MEDIZINREPORT
Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie: Bei degenerativen Erkrankungen ist Operation meist nur die ultima ratio


Für orthopädische Erkrankungen stehen gute und auch schonende operative Verfahren zur Verfügung. Orthopäden raten dennoch dazu, zunächst konservativen Behandlungsmethoden den Vorzug zu geben.
Zwar steht die Operation häufig im Mittelpunkt des Interesses der Öffentlichkeit und der Medien, der Alltag von Orthopäden wird jedoch dominiert von den Krankheitsbildern Arthrose, Osteoporose und Rückenschmerz. Nach Angaben von Prof. Dr. med. Bernd Kladny, Herzogenaurach, werden die meisten Patienten durch das Symptom Schmerz erstmals zum Arzt geführt werden – und dies in hohen Zahlen infolge Arthrose.
Jeder Zehnte ab dem Alter von 45 Jahren und jeder Zweite ab 60 Jahren zeigt arthrotische Veränderungen mit Schmerzproblematik. Der Rückenschmerz wird episodenhaft irgendwann von bis zu 85 Prozent aller Menschen erlebt, viele Fälle chronifizieren. Kladny betonte, dass neben der Schmerzbehandlung („Feuer löschen“) die Rückdrängung der Entzündungsreaktion im Vordergrund steht. „Dem Patienten muss der Schmerz genommen werden, um ihn wieder zu mobilisieren, denn Ruhe ist fatal, sie führt in einen Teufelskreislauf.“ Eine gut entwickelte Muskulatur stütze und entlaste die Gelenke. Die Bewegung müsse mit Hilfe von Analgetika erhalten werden, um zu einer adäquaten Mobilisierung zu gelangen.
Minimal-invasive Verfahren – wenn möglich – bevorzugt
Für eine angemessene Schmerztherapie bedürfe es nicht unbedingt eines Schmerztherapeuten, meint Kladny. Der Patient sollte seinem Orthopäden/Unfallchirurgen vertrauen, der den Status von Knochen, Gelenken und Muskulatur diagnostiziert hat und dementsprechend die Schmerztherapie anzupassen vermag.
Die Operation wird als ultima ratio erachtet, wobei minimal-invasiven Eingriffen – wenn möglich – der Vorzug gegeben werden sollte, da Muskelschäden weitgehend vermieden werden. Die Qualitätsmaßnahmen und Zertifizierungsverfahren im Bereich Knie- und Hüftgelenkoperation geben hier angesichts von circa 400 000 Gelenkoperationen wichtige Hinweise auf eine optimierte Verfahrensform.
Die wichtigste Maßnahme, um einer Arthrose vorzubeugen, ist die Vermeidung von Sportverletzungen. Jährlich verletzen sich etwa zwei Millionen Bundesbürger beim Sport. Betroffen sind häufig die Gelenke von Hüfte, Knie, Sprunggelenk und Schulter. Als Konsequenz muss häufig der Meniskus entfernt oder das Kreuzband behandelt werden – mit schweren Spätfolgen: Das Risiko einer Arthrose erhöht sich nach einem Meniskusschaden um das 20-Fache. Nach Meniskektomie kommt es nach 20 Jahren bei 70 Prozent der Patienten zu einer im Röntgenbild sichtbaren Arthrose. Nach Kreuzbandverletzungen ist das Arthroserisiko mit 80 Prozent noch höher.
Immer mehr Patienten unter 65 Jahren mit Endoprothesen
Um Schmerzen und weitere Gelenkschäden zu umgehen, entscheiden sich immer mehr Betroffene für einen künstlichen Gelenkersatz. Mittlerweile ist jeder fünfte Patient, dem eine Endoprothese eingesetzt wird, unter 65 Jahre alt. Doch je jünger der Patient, desto höher sei der Anspruch an die Lebenszeit und Stabilität des Implantats, betonte Prof. Dr. med. Karl-Dieter Heller, Braunschweig. Das hänge nicht mit der vielzitierten „Operationswut“ von Ärzten zusammen. Gerade bei jüngeren Patienten lägen meist schwere Vorerkrankungen des Hüftgelenkes und komplexe Situationen vor. „Die gestiegene Qualität und die Größe der Prothesen ermöglichen es, Operationen bereits in jüngeren Jahren zu realisieren, um verschleißbedingte Beschwerden zugunsten von mehr Lebensqualität zu reduzieren.“
Endoprothesen bei jüngeren Patienten sollten neben hoher Haltbarkeit auch einen geringen Grad an Abrieb aufweisen. „Hier spielt die Materialkombination des Implantates eine entscheidende Rolle“, erklärt Heller. „Wir bevorzugen knochenschonende Prothesen, insbesondere Kurzschaftprothesen.“ So stehe bei dem nach etwa 15 Jahren notwendigen Prothesenwechsel noch genug Knochenmaterial zur Verfügung, um eine Standardprothese einzubauen. Zudem eigneten sich Prothesen aus Titan, da sie zügig und nachhaltig in das Knochengewebe einwachsen.
