ArchivDeutsches Ärzteblatt13/2014BundesKongress GenderGesundheit: Gerecht für Frauen und Männer

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BundesKongress GenderGesundheit: Gerecht für Frauen und Männer

Ankowitsch, Eugenie; Rieser, Sabine

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Über Karrieren und Klischees diskutierten (von links) Jessica Beyer, Astrid Bühren, Christian Kraef, Monika Köster, Annelie Keil und Gabriele Kaczmarczyk. Fotos: Georg J. Lopata
Über Karrieren und Klischees diskutierten (von links) Jessica Beyer, Astrid Bühren, Christian Kraef, Monika Köster, Annelie Keil und Gabriele Kaczmarczyk. Fotos: Georg J. Lopata

Von einer geschlechterspezifischen Betrachtung des Gesundheitswesens würden Patientinnen und Patienten gleichermaßen profitieren – das verdeutlichten mehrere Referentinnen beim jüngsten Genderkongress in Berlin.

Dass sich „in der Medizin von heute manches ändern würde, wenn mehr Frauen in Führungspositionen wären“ – diese Auffassung hat Prof. Dr. med. Gabriele Kaczmarczyk Mitte März beim „BundesKongress GenderGesundheit“ in Berlin vertreten, bei dem Fachleute zwei Tage lang unter verschiedensten Blickwinkeln über das Thema diskutierten. Kaczmarczyk verwies im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf die Aktion „Pro Quote Medizin“, die sie als Ärztin und langjährige Kämpferin für frauenspezifische Gesundheitsforschung mitinitiiert hat. Die Unterstützerinnen dieser Aktion fordern, dass mindestens 40 Prozent der Führungspositionen in der Medizin bis zum Jahr 2018 mit Frauen besetzt werden, und zwar auf allen Hierarchiestufen.

Beim Kongress stellte Kaczmarczyk klar, dass der Begriff der „Feminisierung der Medizin“ Falsches suggeriere: „Die Feminisierung ist noch gar nicht eingetreten.“ Denn nach wie vor gebe es kaum Frauen in Führungspositionen der Medizin. Dies gelte sowohl für Lehrstühle wie für Spitzenpositionen in wissenschaftlichen Forschungsgesellschaften. Ein hoher Anteil an Medizinstudentinnen sei dabei nicht erst seit kurzem zu verzeichnen, betonte sie: Zwar seien derzeit etwa 63 Prozent der Medizinstudierenden weiblich, aber schon vor knapp 15 Jahren lag ihr Anteil bei 54 Prozent. Dass früher viele angehende Ärztinnen ihren Berufswunsch offenbar nicht umgesetzt haben, bezeichnete Kaczmarczyk – auch angesichts der hohen Kosten jedes Medizinstudiums – als „Verschwendung“.

Für vorgeschoben hält sie die Begründung, eine schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei das Karrierehemmnis für Frauen. Zu DDR-Zeiten seien trotz der guten Kinderbetreuungsangebote auch nur ungefähr fünf Prozent der Ärztinnen in Führungspositionen gelangt. Anhaltende Ursache für diese Situation ist nach Kaczmarczyk ihre mangelnde Förderung durch männliche Vorgesetzte.

Frauenproblem Karriere, Männerproblem Freizeit

Christian Kraef von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland verwies darauf, dass die Beschäftigung mit den Anliegen der jüngeren Ärztinnen und Ärzte enorm zugenommen habe: „Wir bekommen Gehör.“ Er führte dies vor allem auf den Ärztemangel zurück. Forderungen nach Veränderung kämen „zum großen Teil auch von Männern“, betonte Kraef. Während Medizinstudentinnen und junge Ärztinnen seiner Wahrnehmung nach eher Probleme haben, wenn sie Karriere machen wollen, ringen Medizinstudenten und junge Ärzte damit, dass ihnen nicht genug Freiräume zugestanden werden – weder für die Familie noch für Hobbys und andere außerberufliche Interessen.

Prof. em. Dr. Annelie Keil, Soziologin und Gesundheitswissenschaftlerin, forderte für die Zukunft eine „gemischte Genderforschung“, mit vielfältigen Studien zu Frauen- und Männeraspekten des Themas. Sie wandte sich gegen Klischees und Zuweisungen, die der Wirklichkeit nicht gerecht würden. So erlebe sie, dass viele der angeblich so mächtigen Männer nach dem Ausscheiden aus dem Beruf im häuslichen Umfeld schnell entmachtet und „zum Familientrottel“ würden, sagte Keil. Außerdem herrscht nach ihren Worten der Eindruck vor, dass im Alter vor allem Frauen pflegen, auch wenn das nicht mehr ganz der Wirklichkeit entspricht. Die Wissenschaftlerin erinnerte daran, dass viele aidskranke Männer zu den Zeiten, als die Krankheit noch wenig beherrschbar war, auch von Lebenspartnern und Freunden gepflegt wurden. Dieser Mix aus Laien- und professioneller Pflege sei aber damals nicht klar genug als ein Zukunftsmodell gesehen worden, sagte sie.

