

Eine mitarbeiterorientierte Führungskraft überakzentuiert auch einmal die Verdienste einzelner Mitarbeiterinnen bei Projekten. Das steigert die Motivation.
Mitarbeitergespräch: Die Mitarbeiterin und die Ärztin diskutieren Möglichkeiten, die Patientenorientierung zu erhöhen. Beide bringen Ideen ein, die Ärztin schlägt vor, Erinnerungsgespräche durchzuführen und Patienten telefonisch an Vorsorgetermine zu erinnern. Die Mitarbeiterin ist Feuer und Flamme, findet den Vorschlag klasse, denkt ihn weiter, geht ins Detail und entwickelt Gedanken, wie sich die Idee umsetzen lässt. Und dann sagt die Ärztin: „Glückwunsch, Frau Müller, da haben Sie eine schöne Idee gehabt und gleich auch Umsetzungsvorschläge erarbeitet.“ Die Ärztin verzichtet also darauf, ihren Verdienst zu erwähnen, obwohl die Ursprungsidee von ihr selbst kam.
Natürlich: Die Ärztin bleibt bei der Wahrheit und räumt keinen Verdienst ein, der der Mitarbeiterin überhaupt nicht zusteht. Aber es gibt durchaus Situationen, in denen es zielführend ist, der Mitarbeiterin das Gefühl zu geben, sie habe etwas Besonderes und Großartiges geleistet, auch wenn dies nicht zu 100 Prozent zutrifft – etwa, wenn es die Mitarbeiterin an der Rezeption in der letzten Zeit nicht leicht gehabt hat: Sie kommt mit der neuen Terminsoftware nicht zurecht und hat Probleme, ihren Beitrag an der Erstellung des Qualitätsmanagementhandbuchs zu leisten. Sie befindet sich in einem Demotivationsloch. Dr. med. Martin Herkenhoff, Kinderarzt im bayerischen Germering, merkt an: „Dieser Mitarbeiterin in ihrer psychologisch schwierigen Situation nun auch noch Vorhaltungen zu machen, ist kontraproduktiv. Vielmehr sollte man ihr Mut zusprechen und sie vorsichtig loben.“
„Vorsichtig loben“: Die anerkennenden Worte der Ärztin dürfen in den Ohren der Mitarbeiterin nicht unglaubwürdig klingen, sonst erreicht sie das Gegenteil von dem, was sie will. Eine offensichtlich unbegründete Anerkennung kann bei den Kollegen auch Neid hervorrufen. Es geht also nicht darum, Fehler schönzureden oder gar zu verschweigen. Tendenziell aber, so Kinderarzt Herkenhoff, gilt: „Eine mitarbeiterorientierte Führungskraft gibt den Mitarbeiterinnen wo immer möglich das Gefühl, sie seien auf eine bestimmte gute Idee gekommen, also beispielsweise die Patienten anders anzusprechen. Denn dadurch entsteht eine enorme motivatorische Sogwirkung.“
Dazu eignen sich Situationen, die sich in einem Graubereich befinden. Der Grund: Der positive Mitarbeiteranteil an einer erfreulichen Veränderung oder Verbesserung sollte weder vollkommen eindeutig sein – dann versteht sich das Lob von selbst und es wäre fahrlässig, würde der Arzt das Mitarbeiterverdienst nicht erwähnen. Der positive Mitarbeiteranteil darf aber auch nicht komplett von der Hand zu weisen sein – dann würde es sich um eine unverdiente Anerkennung handeln, die dem Arzt niemand abnimmt.
Ein Beispiel für diesen Graubereich ist die Teamarbeit in der Arztpraxis: Auch wenn der Arzt weiß, dass Frau Schmitters Anteil am Teamerfolg eher bescheiden ausfällt, lobt er zunächst das gesamte Team – und spricht schließlich speziell das Verdienst der Frau Schmitter an, um sie auf diese Weise zu unterstützen und zu motivieren. Das Gesamtlob färbt quasi auch auf Frau Schmitter ab. Und dann ist es dem Arzt durchaus erlaubt, bei der Mitarbeiterin ein wenig mehr zu loben.
Insbesondere wenn der Arzt gemeinsam mit einer Mitarbeiterin an einer Aufgabe oder einem Projekt arbeitet, ergeben sich für ihn interessante Optionen, der Mitarbeiterin durch anerkennende Worte motivatorisch unter die Arme zu greifen; erinnert sei an das Eingangsbeispiel mit Frau Müller. Denn dann kommt es „nur“ darauf an, dass der Arzt bereit ist, etwas vom Kuchen an die Mitarbeiterin abzugeben. Praxisinhaber Herkenhoff betont: „Für den Arzt heißt das, er muss sich selbst zurücknehmen können und die Mitarbeiterin und weniger sich selbst in den Fokus rücken. Er sollte Möglichkeiten finden, vor allem den Anteil der Mitarbeiterin an der Aufgabenbearbeitung in ein belobigendes Licht zu stellen.“
Das ist zuweilen leichter gesagt als getan. Denn im Eifer des Gefechts kann es etwa bei der gemeinsamen Projektbearbeitung schon einmal vorkommen, dass der Arzt diese motivatorische Aufgabe vergisst. Darum sollte er sich zumindest am Ende des Projekts fragen, ob und wie sich das Engagement der Mitarbeiterin gebührend hervorheben lässt. Eine Chance dazu bietet sich bei der Vorstellung der Projektergebnisse vor dem Praxisteam an. Selbst wenn der Beitrag der Mitarbeiterin nicht so sehr ins Gewicht fällt: Indem der Arzt ihr die Präsentation überträgt, werden sich die Zustimmung des Teams und der Applaus zuallererst an sie, die Vortragende, wenden. Und zugleich ergibt sich für den Arzt die Gelegenheit, ein weiteres Lob anzufügen, indem er der Mitarbeiterin für den gelungenen Vortrag dankt.
Herkenhoff meint: „Falls möglich, trägt der Arzt die wertschätzende Anerkennung vielleicht sogar im Beisein eines Patienten vor. Das ist an der Rezeption gut möglich, und dieses Vorgehen hat meistens positive Auswirkungen auf die Mitarbeiterin.“ Entscheidend ist, dass der Arzt dem Mitarbeiter zeigt, dass er es ernst meint. Dies gelingt am besten, wenn die Wertschätzung nicht pauschal erfolgt, sondern mit einer Begründung einhergeht. Im Fall der präsentierenden Mitarbeiterin könnte dies sein: „Ich danke Ihnen für den lebendigen Vortrag und die eingängige grafische Darstellung unserer Arbeitsergebnisse.“ Der bescheidene Anteil der Mitarbeiterin an der Aufgabenbearbeitung bleibt im Hintergrund, der Arzt beschreibt aber ihren spezifischen Beitrag an der überschaubaren Präsentationsaufgabe so detailliert wie möglich.
Patric P. Kutscher
MasterClass Education, Zellertal