Seit dem 1. Juli läuft die Einführungsphase des Endoprothesenregisters Deutschland (EPRD). Mehr als 400 Krankenhäuser haben inzwischen ihr Interesse an einer Teilnahme mitgeteilt. Ein wesentlicher Bestandteil des EPRD ist eine Produktdatenbank, die von den Endoprothetik-Unternehmen des Bundesverbands Medizintechnologie finanziert und gepflegt wird. Sie umfasst derzeit mehr als 35 000 unterschiedliche Artikel. Für die Einrichtung des Endoprothesenregisters ist die Zusammenführung von drei unterschiedlichen Datensätzen erforderlich: die Routinedaten der Krankenhäuser, die pseudonymisierten Patientendaten der Krankenkassen sowie die Produktdaten der Implantatehersteller.
„Neue Techniken ermöglichen es, die Prothese ohne Schädigung der Muskulatur sicher zu verankern“, fügte Heller hinzu. Doch trotz großer Fortschritte stoße die Endoprothetik des Kniegelenkes an ihre Grenzen: Rund 15 Prozent der Patienten mit künstlichen Kniegelenken sind trotz optimaler Operation und der Verwendung hochwertiger Materialien mit dem Ergebnis unzufrieden. „Das liegt daran, dass die Erwartungen der Patienten deutlich über dem liegen, was ein künstliches Kniegelenk zu leisten vermag“, bedauert Heller. Selten könnten die Betroffenen ihre Sportfähigkeit komplett wiedererlangen oder sich wie im jungen Erwachsenenalter bewegen.
Dies müsse der behandelnde Arzt bei der Patientenaufklärung unbedingt erwähnen, empfiehlt Prof. Dr. med. Jörg Jerosch, Neuss, und kritisiert, dass viele Kollegen klare Aussagen vermeiden würden, um keinen Patienten an eine andere Klinik zu verlieren. Zur Aufklärung gehöre, dass die Zeit bis zur vollen Rekonvaleszenz nicht vier, sondern sechs Monate dauere. Und nur jeder zweite Patient sei mit einem künstlichen Kniegelenk völlig schmerzfrei. Heller empfiehlt Patienten mit Kniegelenkendoprothese, auf Sportarten in Beugestellung zu verzichten. Hierzu gehören etwa Klettern, Joggen oder Rudern.
Viele orthopädische Erkrankungen, wie Fehlstellungen an Hüften und Füßen in jungen Jahren, können inzwischen erfolgreich konservativ behandelt werden. Meist betreffen Frakturen im Jugendalter die langen Röhrenknochen: am häufigsten die Knochen im Unterarm. Die Lage des Bruchs und die Verschiebung der Frakturen entscheiden darüber, ob operiert werden muss. „Wulst- und Grünholzbrüche, bei denen der Knochen nur wenig oder gar nicht verformt ist, können wir in der Regel konservativ behandeln“, erklärt Priv.-Doz. Dr. med. Dirk W. Sommerfeldt, Leiter der Sektion Kindertraumatologie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, Hamburg.
Auch Brüche, die mit einer Fehlstellung einhergehen, müssten nicht immer operiert werden. Dies gelte vor allem für Ober- und Unterarm. Je jünger der Patient ist, und je näher die Fraktur an einer noch aktiven Wachstumsfuge liegt, desto eher wachsen sich Fehlstellungen von selbst wieder aus. „Das Längenwachstum der Knochen beim Kind wirkt begradigend, so dass sich einige Fehlstellungen von selbst ausgleichen“, erläutert Sommerfeldt. Vielen jungen Patienten bleibt so die Belastung durch eine Operation und Narkose erspart.
Fußdeformationen sind gut konservativ zu behandeln
„Deutlich weniger Korrektureingriffe nehmen Ärzte auch beim Klumpfuß vor“, so Prof. Dr. med. Rüdiger Krauspe, Direktor der Orthopädischen Klinik des Universitätsklinikums Düsseldorf. Die Ponseti-Methode, eine weitgehend konservative Behandlung, verlaufe aber nur dann erfolgreich, wenn ein erfahrener Kinderorthopäde die Betroffenen betreue und die Eltern die Therapievorgaben gemeinsam mit ihrem Kind konsequent durchführen. Denn die Klumpfußschiene müsse über vier bis fünf Jahre hinweg jede Nacht angelegt werden. Auch bei vielen Fußfehlformen, Achsfehlstellungen der Beine sowie bei Wirbelsäulenverkrümmung kommt man unter einer fachkundigen Beobachtung und nichtoperativen Behandlung häufig ohne operative Eingriffe aus.
Dr. phil. Barbara Nickolaus
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