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Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs: Hilfe für Opfer von Chemiewaffen


Eine Ärztedelegation aus Deutschland reist in den Iran: ein Erfahrungsbericht über Spätfolgen des Golfkriegs und die Auswirkungen der Sanktionspolitik des Westens.
Schon die Flugreise mit Iran Air von Frankfurt am Main nach Teheran führte uns Ende letzten Jahres in die gegenwärtige Wirklichkeit der Beziehungen zwischen Deutschland und der Islamischen Republik Iran ein. Weil aufgrund der Handelssanktionen iranischen Flugzeugen in Deutschland das Auftanken verweigert wird, musste die Maschine in Budapest einen Zwischenstopp einlegen. Umgekehrt dürfen Lufthansa-Maschinen auch nicht in Teheran tanken.
Gastgeber in Teheran war unsere Partnerorganisation „Iranian Physicians for Social Responsibility“, die wie die deutsche Sektion Mitglied der internationalen Ärzteorganisation IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War; Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs) ist. Unsere Treffen in Teheran fanden häufig im Friedensmuseum statt, das auf eine Begegnung iranischer Ärzte mit dem internationalen Netzwerk der Friedensmuseen zurückgeht. Im Mittelpunkt steht eine Ausstellung über die desaströsen Folgen chemischer Kriegsführung, wie sie die iranische Gesellschaft für die Opfer von Chemiewaffen dokumentiert hat (www.tehranpeacemuseum.org).
Wichtiger Motor ist dort Dr. Shariar Khateri. Hauptamtlich arbeitet er für die Forschungsabteilung der staatlichen Institution, die für die Versorgung der etwa 55 000 Überlebenden der Giftgasangriffe während des Golfkriegs Mitte der 80er Jahre verantwortlich ist – Menschen, die bis heute unter den schweren gesundheitlichen Folgen leiden, die insbesondere durch Senfgas verursacht wurden. Das Giftgas wurde zwischen 1983 und 1988 von den irakischen Truppen gegen den Iran eingesetzt. Der damalige irakische Machthaber Saddam Hussein setzte das Gas 1988 auch zur Niederschlagung eines Kurdenaufstands im eigenen Land ein: In Halabja starben 5 000 Menschen an den Folgen.
Schätzungsweise eine Million Menschen wurden den toxischen Substanzen ausgesetzt, ungefähr 100 000 mussten in Krankenhäusern behandelt werden. Hersteller eines wichtigen Teils der Produktionsanlagen war damals die deutsche Firma Karl Kolb. Obwohl die iranische Regierung bereits 1984 den Weltsicherheitsrat anrief, konnte sich das Gremium nicht auf effiziente Schritte einigen, um den Irak an der Fortsetzung dieser Verbrechen zu hindern. Dabei verletzen solche Methoden das internationale Genfer Protokoll, das den Einsatz chemischer und biologischer Waffen verbietet und dem sowohl der Iran als auch der Irak beigetreten waren. Die Bilanz, die nach dem Sturz Saddam Husseins zutage kam: 1 800 Tonnen Senfgas, 140 Tonnen Tabun und mehr als 600 Tonnen Sarin hatte der Irak insgesamt eingesetzt.
Die Opfer neurotoxischer Gifte, wie Sarin und Tabun (Acetylcholinesterase-Hemmer), starben häufig unmittelbar, wie in Halabja. Dagegen benötigen viele der überlebenden Senfgasopfer seit Jahrzehnten medizinische Behandlung. Das Labbafinejad-Hospital in Teheran ist auf die Behandlung chronischer Giftgasfolgen spezialisiert. Häufig rezidivierende Pneumonien, chronische Bronchitis und Bronchiolitis sowie die gefürchtete Tracheomalazie als Folge der Knorpelschädigung der Trachea machen immer wieder stationäre Behandlungen erforderlich. Hinzu kommen die oft erst viele Jahre nach der Senfgas-Exposition auftretenden Cornea-Schädigungen, bei denen oft nur durch Transplantationen eine völlige Erblindung verhindert werden kann, wie der Augenarzt Prof. Mohammad Ali Javadi erläuterte. Die aufwendige Behandlung wird allerdings durch den Mangel an ophthalmologischen Immunsuppressiva erschwert, der eine Folge der westlichen Handelssanktionen ist.
Es war nicht ganz leicht, ein kohärentes Bild von den Folgen der westlichen Sanktionspolitik auf die Versorgung der Bevölkerung zu bekommen. In den Krankenhäusern berichtete man, die Medikamentenlieferungen aus dem Ausland seien im Allgemeinen noch bedarfsgerecht, allerdings mache man sich Sorgen über die weitere Entwicklung. Bereits jetzt sei zum Beispiel die Impfung gegen Pneumokokken-Infektionen kaum durchführbar, da Pneumovax auf dem iranischen Markt nicht mehr verfügbar sei. Lieferengpässe entstünden aber oft nicht aufgrund des gezielten Embargos ausländischer Lieferanten, sondern infolge von Zahlungsproblemen durch den Abbruch der Finanzbeziehungen mit westlichen Staaten.
Unser Besuchsprogramm führte uns auch ins iranische Außenministerium, wo wir als „Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges“ besonders an der Position zum strittigen iranischen Nuklearprogramm interessiert waren. Der Vizeminister mit Zuständigkeit für Fragen der Abrüstung erklärte, die iranische Regierung lehne eine nukleare Bewaffnung grundsätzlich ab. Er konnte jedoch nicht alle Besucher mit seiner Antwort auf die Frage befriedigen, warum der Iran den Teststoppvertrag für Nuklearwaffen zwar unterschrieben, aber bis heute noch nicht im Parlament hat ratifizieren lassen.
Die Reise in den Iran war intendiert als ein Beitrag zur Verständigung, indem man durch Austausch und persönliches Kennenlernen Verhärtungen entgegenwirkt. Ein ganz praktischer Beitrag unserer Ärzteorganisation in Europa besteht darin, das Problem der Medikamentenversorgung gerade für die Giftgasopfer öffentlich zu thematisieren. Das deutsche Außenministerium hat Unterstützung bei der Lösung des problematischen Zahlungstransfers für Medikamentenlieferungen nach Iran zugesagt. Dies wird aber kaum kurzfristig zu realisieren sein. Als (wenn auch in der Menge bescheidene) Sofortmaßnahme hat die deutsche Sektion der IPPNW gemeinsam mit Kollegen aus Schweden spezielle Inhalationsmedikamente für die Chemiewaffenopfer organisiert. Die Medikamente im Wert von etwa 4 000 Euro sind Ende September in den Iran geliefert worden. Es handelte sich um spezielle Inhalationsmedikamente, die bei chronisch obstruktiven Bronchialerkrankungen dieses Typs eingesetzt werden. Diese begrenzten Schritte der gemeinsamen Sorge für Kriegsopfer sind für uns auch politisch bedeutsam, um den gefährlichen Spaltungen zwischen den Nationen durch gemeinsame Arbeit gegen Kriegsfolgen entgegenzuwirken. Jüngste Dialogbemühungen der Regierungen bestärken uns in unseren Hoffnungen.
Matthias Jochheim, IPPNW