SUPPLEMENT: Perspektiven der Diabetologie
Diabetes Typ 1: Inselautoantikörper als diagnostische Marker
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Die Mehrheit der Kinder mit multiplen Inselautoantikörpern erkrankt im Verlauf von zehn Jahren an Diabetes Typ 1. Durch ein Screening können die Betroffenen erfasst und in Sekundärpräventionsstudien eingeschlossen werden.
Der Diabetes Typ 1 ist eine chronische Autoimmunerkrankung, die durch eine selektive Zerstörung der Insulin-produzierenden Betazellen im Pankreas hervorgerufen wird (1). Weltweit konnte in den letzten Jahren ein Anstieg der Inzidenz von jährlich drei bis vier Prozent beobachtet werden, wobei das Manifestationsalter kontinuierlich sinkt (2, 3). Der T1D ist daher in hoch entwickelten Staaten inzwischen die häufigste chronische Erkrankung im Kindes- und Jugendalter und stellt somit eine große Herausforderung für das Gesundheitswesen und die Volkswirtschaft dar.
Bei mehr als 90 Prozent der Typ-1-Diabetiker können zum Zeitpunkt der Manifestation Inselautoantikörper nachgewiesen werden; sie gelten daher als eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes (4). Der Name Inselautoantikörper leitet sich von den Langerhansschen Inseln der Bauchspeicheldrüse ab. Dort binden diese spezifisch an wichtige Bausteine des Insulinstoffwechsels in den Betazellen. Autoantikörper gegen die folgenden vier Betazell-Antigene besitzen die größte Bedeutung für die Erkrankung:
- Das betazellspezifische Insulin (IAA) (5);
- das Enzym Glutamatdecarboxylase (GADA), das im Nervensystem die Bildung des inhibitorischen Neurotransmitters GABA katalysiert, dessen Rolle im Pankreas jedoch bis heute nicht eindeutig geklärt ist (6, 7);
- die Tyrosinphosphatase-homologen Proteine IA-2 und IA-2ß (IA2A), die auch im Nervensystem vorkommen und im Pankreas als transmembranäre Proteine von Insulin-sekretorischen Vesikeln exprimiert werden (8, 9), sowie
- der Kationentransporter ZnT8 (ZnT8A), der – wie IA-2 und IA-2ß – eine regulatorische Funktion im Sekretionsapparat der Betazelle zu haben scheint (10) (Abbildung 1).
Neben ihrem diagnostischen Wert sind Inselautoantikörper die derzeit besten prädiktiven Marker, um ein erhöhtes Risiko für Diabetes Typ 1 zu erfassen, zumal sie häufig bereits Jahre vor Ausbruch der Erkrankung nachgewiesen werden können. Autoantikörper unterscheiden sich jedoch bezüglich der Ausprägung bestimmter Charakteristika sowie im prädiktiven Wert voneinander. Einen entscheidenden Einfluss auf das Erkrankungsrisiko hat dabei die Anzahl der positiven Inselautoantikörper.
Der Nachweis eines Inselautoantikörpers im Serum ist nicht zwangsläufig mit einer Diabetesentwicklung verbunden, und einzelne Autoantikörper können im Verlauf auch wieder verschwinden (transiente Autoantikörper) (11). Sobald allerdings mehrere verschiedene Autoantikörperspezifitäten (multiple Autoantikörper) nachweisbar sind, erhöht sich das Risiko deutlich (12, 13, 14).
Aktuelle Ergebnisse dreier großer Geburts-Kohorten-Studien bei Kindern mit genetischem Risiko aus Deutschland, Finnland und Colorado zeigten, dass Kinder mit multiplen Autoantikörpern in fast 100 Prozent der Fälle innerhalb von 15 bis 20 Jahren nach Serokonversion einen Diabetes Typ 1 entwickelten – und zwar unabhängig vom Vorhandensein einer positiven Familienanamnese oder eines Hochrisiko-HLA-Genotyps. Dagegen lag das Erkrankungsrisiko für Kinder mit nur einem positiven Autoantikörper bei unter 15 Prozent innerhalb von zehn Jahren nach Serokonversion (Abbildung 2) (15).
