BÜCHER
Psychologische Dimension der Finanzmärkte: Faszinierende Antworten auf findige Fragen


Wenn ein Psychotherapeut wissen will, was ein Ökonom und Sozialanthropologe über Anlageberater denkt und weiß, und wenn ein Ökonom und Politiker wissen will, was ein Psychoanalytiker über die Tiefenpsychologie der hohen und höchsten Manager von Banken- und Hedgefonds denkt und weiß, dann greift er zum gleichen Buch: Tuckett ist Ökonom, Soziologe und Psychoanalytiker zugleich, weltweit vernetzt mit anderen Koryphäen aus verschiedenen Disziplinen. Es gelang ihm, Spitzenleute, die Milliarden im Lauf von einigen Monaten bewegen, zu befragen. Seine Fragetechnik förderte Erkenntnisse zutage, die nach Meinung des Autors die Finanzwissenschaft und die Politik verändern sollten.
Die Antworten der Befragten sind faszinierend und enthalten doch sehr viel Ähnliches: Triumphe und Niederlagen, Skepsis und magische Hoffnungen, das Schwanken zwischen Genialität und Selbstzweifel, das Lauern auf das finale Schnäppchen und die mühsamen Versuche, Niederlagen durch plausible Geschichten zu verarbeiten und mit der Angst umzugehen, ob der hochbezahlte Job noch sicher ist oder ob ein überwältigender Bonus in Aussicht steht. Man erfährt viel über den Druck, unter dem die Spitzenleute stehen, die einen Teil ihres Lebens am Bildschirm verbringen, um die Märkte zu beobachten und um sich über ihre tägliche Performance zu informieren. Ihr Leben vollzieht sich zwischen Gier, Neid, Angst und Rivalität. Der Druck kommt von mehreren Seiten: vom Arbeitgeber, von gierigen Kunden, die mit Kündigung drohen, wenn der Gewinn nicht stimmt, von Veränderungen des Marktes oder auch nur der Marktstimmung, von Trends, denen man folgen oder gegen die man sich stemmen kann, wenn man Ichstärke oder Nerven genug hat, die eigenen Ideen für überlegen zu halten.
Das Schicksalswort lautet Ambivalenztoleranz oder die Fähigkeit, zwischen unendlich zu vielen, oft nicht verarbeitbaren Informationen und schließlich dem schlichten Bauchgefühl zu pendeln. Bei aller Rationalität und langjährigen Erfahrung bleibt die Lage letztlich doch schwer oder unberechenbar. Wo so viele offene oder verdeckte Egoismen aufeinanderstoßen, sieht Tuckett die Theorien des Neoliberalismus in den Finanzzirkus taumeln. Jedenfalls wünscht er sich das, um Platz zu schaffen für seine viel differenzierte Theorie, die Bion, Melanie Klein und andere Kenner des tiefen Unbewussten des Individuums umfasst. Tilmann Moser
David Tuckett: Die verborgenen psychologischen Dimensionen der Finanzmärkte. Psychosozial-Verlag, Gießen 2013, 330 Seiten, kartoniert, 29,90 Euro
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