KULTURTIPPS
Die Intensivstation der Zukunft: Sternenhimmel überm Krankenbett


Das Beatmungsgerät klingt nach Darth Vader, der Pulsmesser piepst – und irgendwo geht schon wieder gellend der Alarm los. Alltag auf einer Intensivstation, deren hektisch-nervöse Atmosphäre schon Gesunde einschüchtern kann. An der Berliner Charité sehen zwei Krankenzimmer nun völlig anders aus. Architekten haben sie möbliert, die medizinische Überwachungstechnik ist mit ihren vielen Kabeln hinter einer schicken Holzwand verschwunden. Eine Lichtdecke verbreitet behagliche Stimmung – und der Lärm bleibt draußen. So könnte die Intensivstation der Zukunft aussehen. Doch erst einmal ist es ein wissenschaftliches Forschungsprojekt, in das Charité, Politik und Industrie etwa eine Million Euro stecken. Die Mediziner wollen klären, ob es Patienten in einer menschlicheren Umgebung messbar bessergeht – und ob sich Heilungsprozesse dadurch beschleunigen lassen. Die neue Mini-Intensivstation soll Patienten vor allem Angstattacken ersparen – und sie körperlich und geistig anregen. „Wir wollen weg von dem Gefühl des hilflosen Ausgeliefertseins auf Intensivstationen“, sagt Claudia Spies, Direktorin der Charité-Klinik für Anästhesiologie in Berlin-Wedding.
In den neuen Zimmern soll es möglichst keine dahindämmernde und desorientierte Schwerkranke geben, die bei ständigem Neonlicht kaum noch wissen, ob Tag oder Nacht ist. Die neue Idee: Eine 2,5 mal 7 Meter große Lichtdecke über dem Patientenbett imitiert das Draußen: vom Sternenhimmel in der Nacht bis zu Sonnenaufgang und Tageslicht. Die LED-Technik zaubert Bäume mit rauschenden Blättern an die Decke. Sie blendet SMS-Grüße der Angehörigen ein oder dient Kranken als Spielkonsole. „Wir wissen, dass Patienten im künstlichen Tiefschlaf häufiger sterben“, sagt Charité-Arzt Alawi Lütz. Besser sei es also, sie auch nach schweren Operationen so früh wie möglich wieder ins Bewusstsein zu holen. Doch bisher gibt es dabei oft einen Teufelskreis: Lassen Ärzte die Patienten wach, kann die ganze Atmosphäre einer Intensivstation sie so stressen, dass sie Beruhigungsmittel brauchen. Es gibt aber auch noch ein Problem: Sind die Patienten so wach wie erhofft, fehlt ihnen die geistige Anregung.
Was beim Charité-Pilotprojekt messbar ist, sind nicht nur künftige Liegezeiten und damit möglicherweise weniger Kosten. Es geht zum Beispiel auch um den Schlaf- und Schmerzmittelverbrauch auf der Station. Und um den Blick darauf, ob es weniger negative Langzeitfolgen wie Konzentrationsschwächen nach schweren Operationen gibt. Und die Klinik hat bei den ersten Tests noch einen Effekt entdeckt: eine höhere Zufriedenheit beim Pflegepersonal – und auch bei Angehörigen. dpa