KULTUR
Johann Lukas Schönlein (1793–1864): Wegbereiter der modernen Medizin


Schönlein steht am Beginn der streng empirischen Methode bei gleichzeitiger Abkehr von der spekulativen Naturforschung.
Die medizinisch-philosophische Strömung des 19. Jahrhunderts, anfangs noch geprägt von der romantischen Naturphilosophie französischen Vorbilds, erreicht mit der Übertragung der naturwissenschaftlichen Methode in die Medizin eine neue Ära. Als Begründer dieser Schule gilt der am 30. November 1793 in Bamberg geborene Johann Lukas Schönlein. Dieser zeigte früh Interesse an der Naturkunde und widmete sich dieser auch verstärkt während seines 1811 in Landshut begonnenen Medizinstudiums. Im Herbst 1813 wechselte er auf die Universität Würzburg und verfasste 1816 unter dem Eindruck der Begegnung mit dem dort lehrenden Physiologen Ignaz Döllinger (1770–1841) seine Dissertation „Über die Hirnmetamorphose“. Seine darin artikulierte Überzeugung, dass nur die Anschauung Wahrheit und Gültigkeit besitze, spiegelte bereits sein Bekenntnis zur streng empirischen Methode bei gleichzeitiger Abkehr von der spekulativen Naturforschung wider.
Im Anschluss an sein Studium absolvierte Schönlein das für die bayerische Approbation unerlässliche Biennium practicum am Allgemeinen Krankenhaus zu Bamberg. Ab 1817 lehrte er als Privatdozent an der Würzburger Universität, die in engem Kontakt zum örtlichen Juliusspital stand. Geleitet wurde das Spital von Nicolaus Anton Friedrich (1761–1836), dessen Nachfolge, verbunden mit einer ordentlichen Professur für spezifische Pathologie und Therapie, Schönlein 1824 antrat. Die wesentlichen Grundlagen seiner später sich durchsetzenden Methode, die „einzig und allein imstande“ ist, „das Chaos in der praktischen Medizin zu ordnen“, benannte er bereits in seinem 1818/19 verfassten Vorlesungsmanuskript „Über den Keuchhusten“. Verfahren: Definition der Krankheit aufgrund unverwechselbarer Merkmale („künstliche Charakteristik“) sowie Beschreibung und Erfassung der Verlaufssymptome und lokalen Manifestation („natürliche Methode“) nebst Untersuchung der historischen Entwicklung der Krankheit („historische Forschung“). Interpretationsmittel: Methoden und Erkenntnisse der „experimentirenden Physiologie“ und „vergleichende(n) Anatomie“.
Schönlein selbst praktizierte seine Methode an der Würzburger Krankenstätte. Auf der Basis einzelner Fälle konstruierte er idealtypische Verlaufsbeschreibungen; unter Einbeziehung der Sektionsbefunde diskutierte er die pathologischen Ursachen und möglichen Therapien. In seiner Klinik führte Schönlein außerdem die Methoden der Auskultation und Perkussion ein sowie die chemische und mikroskopische Untersuchung von Blut und Exkrementen. Darüber hinaus vertrat und praktizierte er seine triadische Vorstellung einer modernen Klinik, die sowohl der Behandlung der Kranken, als auch der praktischen Ausbildung der Studenten und der Beförderung von Wissenschaft diente.
In den politisch unruhigen Zeiten des Vormärz geriet auch die Würzburger Universität als Nährboden revolutionären und liberalen Geistes verstärkt ins Visier der Regierung. Schönlein entkam einer Verhaftung durch Flucht nach Zürich, wo er das klinische Lehramt an der neugegründeten Universität übernahm. Hatte er bereits „Würzburg zum Wallfahrtsort für deutsche Aerzte gemacht“ (Virchow), so wuchs seine Popularität in den folgenden Jahren noch mehr. Zwar bekämpften Gegner Schönleins die neue naturwissenschaftliche Richtung vehement, doch blieb seine Methode, die Krankheit als Prozess auffasst und sie zusammenhängend beschreiben und diagnostizieren lässt, Bestandteil der modernen Medizin. Im Jahr 1839 folgte Schönlein einem Ruf als Professor und Leiter der medizinischen Klinik an die Berliner Charité. 20 Jahre später kehrte Schönlein nach Bamberg zurück, wo er am 23. Januar 1864 starb.
Sandra Krämer
Sandra.Kraemer@studium.uni-hamburg.de