SCHLUSSPUNKT
Körperbilder: Stefan Lochner (um 1400/1410–1451) - Die Seligen und die Verdammten


Faszination des Bösen: Furchteinflößende Ungeheuer zerren die nackten, bleichen Leiber der Sünder in die Hölle. Die Menschen schluchzen, schreien, flehen. Doch umsonst. An den Haaren zieht ein Teufel ein offenbar unzüchtiges Paar aus dem Grab. Ein anderer Dämon reißt einen am Boden liegenden beleibten Mann mit sich. Noch vor dem Angesicht seines Schöpfers umklammert der Raffgierige einen Sack, aus dem Goldmünzen kullern. Weder die reichen Prasser noch die Trinker und Zocker, weder Christen noch Juden und Moslems, und selbst nicht Päpste, Kardinäle, Könige und Edelfrauen entgehen dem Jüngsten Gericht, wie es im 15. Jahrhundert der Maler Stefan Lochner seinen Zeitgenossen vor Augen führte.
Ob es sich bei seinem frühen Werk um ein Altarbild oder ein Lehrstück für den Gerichtssaal eines Rathauses handelte, ist nicht überliefert. Unzweifelhaft aber ist die einschüchternde Wirkung, die die dramatische Szene auf die Menschen im spätmittelalterlichen Köln gehabt haben muss, wo Lochner lebte und arbeitete. Glaubten sie doch, dass das Jüngste Gericht unmittelbar bevorstehe. Um die spannenden Einzelheiten der komplexen Komposition zu entschlüsseln, empfiehlt sich ein Besuch des Wallraf-Richartz-Museums. Dort ist das „Weltgericht“ samt kunstvoller, mit Infrarotreflektographie sichtbar gemachter Unterzeichnung ausgestellt, bevor es wieder in der Sammlung zu sehen ist. Lochners mystische Durchdringung des religiösen Themas fasziniert ebenso wie die Körperlichkeit und Wirklichkeitsnähe seiner Figuren, mit der er den neuen Naturalismus der flämischen Malerei fortführte. Dabei scheint er die moralische Botschaft des Jüngsten Gerichts fast in ihr Gegenteil zu verkehren: In zahlreichen Einzelszenen setzt er sich detailverliebt mit dem Wesen des Bösen auseinander, schildert in sinnlich-lustvollen Bildern das pralle diesseitige Leben, das in die Hölle führt. Die Seligen dagegen wirken bei ihm wenig individuell, eher angepasst und freudlos.
Dass er sein „Weltgericht“ nicht signierte, ist typisch für seine Zeit, galten Maler damals doch nicht als Künstler, sondern als Handwerker, als „Schilderer“. Nur einer Reisenotiz Albrecht Dürers, der 1520 Köln besuchte, ist es zu verdanken, dass Stefan Lochner als einziger unter den Kölner Malern des 15. Jahrhunderts namentlich mit seinem Werk in Verbindung gebracht werden kann. Sabine Schuchart
Ausstellung
„Geheimnisse der Maler – Köln im Mittelalter“
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Obenmarspforten, Köln; www.wallraf.museum
Di.–So. 10–18, Do. 10–21 bzw. 10–22 (1. Do. im Monat) Uhr;
bis 9. Februar
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