Die Entwicklung multipler Autoantikörper stellt also ein präklinisches Stadium des Diabetes Typ 1 dar, durch das Kinder bereits vor dem Auftreten einer Glukosestoffwechselstörung identifiziert werden können. Die Schnelligkeit der Diabetesprogression nach Serokonversion unterscheidet sich jedoch bei Kindern mit multiplen Autoantikörpern zum Teil erheblich und kann zwischen wenigen Monaten, Jahren oder sogar Jahrzehnten variieren. In der oben beschriebenen Studie von Ziegler et al. (15) waren ein jüngeres Alter bei Serokonversion (< 3 Jahre), das Vorhandensein des Hochrisiko-HLA- DR3/DR4-DQ8-Genotyps und weibliches Geschlecht mit einer schnelleren Progression assoziiert.
Frühere Untersuchungen von Geburtskohorten bei Kindern mit einer genetischen Prädisposition für Diabetes Typ 1 zeigten bereits, dass Inselautoantikörper schon in den ersten beiden Lebensjahren, frühestens jedoch ab einem Alter von sechs Monaten entstehen können. Bei diesen Kindern war die initiale Immunantwort oft gegen Insulin gerichtet, sie dehnte sich schnell auf weitere Inselautoantigene aus, so dass die Mehrheit dieser Kinder bereits vor der Pubertät an Diabetes Typ 1 erkrankte (16–18).
Neben einem jungen Alter bei Serokonversion und dem Vorhandensein von Risiko-HLA-Genen spielt auch die Antigenspezifität der Autoantikörper eine wichtige Rolle: So sind IA-2A und ZnT8A mit einem höheren Risiko für Diabetes Typ 1 verbunden als IAA oder GADA; und unter den IA-2A-positiven Personen haben wiederum diejenigen mit Reaktivität gegen IA-2ß das höhere Risiko (19–22). Die Untersuchung der Gesamtkohorte mit Kindern aus Deutschland, Finnland und Colorado (USA) bezüglich der Schnelligkeit der Krankheitsprogression ergab, dass zweifach Autoantikörper-positive Kinder, die IAA und IA-2A aufwiesen, innerhalb eines kürzeren Zeitraums einen Diabetes Typ 1 entwickelten als Kinder mit IAA und GADA oder GADA und IA-2A (15).
Eine detaillierte Charakterisierung der Autoantikörperantwort ermöglicht es, das Erkrankungsrisiko noch besser einzuschätzen. Dies ist besonders bei Kindern, die nur einen einzelnen Autoantikörper aufweisen, sehr hilfreich, um die Progressionswahrscheinlichkeit vorhersagen zu können. Mit einem hohen Progressionsrisiko sind vor allem eine starke Intensität der Immunantwort (gemessen an der Autoantikörper-Titer-Höhe) sowie ein hoher Reifegrad des Autoantikörpers (gemessen an der Affinität und IgG Subklassen-Spezifität) assoziiert. So deutet beispielsweise das Vorhandensein hoch-affiner, hoch-titriger IAA, hoch-affiner GADA oder hoch-titriger IA-2A auf einen fortschreitenden Autoimmunprozess in Richtung Diabetes Typ 1 hin (19, 23–26).
Praktische Anwendung der Autoantikörperdiagnostik
Die Studie von Ziegler et al. konnte zeigen, dass das Auftreten von multiplen Inselautoantikörpern bei Kindern den Diabetes Typ 1 vorhersagt. Die Durchführung eines Diabetesrisiko-Screenings auf Inselautoantikörper ermöglicht es, Personen mit multiplen Autoantikörpern bereits in einer präklinischen Phase zu identifizieren. Durch eine engmaschige Verlaufsbeobachtung dieser prädiabetischen Personen können einerseits Akutkomplikationen bei Manifestation durch einen rechtzeitigen Therapiebeginn vermieden werden. Außerdem stellt die Gruppe der multipel Autoantikörper-positiven Kinder das am besten geeignete Kollektiv für Sekundärpräventionsstudien dar, da sie von einer Intervention am ehesten profitieren.
