POLITIK
Gesundheitspolitik in der neuen Bundesregierung: Bahrs Nachfolger ist eine Überraschung


Gleich drei Nordrhein-Westfalen sitzen in Zukunft an führender Stelle im Bundesgesundheitsministerium. Dass CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe die Leitung übernehmen wird, war nicht abzusehen. Ein fachfremder Politiker muss jedoch nicht von Nachteil sein.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ist auch zu Beginn dieser Legislaturperiode für eine Überraschung gut: Neuer Minister ist der bisherige CDU-Generalsekretär, Hermann Gröhe. Die Entscheidung für den 52-jährigen Juristen war eine ebenso große Überraschung wie vor vier Jahren die Ernennung von Dr. med. Philipp Rösler (FDP), der das BMG vor Daniel Bahr (FDP) führte. Bis zuletzt waren viele Beobachter davon überzeugt, dass Dr. med. Ursula von der Leyen (CDU) das BMG übernehmen würde – jenes Haus, das die bisherige Bundesarbeitsministerin 2009 nicht bekommen und nun nicht mehr gewollt hatte.
Der Neue, Gröhe, ist im Berliner Politikbetrieb ein alter Hase. Seit 1994 gehört der Rheinländer dem Bundestag an, seit 1977 der CDU. Er war Vorsitzender der Jungen Union und von 1998 bis 2005 Unionssprecher für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. In den Jahren 2008 und 2009 wirkte Gröhe im Bundeskanzleramt als Staatsminister für die Bund-Länder-Koordination, dann übernahm er den Posten als Generalsekretär. Sein Verhältnis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gilt als eng. In den zurückliegenden Koalitionsverhandlungen spielte er eine wichtige Rolle.
Gröhe: Mitkonstrukteur der schwarz-roten Koalition
In den Gesprächen fiel Gröhe, der als ausgleichend und besonnen charakterisiert wird, nicht durch Ungeduld auf. So riet der Protestant, verheiratet und Vater von vier Kindern, in einem Interview zur Sorgfalt: „Koalitionsverhandlungen sind kein Speed-Dating.“
Gesundheitspolitisch ist Gröhe bisher nicht hervorgetreten. An Stammtischen, auch an akademischen, hält man dies gern für einen Makel, der kaum auszugleichen ist. Doch diese Sicht ist zu einseitig („Seite eins“ in diesem Heft). Gesundheitspolitisches Fachwissen kann man sich aneignen, zwar nicht von heute auf morgen, aber durchaus flott, wenn es sein muss. Sehr viel länger dauert es, sich in der Partei und mit wichtigen Ansprechpartnern im ganzen Land zu vernetzen oder Erfahrungen im Politikbetrieb zu sammeln. Hier bringt Gröhe eine Menge mit. Seine vielfältigen Kontakte könnten ihm beispielsweise nutzen, wenn es darum geht, mit den Ländern eine Reform der Krankenhausfinanzierung auf den Weg und später durch den Bundesrat zu bringen.
Mit sozialen Fragen hat sich Gröhe zudem in anderen Funktionen bereits befasst. Von 1997 bis 2009 war er Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, von 2000 bis 2008 Vorsitzender des Diakonischen Werkes der evangelischen Kirchengemeinde der Stadt Neuss. Auf seiner Homepage hat er unter der Rubrik „Überzeugungen“ zusammengestellt, was ihm besonders wichtig ist. Hier heißt es an einer Stelle: „Gerade ein gutes Miteinander der Generationen liegt mir am Herzen. Daher halte ich es für erforderlich, unsere solidarischen sozialen Sicherungssysteme so weiterzuentwickeln, dass sich auch kommende Generationen auf sie verlassen können.“
Laumann: das „soziale Gewissen“ der Union
Zu diesem Wunsch passt, dass Gröhes Landsmann Karl-Josef Laumann (CDU) im BMG Beauftragter für Pflege, Patienten und Demografie werden soll. Laumann (56), häufig als „das soziale Gewissen“ der Union bezeichnet, wird als beamteter Staatssekretär die Stelle des bisherigen Patientenbeauftragten im Ministerium übernehmen, die Wolfgang Zöller (CSU) innehatte.
Auch von Laumann wird man sicher hören: „Die Aufgabe, die Probleme einer älter werdenden Gesellschaft zu lösen, ist Karl-Josef Laumann wie auf den Leib geschneidert“, sagt Dr. med. Theodor Windhorst, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Er sei ein „ausgewiesener Sozialexperte“. Die Zusammenarbeit mit Laumann sei in dessen Jahren als Landesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales „eng und vertrauensvoll“ gewesen.
Laumann, Katholik und Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, verkörpert einen mittlerweile seltener anzutreffenden Politikertypus: kantig und deutlich in der Wortwahl statt allzu eloquent und glatt. Der gelernte Maschinenschlosser stammt aus einer Bauernfamilie, ist bodenständig, pragmatisch und ein erfahrener Gesundheits- und Sozialpolitiker. Im Sommer hatte er in seiner Funktion als Fraktionsschef der CDU im nordrhein-westfälischen Landtag von Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Bündnis 90/Die Grünen) gefordert, dem Ärztemangel, besonders im ländlichen Raum, entschiedener gegenzusteuern.
