

Hilfsbereite und großzügige Menschen bringen es oft weiter als egoistische Ellbogentypen; auch und vor allem im Beruf.
Diese Erfahrung sammeln nicht nur Ärztinnen und Ärzte, etwa in ihren beruflichen und privaten Netzwerken: Es gibt Menschen, die als Nehmer bezeichnet werden können. Vielleicht ohne böse Absicht saugen sie Informationen ab und fordern Unterstützung ein; zuweilen auf charmante, manchmal auf weniger charmante Art und Weise. Es liegt in ihrer Natur, wir ärgern uns über sie, können ihnen allerdings nicht wirklich böse sein.
Anders sieht es bei jenen Zeitgenossen aus, bei denen wir Methode hinter der Nehmer-Mentalität vermuten dürfen – was den Umgang mit ihnen erheblich erschwert. Es kommt dann zu Klagen, dass die vom „Stamme Nimm“ sich auf Kosten ihrer Mitmenschen bereichern. Im beruflichen Kontext ist oft die Beschwerde zu hören, Tugenden wie Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit hülfen nicht weiter und führten zu einem Wettbewerbsvorsprung der Nehmer-Typen.
Die gegenteilige These lautet: Hilfsbereite und großzügige Menschen bringen es weiter als egoistische Ellbogentypen, auch und vor allem im Beruf. Die Theorie erhält Rückenwind durch den Artikel „Der Niedergang des Ichlings“ im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ (Heft 40/2013). Demnach gibt es „Geber“ und „Nehmer“ unter den Menschen, wobei die Geber, also die hilfsbereiten Menschen, mehr Erfolg haben, eben weil sie sich um andere kümmern. Basis ist das Buch „Geben und Nehmen“ des Psychologen Adam Grant, der mit der Vorstellung, dem Egoisten gehöre die (Berufs)Welt, kräftig aufräumt. Er bringt Belege dafür, dass die Geber, die sich auch für andere engagieren, im Durchschnitt erfolgreicher, zufriedener und natürlich auch anerkannter sind als die Nehmer-Typen.
Was bedeutet das für die Arztpraxis? Vor allem sollte dies zu einem neuen Selbstbewusstsein der Geber führen, die bisher dachten, nur die Nehmer seien mit einem Siegergen ausgestattet. Dr. med. Gerd Schröter vom Unfallkrankenhaus Berlin hat beobachtet: „Die grundsätzliche Überzeugung – ob nun als Arzt oder Mitarbeiter im Pflegeberuf, ob in Klinik oder Praxis –, es lohne zu geben mehr denn zu nehmen, kann sich produktiv und belebend auf das Arbeitsklima auswirken.“
Wenn Arzt und Mitarbeiter bereit sind, dem Anderen zuzuhören, sich für ihn einzusetzen und einen Gefallen zu tun, der einem selbst zunächst einmal keinen unmittelbaren Vorteil einbringt, kann in der Praxis eine Art „Gemeinschafts-Flow“ entstehen: ein emotional wohltuendes Arbeitsklima, das vor allem die intrinsische Motivation steigert und dazu beiträgt, dass die Menschen mehr leisten wollen, als üblicherweise zu erwarten ist.
Der Praxisinhaber kann seine Geber-Mentalität zum Ausdruck bringen, indem er für seine Mitarbeiter mehr als nur ein offenes Ohr hat. Er steht bei Fragen und Problemen zur Verfügung und widmet einen Teil seiner Zeit den Anliegen der Mitarbeiter. „Allerdings muss der Geber-Arzt“, darauf verweist Schröter, „darauf achten, dass dieses Entgegenkommen nicht ausgenutzt wird.“ Der Arzt sollte seiner Geber-Bereitschaft mithin einen Rahmen verleihen und etwa eine Mitarbeitersprechstunde einrichten, in denen der Mitarbeiter sein Anliegen kurz und bündig vorträgt.
Um jenen Gemeinschafts-Flow herzustellen, fördert der Arzt die Geber-Typen unter den Mitarbeitern. Ein Beispiel: Die Nehmer tendieren dazu, sich bei Teamaufgaben die Rosinen aus dem Kuchen zu picken und diejenigen Aufgaben zu übernehmen, die eine positive Außendarstellung erlauben und sie in einem günstigen Licht erstrahlen lassen. Die Geber hingegen wirken oft im Verborgenen und erledigen die schwierig-unscheinbaren Aufgaben. „Der Arzt kann dem bereits bei der Aufgabenverteilung und -delegation entgegenwirken“, schlägt Schröter vor. Er solle überdies die Geber unter seinen Mitarbeitern gebührend loben und deren Leistungen anerkennen.
Hinzu kommt die Erkenntnis des Psychologen Grant, dass die Geber-Haltung ansteckend wirkt. Wer sieht, dass sich viele Mitmenschen in der Umgebung altruistisch und auf das Gemeinwohl bedacht verhalten, lässt sich davon anstecken.
Ein Kennzeichen wahrhafter Geber ist, dass es keine Erwartungshaltung gibt nach dem Grundsatz: „Wenn ich mich für andere einsetze und engagiere, wird mir dies auch zurückgezahlt.“ Nach Grant unterstützen die Geber auch Menschen, die sich wahrscheinlich niemals dafür erkenntlich zeigen werden.
„Erst geben, und dann vielleicht auch einmal nehmen“ – Thomas Malischewski und Frank Thiel bezeichnen diese Kunst des Beziehungsmanagements als Relating®: die Fähigkeit, gute Beziehungen zu Freunden, Bekannten, Geschäftspartnern, Kollegen, Mitarbeitern und Patienten aufzubauen, ohne ein handfest-konkretes Interesse, eine Absicht oder einen Nutzen zu verfolgen, der sich unmittelbar auszahlt. Die innere Haltung des Gebers läuft also nicht auf einen Tausch hinaus, sondern auf ein uneigennütziges Geben.
Dabei ist nicht immer entscheidend, diesen Nutzen selbst zu stiften. Ebenso wichtig kann sein, jemanden zu kennen, der einem Menschen weiterhelfen kann. Der Geber ist allzeit bereit, in seinem Netzwerk neue Beziehungen zu knüpfen und dem Kollegen zum Beispiel einen Menschen zu nennen, der dessen Engpassproblem lösen könnte.
Patric P. Kutscher
MasterClass Education, Zellertal