Das Institut für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum München bietet erst- und zweitgradig Verwandten von Personen mit Diabetes Typ 1 aus ganz Deutschland ein kostenloses Diabetesrisiko-Screening an. Da bei genetisch empfänglichen Kindern die Autoantikörperentstehung im Alter von zwei Jahren einen Gipfelpunkt erreicht, ist es für betroffene Familien ratsam, ihre Kinder ab diesem Alter screenen zu lassen.
In Deutschland werden derzeit zwei internationale Sekundärpräventionsstudien durchgeführt – die INIT-II-Studie (Intranasal Insulin Trial) (27, 28) sowie die Oral-Insulin-Studie (29). In beiden Studien soll durch eine Vakzination mit dem Autoantigen Insulin der Autoimmunprozess moduliert und dadurch langfristig eine Toleranzentwicklung gegenüber Inselzellantigenen erzielt werden. ▄
Ruth Chmiel
Dr. rer. nat. Florian Haupt
Prof. Dr. med. Anette-Gabriele Ziegler
Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Zentrum München
Forschergruppe Diabetes, Klinikum rechts der Isar,
Technische Universität München, Neuherberg, Deutschland;
Forschergruppe Diabetes e.V., Neuherberg, Deutschland
Informationen zur Teilnahme an aktuellen Studien bietet das
Institut für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum München
(prevent.diabetes@lrz.uni-muenchen.de).
@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit4613
1. | Atkinson MA, Eisenbarth GS, Michels AW: Type 1 diabetes. Lancet 2013; doi: 10.1016/S0140–6736(13)60591–7 CrossRef MEDLINE |
2. | Patterson CC, et al.: Trends in childhood type 1 diabetes incidence in Europe during 1989–2008: evidence of non-uniformity over time in rates of increase. Diabetologia 2012; 55: 2142–7. CrossRef MEDLINE |
3. | Karvonen M, et al.: Incidence of childhood type 1 diabetes worldwide. Diabetes Mondiale (DiaMond) Project Group. Diabetes Care 2000; 23: 1516–26. CrossRef MEDLINE |
4. | Bingley PJ: Clinical applications of diabetes antibody testing. J Clin Endocrinol Metab 2010; 95: 25–33. CrossRef MEDLINE |
5. | Palmer JP, et al.: Insulin antibodies in insulin-dependent diabetics before insulin treatment. Science 1983; 222: 1337–9. CrossRef MEDLINE |
6. | Baekkeskov S, et al.: Identification of the 64K autoantigen in insulin-dependent diabetes as the GABA-synthesizing enzyme glutamic acid decarboxylase. Nature 1990; 347: 151–6. CrossRef MEDLINE |
7. | Wang C, et al.: Glucose inhibits GABA release by pancreatic beta-cells through an increase in GABA shunt activity. Am J Physiol Endocrinol Metab 2006; 290: E494–9. CrossRef MEDLINE |
8. | Rabin DU, et al.: Islet cell antigen 512 is a diabetes-specific islet autoantigen related to protein tyrosine phosphatases. J Immunol 1994; 152: 3183–8. MEDLINE |
9. | Lan MS, et al.: IA-2, a transmembrane protein of the protein tyrosine phosphatase family, is a major autoantigen in insulin-dependent diabetes mellitus. Proc Natl Acad Sci USA 1996; 93: 6367–70. CrossRef MEDLINE MEDLINE |
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11. | Yu J, et al.: Transient antiislet autoantibodies: infrequent occurrence and lack of association with „genetic“ risk factors. J Clin Endocrinol Metab 2000; 85: 2421–8. CrossRef MEDLINE |
12. | Bingley PJ, et al.: Combined analysis of autoantibodies improves prediction of IDDM in islet cell antibody-positive relatives. Diabetes 1994; 43: 1304–10. CrossRef MEDLINE |
13. | Verge CF, et al.: Number of autoantibodies (against insulin, GAD or ICA512/IA2) rather than particular autoantibody specificities determines risk of type I diabetes. J Autoimmun 1996; 9: 379–83. CrossRef MEDLINE |
14. | Maclaren NK, et al.: Multiple autoantibodies as predictors of Type 1 diabetes in a general population. Diabetologia 2003; 46: 873–4. CrossRef MEDLINE |
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