ArchivDeutsches Ärzteblatt47/2013Forschungspreis: „Aus der Vergangenheit lernen“

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Forschungspreis: „Aus der Vergangenheit lernen“

Ollenschläger, Philipp

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Am 15. November wurde zum vierten Mal der Forschungspreis zur „Rolle der Ärzteschaft in der Zeit des Nationalsozialismus“ verliehen.

BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery überreicht den Sonderpreis an Ruth Jacobs für die Publikation „Jüdische Ärzte in Schöneberg – Topographie der Vertreibung“. Foto: Georg J. Lopata
BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery überreicht den Sonderpreis an Ruth Jacobs für die Publikation „Jüdische Ärzte in Schöneberg – Topographie der Vertreibung“. Foto: Georg J. Lopata

Die Verbrechen des Nationalsozialistischen Regimes ließen auch 68 Jahre nach dessen Untergang die Menschen nicht los, sagte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Professor Frank Ulrich Montgomery, bei der Verleihung des Forschungspreises zur „Rolle der Ärzteschaft in der Zeit des Nationalsozialismus“ im Medizinhistorischen Museum der Charité in Berlin. Der Preis wurde gemeinsam vom Bundesgesundheitsministerium, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der BÄK zum vierten Mal vergeben. Es sei wichtig, dieser dunklen Epoche deutscher Vergangenheit und ihrer Opfer zu gedenken, denn „die Zukunft kann nur gestalten, wer mit den Fakten der Vergangenheit lebt“, verdeutlichte Montgomery.

Ärztlicher Nachwuchs soll sich dem Thema widmen

Die Vertreibung jüdischer Ärzte sei durch Mithilfe ihrer nichtjüdischen Kollegen geschehen. Repräsentanten der Ärzteschaft hätten die Taten nicht nur zugelassen, sondern sich auch aktiv daran beteiligt. Montgomery schlug vor, den Preis künftig als Herbert-Lewin-Forschungspreis zu verleihen, da der Lebensweg dieses jüdischen Arztes beispielhaft für die Verfolgung der Juden und vor allem jüdischer Ärzte sei.

Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm, ehemaliger KBV-Vorsitzender und Mitglied der Jury des Forschungspreises, appellierte an den ärztlichen Nachwuchs, sich der Vergangenheit der Ärzteschaft im Nationalsozialismus zu widmen und sie zum Thema ihrer Dissertation zu machen. Dies helfe dabei, medizinethische Fragen der Gegenwart und Zukunft zu thematisieren.

Zudem rief Richter-Reichhelm dazu auf, die Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte Alt Rehse zu unterstützen. An dem Ort in Mecklenburg-Vorpommern richtete das NS-Regime einst eine „Führerschule der deutschen Ärzteschaft“ ein. Etwa ein Sechstel aller Ärztinnen und Ärzte durchliefen in dieser Zeit die Schulung, in der sie auf das Gesundheitskonzept der Nazis eingeschworen wurden. Die Träger dieses Projekts sind der gemeinnützige Förderverein Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte Alt Rehse, der jüdische Verein Beth Zion sowie die Ärzteschaft in Gestalt der KBV und der BÄK.

Den 1. Preis erhielt Dr. med. Karl Werner Ratschko für seine Dissertation „Kieler Hochschulmediziner in der Zeit des Nationalsozialismus – Die Medizinische Fakultät der Christian-Albrechts-Universität im Dritten Reich“. Die Arbeit sei eine detailgenaue Beschreibung, wie eine Fakultät von nationalsozialistischer Propaganda durchdrungen wurde. Sie besitze einen hohen Multiplikationsfaktor, andere Hochschulen zu inspirieren, ihre Geschichte während der Nazidiktatur aufzuarbeiten, heißt es in der Begründung der Jury.

Der 2. Preis ging an Matthis Krischel, Friedrich Moll, Julia Bellmann, Albrecht Scholz und Dirk Schultheiss für ihre Veröffentlichung „Urologen im Nationalsozialismus“ ( Hentrich & Hentrich Verlag). Der Doppelband zur Geschichte der Urologie in Deutschland und Österreich ginge über die üblichen Arbeiten deutlich hinaus. Es handele sich um eine grundlegende Darstellung, die es verdiene, breit wahrgenommen zu werden.

Außerdem ging ein Sonderpreis an Ruth Jacobs für die Publikation „Jüdische Ärzte in Schöneberg – Topographie der Vertreibung“ (Hentrich & Hentrich Verlag), die zeige, wie durch Entrechtung, Verfolgung und die daraus resultierende Emigration oder Ermordung Lücken in die medizinische Versorgung gerissen wurden. Ein weiterer Sonderpreis wurde an Sigrid Falkenstein für „Annas Spuren – Ein Opfer der NS ,Euthanasie‘“ (Herbig Verlag) verliehen. Am Beispiel eines geistig behinderten Mädchens wird die Unmenschlichkeit der am „Euthanasieprogramm“ beteiligten Ärzte geschildert.

Philipp Ollenschläger

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