ArchivDeutsches Ärzteblatt47/2013Telemedizin: Auf dem Weg zu mehr Evidenz

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Telemedizin: Auf dem Weg zu mehr Evidenz

Krüger-Brand, Heike E.

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Foto: Fotolia/Mopic
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Noch ist die Studienlage in vielen Fällen nicht ausreichend, um Telemedizin in Leitlinien zu verankern und in die flächendeckende Versorgung zu bringen. Bessere Studien sollen das ändern.

Unzufrieden mit dem Stand der Bemühungen, telemedizinische Anwendungen in die Regelversorgung zu integrieren, zeigte sich Nino Mangiapane, Referatsleiter Telematik im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), beim 4. Nationalen Fachkongress Telemedizin in Berlin*. Der Hintergrund: Die im Versorgungsstrukturgesetz (§ 87 Abs. 2 a Sozialgesetzbuch V) vorgegebene Frist, nach welcher der Bewertungsausschuss bis Ende März 2013 festlegen sollte, in welchem Umfang telemedizinische Anwendungen im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) abgebildet werden können, war ergebnislos verstrichen.

Rahmen vereinbart

Immerhin gibt es inzwischen eine Rahmenvereinbarung zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband, in der die Voraussetzungen für die Vergabe einer EBM-Ziffer für eine telemedizinische Anwendung festgelegt sind. Dazu zählen etwa die Vereinbarkeit mit dem Fernbehandlungsverbot, die Beibehaltung des Grundsatzes der persönlichen Leistungserbringung und die technische Migrationsfähigkeit des jeweiligen telemedizinischen Verfahrens in die geplante bundesweite Telematikinfrastruktur.

„Wir werden in der neuen Legislaturperiode versuchen, die Entwicklung zu beschleunigen“, kündigte Mangiapane an. Dazu sollen die Ergebnisse der vom BMG vergebenen Planungsstudie zur Interoperabilität, die Anfang Dezember vorliegen sollen, beitragen. Zudem wird eine überarbeitete Version des Telemedizinportals noch im November freigeschaltet, die einen detaillierten bundesweiten Überblick über Telemedizinprojekte ermöglicht und mehr Transparenz schaffen soll. Als Rahmenwerk für künftige Förderprojekte soll der von der E-Health-Initative erarbeitete „Kriterienkatalog für Telemedizin“ dienen, den die maßgeblichen Spitzenorganisationen im Gesundheitswesen mitbeschlossen haben.

Viel bleibt somit noch vage, dennoch ist nach Einschätzung des BMG-Experten für Telekonsultationsleistungen in absehbarer Zeit eine Verankerung im GKV-Katalog denkbar, ebenso eine Gleichstellung der Portopauschale mit Pauschalen für die elektronische Übermittlung. Für Telemonitoring-Anwendungen in unterschiedlichen Indikationen aber gelte: Egal ob der Weg der Finanzierung über den Bewertungsausschuss oder regional über Modellvorhaben gehe, am Ende werde für den flächendeckenden Einsatz der Nachweis entscheidend sein, ob ein Projekt signifikant zur Verbesserung der Versorgung beigetragen habe, sagte Mangiapane.

Studienlage unzureichend

Genau daran hapert es aber derzeit noch, wie Dr. med. Uwe Popert von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin konstatierte. Seine Kritik: Es gibt zwar viele, aber überwiegend methodisch unzureichende Studien zu telemedizinischen Anwendungen. Betrachtungen zur Patientensicherheit fehlen, es gibt oft keine Outcome-Unterschiede zwischen der Studien- und Kontrollgruppe, häufig handelt es sich um Kurzzeit- und Kleinststudien mit begrenzter Aussagekraft. Effekte auf Krankenhauseinweisungen seien bei Patienten mit einem hohen Krankheits- oder Sterberisiko am deutlichsten. Allerdings ist Popert zufolge oft unklar, ob dies anderen Prozessen als der telemedizinischen Betreuung zuzuschreiben sei, beispielsweise einer verbesserten Patientenschulung. Auch sei die Evidenz zur Kosteneffektivität nach wie vor spärlich.

