungen: Voraussetzung ist eine medizinische Indikation


Zwangsmaßnahmen sind vor kurzem gesetzlich geregelt worden. Juristen erläutern, was dies für die ärztliche Praxis bedeutet.
Wann dürfen Patienten gegen ihren Willen behandelt werden? Welche Bedeutung haben eine Patientenverfügung und der sogenannte natürliche Wille? Mit diesen und anderen Fragen beschäftigten sich Anfang Oktober Ärzte, Juristen und Betroffene auf einer interdisziplinären Fortbildungsveranstaltung im Agaplesion Markus Krankenhaus in Frankfurt am Main.
Der Bundesgerichtshof hatte im Juni 2012 entschieden, dass die bestehende rechtliche Regelung zur Zwangsbehandlung nicht ausreichend sei. Mit dem „Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in ärztliche Zwangsmaßnahmen“ hat der Gesetzgeber im Februar die Vorgaben der Rechtsprechung umgesetzt und im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) die Zwangsbehandlung als ultima ratio geregelt. Entsprechende Veränderungen in den Landesgesetzen stehen noch aus.
Prof. Dr. jur. Volker Lipp, Georg-August-Universität Göttingen, erläuterte die Grundzüge dieses Gesetzes. Wie jede ärztliche Behandlung setzt eine Zwangsbehandlung voraus, dass sie aus ärztlicher Sicht auch unter der Bedingung ihrer zwangsweisen Durchführung medizinisch indiziert ist. Der Arzt habe dem Patienten die Umstände der Behandlung in verständlicher Weise zu erläutern, vor allem die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu ergreifenden Maßnahmen. Diese Pflicht bestehe gegenüber jedem Patienten, auch dann, wenn er einwilligungsunfähig sei (§ 630c Abs.2 S. 1 BGB).
Der Arzt müsse unabhängig von der Einwilligungsfähigkeit immer mit dem Patienten sprechen und ihn über seine Krankheit und die Behandlung informieren. Dieses Aufklärungsgespräch sollte an dem jeweiligen Zustand und den jeweiligen Verständnismöglichkeiten des Patienten ausgerichtet sein. Das weitere Vorgehen hänge dann von der Reaktion des Patienten ab.
Bei Bewusstlosigkeit des Patienten entscheidet Lipp zufolge der Betreuer nach §§ 1901, 1901a, 1901b BGB. Wenn der Patient die Maßnahme mit seinem sogenannten natürlichen Willen, das heißt bewusst und nicht bloß reflexartig ablehne, handele es sich um eine Zwangsbehandlung.
Das Gesetz lasse eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur dann zu, wenn vorher versucht worden sei, den Patienten von der Notwendigkeit der Maßnahme zu überzeugen. „Das bedeutet für den Betreuer, dass er sich vergewissern muss, ob der Arzt dieser Pflicht tatsächlich nachgekommen ist. Ansonsten darf er der Zwangsmaßnahme nicht zustimmen“, betonte Lipp. Der Betreuer müsse auch selbst versuchen, den Patienten für die freiwillige Durchführung der Maßnahmen zu gewinnen. Das Gesetz verlange außerdem stets eine gerichtliche Genehmigung. „Eine Alleinentscheidung des Betreuers ist auch in Eilfällen nicht vorgesehen“, sagte Lipp. Außerdem sei ein Verfahrenspfleger zu bestellen, und externe Sachverständige müssten ebenfalls einbezogen werden. Damit Unterbringung und Zwangsbehandlung auch weiterhin ultima ratio bleiben, forderte Lipp, Alternativen zu erproben und zu entwickeln. Dazu gehöre vor allem der Ausbau ambulanter Hilfs- und Versorgungsangebote.
Gabriele Slutzky, Richterin am Oberlandesgericht Frankfurt, betonte, dass es mit der Neufassung des § 1906 BGB und den Änderungen des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit keine materiellrechtlich abschließenden Entscheidungen gegeben habe. Im Kern gehe es – auch im materiellen Recht – um die Bereitstellung einer Verfahrensregelung vor allem für die ärztliche Praxis. Auch Lipp sagte abschließend, dass die Zwangsbehandlung letztendlich immer eine ärztliche Aufgabe sei.
Bereits im Juli hatte die Zentrale Ethikkommission (ZEKO) bei der Bundesärztekammer zu Zwangsbehandlungen bei psychischen Erkrankungen eine Stellungnahme veröffentlicht (DÄ, Heft 26/2013). Diese ruft dazu auf, so der ZEKO-Vorsitzende, Prof. Dr. med. Dr. phil. Urban Wiesing, im Vorwort, „sich der ethischen Prinzipien ärztlichen Handelns bei einer Zwangsbehandlung von psychisch Kranken zu vergewissern“. Auch sie fordert, wie Lipp, der einer der Mitautoren der Stellungnahme ist, dazu auf, den Einsatz von Zwangsbehandlungen sowie mögliche Behandlungsalternativen zu überdenken.
Gisela Klinkhammer