Thema Pflege: besser nicht der SPD überlassen
Laumann gehörte der Arbeitsgruppe Gesundheit bei den Koalitionsverhandlungen an. Vertreter der Ärzteschaft werden sich in Zukunft möglicherweise häufiger an ihn wenden, wenn sie für ein Anliegen Unterstützung im BMG brauchen. Doch seine Partei erwartet von dem verheirateten Vater dreier Kinder vor allem, dass er sich geschickt mit pflegepolitischen Fragen befasst. Die Unzufriedenheit von Fachleuten wie Bürgern über das Reformtempo der schwarz-gelben Koalition bei diesem Thema wird dazu beigetragen haben, dass die Union sich nun hier profilieren möchte und dem Thema Pflege mehr Gewicht verleiht – allein schon deshalb, um nicht vom Koalitionspartner SPD in dieser Frage beständig angetrieben zu werden.
Neu im Bundesgesundheitsministerium ist auch Ingrid Fischbach (56). Sie wird parlamentarische Staatssekretärin und ersetzt in dieser Funktion Ulrike Flach (FDP). Die im Ruhrgebiet geborene langjährige Bundestagsabgeordnete war zuletzt stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag. Auch in dieser Funktion hat sie sich immer wieder mit arbeits- und sozialpolitischen Themen befasst. Ärztinnen und Ärzten ist Fischbach zuletzt durch ihr Engagement für die vertrauliche Geburt aufgefallen. Im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt berichtete sie, ihre Meinung nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Thema geändert zu haben: Ursprünglich hatte sich die Unionspolitikerin für Babyklappen eingesetzt, mittlerweile findet sie, dass diese ebenso wie anonyme Geburten keine Lösung für Schwangere in Not sind.
Möglicherweise wird sich Fischbach im BMG intensiver um Themen wie Pflege oder auch Forschung kümmern und die thematische Arbeit rund um das Sozialgesetzbuch V Annette Widmann-Mauz (47) überlassen. Diese hat als parlamentarische Staatssekretärin bereits in der vergangenen Legislaturperiode im BMG gearbeitet und war häufig im Gesundheitsausschuss, bei Anhörungen und bei Fragestunden zu erleben. Die Baden-Württembergerin gilt als Kennerin der Gesundheitspolitik. „Ihr kann man nichts vormachen“, heißt es. Fischbach und Widmann-Mauz haben zuletzt schon an einem Strang gezogen: Sie verhandelten beide in der Arbeitsgruppe Familie, Frauen und Gleichstellungspolitik mit am Koalitionsvertrag.
Für das Amt des bisherigen beamteten Staatssekretärs Thomas Ilka (FDP) ist der gebürtige Wolfenbütteler Lutz Stroppe (CDU) im Gespräch. Stroppe (57) kommt aus dem Bundesfamilienministerium, in dem er seit 2010 zunächst als Leiter der Abteilung „Kinder und Jugend“, später als Staatssekretär gearbeitet hat. Nach einer Lehramtsausbildung in den Fächern Geschichte und Politikwissenschaft hat der zweifache Familienvater das Bildungswerk der Konrad-Adenauer-Stiftung zunächst in Mainz, dann in Berlin geleitet. 1999 wurde er stellvertretender Leiter des Büros von Altkanzler Helmut Kohl (CDU), ab 2001 Büroleiter. Zwischen 2006 und 2010 arbeitete er als Bereichsleiter „Politische Programme und Analysen“ in der Bundesgeschäftsstelle der CDU, bevor er ins Familienministerium wechselte. Stroppe verfügt also über keine gesundheitspolitische Erfahrung.
Der bisherige parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Forschung und Bildung, Dr. med. Helge Braun (CDU), wechselt auf den Posten des Staatsministers im Kanzleramt. Braun (41) soll dort für die Bund-Länder-Koordination zuständig sein. Auch Braun könnte also eine wichtige Rolle spielen, wenn es in den kommenden Jahren um die Abstimmung von gesundheitspolitischen Vorhaben zwischen Bund und Ländern geht.
Eine Überraschung war für viele die Ernennung von Aydan Özoguz (SPD) zur Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration. Özoguz (46) verhandelte in der Unterarbeitsgruppe Integration und Migration mit am Koalitionsvertrag. Dort sei sie der Kanzlerin positiv aufgefallen, heißt es. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte hatte die bisherige Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion im Mai zu einem Diskussionsforum eingeladen, bei dem es um Ungleichheit von Kindern und Jugendlichen ging, vor allem in Bezug auf Sprach- und Lesekompetenzen. Damals hatte Özoguz auf eine Lockerung des Kooperationsverbots von Bund und Ländern in der Bildungspolitik gedrängt.
Erste Reaktionen aus der Ärzteschaft
Ärztliche Organisationen haben sich bisher mit Einschätzungen zur neuen BMG-Führung zurückgehalten. Als „guten Mix aus Kontinuität, Erfahrung und neuem Blickwinkel“ wertete der CDU-Bundestagsabgeordnete und Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, die Besetzung. Den neuen Minister beschreibt Henke als gut organisiert, durchsetzungsfähig, aber auch fair: „Er sieht auch im politischen Konkurrenten immer den Menschen.“ Nun gehe es darum, ihn „von unserem Engagement für die Patientenversorgung zu überzeugen“.
Ärztekammerpräsident Dr. med. Theodor Windhorst hält es nicht für nachteilig, „einen Minister zu haben, der neu in die Gesundheitspolitik hineinkommt“. Manches sehe er sicher unbelasteter als andere. Gröhe sei klug und humorvoll, betont Windhorst: „Das braucht man in diesem Job.“ Er hofft, dass der Jurist Gröhe überbordendem Kontrollzwang im Gesundheitswesen Einhalt gebietet und zudem verhindert, dass eine immer stärker industriehafte Versorgung um sich greift.
Sabine Rieser