„Telemedizin kann noch nicht in die breite Masse gehen“, befand auch Mark Grieger vom AOK-Bundesverband. Beispiel Telemonitoring bei chronischer Herzinsuffizienz: Nur der kleinste Teil der Patienten komme hierfür infrage (Kasten). Es gelte, die Patienten zu finden, die jeweils am meisten von Telemedizin profitieren. Die Nutzenbetrachtung von Telemedizin hat aus seiner Sicht zudem zwei Dimensionen: den Patientennutzen (wie bessere Lebensqualität, Vermeidung von Hospitalisierungen) einerseits und die Effizienzsteigerung der Versorgung durch eine Verringerung des Ressourceneinsatzes andererseits. Bei einem klaren medizinischen Zusatznutzen engagieren sich die Krankenkassen finanziell. Einsparungen hingegen durch eine effizientere Versorgung „sollten sich der reinen Logik nach immer aus sich selbst heraus finanzieren“, meinte Grieger. Zudem steht für die Kasse dabei stets die Frage im Raum, wer von den Kosteneinsparungen profitiert: Bei einer schnelleren Entlassung sei das nicht die Krankenkasse, diese zahle immer eine Fallkostenpauschale, sondern das Krankenhaus.

„Es ist Fakt, dass in der derzeitigen Vergütungssystematik Kooperation nur sehr schwer unterzubringen ist“, erklärte Dr. med. Franz-Joseph Bartmann, Vorsitzender des Telematikausschusses der Bundesärztekammer. Dennoch ist er davon überzeugt, dass telemedizinische Versorgungsmethoden einen Beitrag dazu leisten können, die sektorenübergreifende Versorgung zu verbessern. „In Ansätzen gelingt das schon“, betonte er. Bartmann zufolge ist auch das Fernbehandlungsverbot revisionsbedürftig: In vielen Kassenärztlichen Vereinigungen werde es bereits täglich durch den Telefonservice im Notdienst durchbrochen. Tatsächlich sei das Verbot „nicht mehr griffig, wenn sichergestellt ist, dass mindestens im zweiten Schritt ein Arzt eingreifen beziehungsweise ein Arzt, der seinen Patienten kennt, eine Diagnose stellen und Behandlungen einleiten kann“.

Trotz vieler offener Fragen und mancher Hürden gibt es in der Praxis einige Projekte, in denen Telemedizin in ein Versorgungskonzept eingebettet ist und auch der Nachweis der Evidenz auf gutem Weg ist. Ein Beispiel ist neben Fontane (Kasten) das Projekt A.T.e.m. für Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD). In dem bundesweit angebotenen Programm werden Patienten neben ihrer Haus- und Facharztbetreuung zusätzlich telemedizinisch zu Hause betreut, berichtete Dr. med. Ralf von Baer, Robert Bosch Healthcare. Basis ist ein integrierter Versorgungsvertrag zwischen dem Unternehmen, dem Robert-Bosch-Krankenhaus als Telemedizinzentrum und der Techniker-Krankenkasse (TK). Das Projekt funktioniere gut aufgrund der sorgfältigen Patientenauswahl durch die TK, meinte von Baer. Lebensqualität, Mortalität und Therapietreue der betreuten Patienten verbesserten sich, die Behandlungskosten könnten gesenkt werden.

IT-gestützte Patientenauswahl

Von geschätzten circa 100 000 diagnostizierten COPD-Patienten der TK wurden jedoch gerade einmal unter fünf Prozent der Betroffenen aufgrund des Schweregrades ihrer Erkrankung als geeignet identifiziert und am Ende nur 300 Studienteilnehmer gewonnen. In den nächsten Monaten sollen die Ergebnisse der wissenschaftlichen Auswertung durch die TK veröffentlicht werden. Skalierbarkeit der Anwendungen, IT-gestützte Patientenselektion und „Key Player“, die den Systemwandel vorantreiben, sieht von Baer als kritische Erfolgsfaktoren für den breiten Telemedizineinsatz.

