POLITIK
Umgang mit Patientenverfügungen: Probleme durch pauschale Formulierungen
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Intensivmediziner begrüßen die gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen, berichten jedoch von Schwierigkeiten bei der Umsetzung.
Um selbstbestimmt am Ende des Lebens Entscheidungen treffen zu können, wird seit vielen Jahren intensiv über die Patientenverfügung (PV) diskutiert (1). Dabei steht die PV als Oberbegriff für die Willenserklärung eines einwilligungsfähigen Menschen für künftige medizinische und pflegerische Behandlungen (2). Die Grafik zeigt die Ergebniskategorien.
Aus Sicht von fünf befragten leitenden Intensivmedizinern (Kasten) sind Patientenverfügungen häufig wenig hilfreich, da die Inhalte fast nie die konkrete Situation beschreiben, in der sich der Patient dann wirklich befindet. Nur sehr wenige PVen sind ihrer Ansicht nach umsetzbar und erfüllen ihr Ziel. Zahlreiche PVen bestehen den Befragten zufolge aus vorgefertigten Textbausteinen oder sind Vordrucke, die aus dem Internet heruntergeladen wurden und dadurch wenig aussagekräftig sind. Wenn ein akutes Ereignis eintritt, ist die Patientenverfügung außerdem oft nicht verfügbar, bedauern die befragten Ärzte. In solch einer konkreten Notfallsituation wäre das Lesen einer PV viel zu zeitintensiv.
Falsche Vorstellungen von der medizinischen Praxis
Ein weiteres Problem besteht, so die befragten Ärzte, außerdem darin, dass die meisten Patienten ihre Meinung gegenüber einer Therapie ändern, wenn sie plötzlich selbst betroffen sind und sich bewusst in diesem Krankheitserleben befinden, direkt mit der Thematik konfrontiert werden und das Leben auf einmal endlich erscheint. Fehlende Fachkenntnisse, teilweise auch von Juristen und Hausärzten, könnten dazu führen, dass Situationen oft falsch eingeschätzt werden. Vor allem in Bezug auf den Verzicht auf bestimmte medizinische Maßnahmen sind Patientenverfügungen oft fehlerhaft. So fehlt nach Aussage der interviewten Ärzte beispielsweise nicht selten die Differenzierung von Akutsituation und Dauerzuständen.
Viele Menschen haben falsche Vorstellungen von der medizinischen Praxis und somit von den heutigen therapeutischen und diagnostischen Möglichkeiten. Andere Patienten sind durch die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung dahingehend verunsichert, dass sie jegliche erbringbare Leistung fordern. Die interviewten Intensivmediziner berichteten, dass in den meisten Fällen schon bei der Patientenaufnahme erfasst wird, ob eine PV vorliegt.
Hilfestellung für klinische Ethikkomitees
Die Intensivmediziner vermuten, dass Menschen eine Patientenverfügung erstellen, um sich vor der Aggressivität der Medizin zu schützen und unnötige Qualen und Leid sowie eine nutzlose, nicht mehr lebensbringende Therapie zu vermeiden. Diese Patientenverfügungen können eine Hilfestellung für die klinischen Ethikkomitees sein, die häufig in schwierigen Fällen zurate gezogen werden. In den meisten Fällen wird dann eine Empfehlung für die unmittelbar Beteiligten ausgesprochen, was als große Hilfe für Ärzte und auch für Angehörige empfunden wird. Der Entschluss zum Therapieabbruch fällt Ärzten häufig nicht leicht. Eine Möglichkeit des Therapieabbruches ist die „finale Extubation“, jedoch wird diese nicht von allen interviewten Intensivmedizinern befürwortet. In der Regel wird in den befragten Kliniken eher eine Therapiebegrenzung vor einem Therapieabbruch favorisiert.
Mit dem am 1. September 2009 in Kraft getretenen „Patientenverfügungsgesetz“ wurde das Instrument der PV in das Betreuungsrecht eingeführt und damit erstmals gesetzlich geregelt (5). Diese gesetzliche Regelung wurde von den Intensivmedizinern sehr gut angenommen. Die Gesetzeslage bringt ihrer Ansicht nach mehr Rechtssicherheit und minimiert damit die Sorge hinsichtlich unterlassener Hilfeleistungen. Damit haben die Ärzte mehr Spielraum, den Patientenwillen umzusetzen. Die befragten Ärzte halten aber auf jeden Fall ein Gespräch mit den Angehörigen/dem Betreuer für erforderlich.