Dass Software auch als Medikament wirken kann, demonstrierte Dr. med. Markus Müschenich, Berlin, mit einem Beispiel aus der Kinderheilkunde: Kinder, bei denen eine Amblyopie vorliegt, werden üblicherweise therapiert, indem das gesunde Auge mit einem Pflaster abgeklebt wird, damit das vom Gehirn nicht unterstützte sehschwache Auge neu sehen lernt. Die aus einem Forschungsprojekt an der Technischen Universität Dresden entwickelte „Caterna Sehschule“ ermöglicht zusätzlich eine per Internet verfügbare Therapie (http://caterna.de). Sie stellt spezielle Sehübungen bereit, mit denen die Behandlung erheblich beschleunigt werden kann. Für die Therapie werden konzentrische oder streifenförmige therapeutisch wirksame Muster mit Computerspielen kombiniert. Die Behandlung wird ärztlich verordnet und als zertifiziertes Medizinprodukt ausschließlich online bereitgestellt – derzeit noch als Selbstzahlerleistung, man verhandle jedoch mit einer großen Krankenkasse, berichtete Müschenich.

Heike E. Krüger-Brand

*veranstaltet von der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin (DGTelemed)

Projekt Fontane: Studie zur Herzinsuffizienz

An der Charité – Universitätsmedizin Berlin ist mit 1 500 teilnehmenden Patienten im Raum Berlin/Brandenburg eine der weltweit größten Telemedizinstudien gestartet. Sie soll die Grundlagen dafür liefern, dass die telemedizinische Mitbetreuung von Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz sowohl in den medizinischen Leitlinien als auch in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden kann.

Die Studie „Telemedical Interventional Management in Heart Failure II“ (TIM-HF II) sei der wichtigste Meilenstein des Fontane-Projekts „Gesundheitsregion der Zukunft Nordbrandenburg“, erklärte Prof. Dr. med. Friedrich Köhler vom Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin an der Charité beim Fachkongress der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin in Berlin. Sie solle zeigen, „dass die telemedizinische Betreuung bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz im strukturschwachen Raum der Versorgung in einer Metropolregion nicht unterlegen ist“. An der randomisierten multizentrischen prospektiven Studie sollen sich 400 Hausärzte und 60 niedergelassene Kardiologen beteiligen. Mit ersten Ergebnissen ist laut Köhler, der die klinische Prüfung leitet, Anfang 2016 zu rechnen.

In der Versorgungsstudie erfasst die telemedizinisch betreute Patientengruppe täglich von zu Hause aus ihre biometrischen Daten. Diese werden per Mobilfunk automatisiert an das telemedizinische Zentrum an der Charité beziehungsweise an Zentren in Cottbus und Brandenburg weitergeleitet. Bei Auffälligkeiten greift ein abgestuftes Interventionsprogramm.

TIM-HF II baut auf den Ergebnissen der Vorläuferstudie „Partnership for the Heart“ auf. Diese hatte untersucht, welche Herzinsuffizienz-Patienten von Telemonitoring profitieren, und dabei nur für einen kleinen Teil der Studienpopulation therapeutische Effekte festgestellt. Einschlusskriterien der Folgestudie mit einer doppelt so hohen Anzahl von Teilnehmern sind vor diesem Hintergrund Patienten, die bereits mit einer kardialen Dekompensation stationär behandelt worden sind, deren Herzleistung nicht zu schwach ist (NYHA II bis III, mit einer linksventrikulären Auswurfleistung von maximal 45 Prozent) und die keine Symptome einer Depression aufweisen. Primärer Endpunkt der Studie sind die verlorenen Tage aufgrund von kardiovaskulärer Hospitalisierung und Tod.

Die Studie wird von der AOK Nordost und der Barmer-GEK unterstützt. Der Bund und das Land Brandenburg fördern das Projekt mit 12,5 Millionen Euro.

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