In der Literatur wird auf eine Vielzahl an Problemen in den verschiedensten Bereichen im Umgang mit Patientenverfügungen hingewiesen (6) – von Problemen in der Formulierung, Problemen in der Reichweitenbestimmung, Problemen im Widerruf bis hin zu einer Vielzahl an Gefahren, die eine Patientenverfügung bergen kann (7).
Viele Vordrucke sind unbrauchbar
Ausgehend von den Ergebnissen dieser Befragung können zahlreiche Schwierigkeiten im Umgang mit PVen bestätigt und ergänzt werden. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass diese Interviews nur einen sehr limitierten Ausschnitt der Meinungen aller Intensivmediziner in Deutschland darstellen. Die befragten Ärzte weisen wie Kierig und Behlau (7) darauf hin, dass ein grundlegendes Problem bei der Abfassung einer Patientenverfügung darin besteht, dass niemand vorhersagen kann, ob und vor allem in welcher Situation die von ihm verfasste PV zum Tragen kommt. Der Patient kann sich laut der befragten Ärzte und ebenso nach Zimmermann (8) somit bei der Erstellung der Patientenverfügung über die Tragweite seiner Entscheidung nie vollständig im Klaren sein. Allerdings war sich der Gesetzgeber dieser Umstände durchaus bewusst (7). Trotz oder gerade wegen einer Vielzahl von ungefähr 250 verschiedenen Formularen für Patientenverfügungen, die sich in Deutschland im Umlauf befinden, bleibt das Problem bestehen, dass viele Vordrucke zu PVen aufgrund pauschaler Formulierungen bei schwierigen Entscheidungen in der Intensivmedizin unbrauchbar sind. Diese Einschätzung der Intensivmediziner deckt sich ebenfalls mit den bestehenden Expertenmeinungen (9).
Susan Langer, Jens-Uwe Knorr, Almuth Berg
Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Med. Fakultät Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Methodik
Mittels problemzentrierter Interviews wurden fünf Intensivmediziner hinsichtlich der Praktikabilität von Patientenverfügungen befragt. Die Interviewpartner, fünf leitende Fachärzte für Anästhesie und Intensivmedizin aus vier verschiedenen Kliniken in Sachsen-Anhalt, werden mindestens einmal wöchentlich mit einer PV konfrontiert. Als Erhebungsverfahren wurden leitfadengestützte problemzentrierte Interviews gewählt (3). Als Analysetechnik wurde die qualitative Inhaltsanalyse, (Zusammenfassung und induktive Kategorienbildung nach Mayring) (4) angewandt. Die Ergebniskategorien sind in der Grafik schematisch dargestellt.
1. | Nordmann H, Schuldzinski W: Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung. Berlin, Verbraucherzentrale; 2012. |
2. | May AT, Brokmann JC: Medizinische und medizinethische Grundlagen der Vorsorgemöglichkeiten. Anaesthesist 2010; 59: 118–25. CrossRef MEDLINE |
3. | Witzel A: Das problemzentrierte Interview. In: Jüttemann G: Qualitative Forschung in der Psychologie. Grundfragen, Verfahrensweisen, Anwendungsfelder. Weinheim: Beltz; 1985: 227–55. |
4. | Mayring P: Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. Weinheim: Beltz; 2010. |
5. | Simon A: Patientenverfügung in der Intensiv- und Notfallmedizin. Intensivmedizin und Notfallmedizin 2010; 47: 43–8. CrossRef MEDLINE |
6. | Ulsenheimer K: Neue Regelung der Patientenverfügung. Welche Konsequenzen ergeben sich für die Praxis? Anaesthesist 2010; 59: 111–7. CrossRef |
7. | Kierig F, Behlau W: Der Wille des Patienten entscheidet: Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Behandlungsabbruch. Heidelberg: C. F. Müller; 2011. |
8. | Zimmermann W: Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung, Patientenverfügung: für die Beratungspraxis. Berlin: Erich Schmidt Verlag; 2009 |
9. | Rüddel H, Zenz M: Validierung einer Patientenverfügung. Anaesthesist 2011; 60: 325–33. CrossRef MEDLINE |