Arzneimitteleinnahme nach Gewicht und Geschlecht

In mehreren Referaten forderten Fachleute zudem, in Prävention, Diagnostik, Therapie und Pflege Genderaspekte stärker zu berücksichtigen. „Geschlechtsspezifische Unterschiede sind bereits für Verteilung, Metabolisierung und Ausscheidung von Arzneistoffen nachgewiesen“, erläuterte Prof. Dr. med. Petra Thürmann, Direktorin des Philipp-Klee-Instituts für klinische Pharmakologie am Helios-Klinikum Wuppertal und Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. So enthielten Frauenkörper im Vergleich zu Männerkörpern nicht nur weniger Muskelmasse und Wasser sowie mehr Fett, sondern sie würden in hohem Maße eigene Hormone verstoffwechseln. Weil dies nicht berücksichtigt werde, erhielten Frauen Arzneimittel häufig überdosiert und litten deshalb unter stärkeren Nebenwirkungen.

Als Beispiel führte Thürmann geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf die Toxizität des Arzneimittels 5-Fluoruracil bei der Therapie des kolorektalen Karzinoms an. Sie bewirkten, dass Nebenwirkungen wie Stomatitis, Durchfall, Leukopenie oder Übelkeit bei Frauen deutlich stärker ausgeprägt seien. „In einer prospektiven Studie, die noch läuft, werden für die Dosierung nun nicht mehr nur Körpergröße und Gewicht, sondern auch das Geschlecht einbezogen“, berichtete die Pharmakologin.

Die Ursache für viele Komplikationen sieht Thürmann in systematischen Fehlern bei Studiendesigns und bei der früheren Zulassung von Medikamenten. Der Glaube, Frauen seien biologisch lediglich eine kleinere Ausgabe des Mannes, hat sich ihrer Ansicht nach lange gehalten. Dass Arzneimittel dann – trotz gegenteiliger Erkenntnisse – immer noch vorwiegend an Männern getestet wurden, sei auch eine Folge des Contergan-Skandals. Dieser habe dazu geführt, Frauen wegen einer möglichen Schwangerschaft nicht als Testpersonen einzubeziehen. So wurden Präparate, die überwiegend an Männern getestet wurden, für beide Geschlechter zugelassen. Seit 2004 müssen Frauen allerdings angemessen bei klinischen Arzneimittelprüfungen berücksichtigt werden.

Fordert vielfältige Strukturveränderungen: Martina Kloepfer, Initiatorin und Kongresspräsidentin
Fordert vielfältige Strukturveränderungen: Martina Kloepfer, Initiatorin und Kongresspräsidentin

Obwohl sich Gendermedizin anfänglich mehrheitlich auf Frauen konzentrierte und einige Gruppierungen dies nach wie vor bevorzugen würden, rückt die Gesundheit von Männern in den Fokus. Die Medizinsoziologin Prof. Dr. Anne Möller-Leimkühler, die an der Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität in München zum Thema Geschlechterrollen und psychische Erkrankungen forscht, nannte als Beispiel die Depression bei Männern. Sie seien häufiger unterdiagnostiziert und -versorgt als Frauen. Wenn Männer behandelt würden, dann „erst spät, stationär und teuer“. Möller-Leimkühler sprach sich deshalb für die Entwicklung differenzierter Instrumente zur Erfassung männlicher Depressionen sowie für Bevölkerungsstudien zur Prävalenz der männlichen Depression aus.

Trotz vieler Erkenntnisse sind geschlechtsspezifische Aspekte in der Routineversorgung noch nicht angekommen. „Wir sind gerade dabei, genderspezifische Versorgungsunterschiede zu identifizieren. In der praktischen Umsetzung der Ergebnisse sind wir aber noch weit vom Ziel entfernt“, gab Dr. med. Ursula Marschall zu bedenken, Leiterin des Kompetenzzentrums Gesundheit der Barmer-GEK. Bislang würden geschlechtsspezifische Unterschiede in erster Linie in der Kommunikation berücksichtigt, beispielsweise bei der Prävention. So wurde etwa die Aktion „Tausend mutige Männer“ ins Leben gerufen, die speziell auf Männer zugeschnitten ist und sie auf die Darmkrebsfrüherkennung aufmerksam machen soll.

Die Barmer-GEK hat zudem Selektivverträge für Indikationen abgeschlossen, bei denen Frauen eine höhere Prävalenz zeigen als Männer, etwa Migräne. Einen Selektivvertrag, der grundsätzlich eine andere Therapie für Frauen als für Männer vorsehe, gebe es noch nicht. „Nichtsdestotrotz ist es wichtig zu erkennen, welche Erkrankungen geschlechtsspezifische Unterschiede aufweisen, um dann auch gegebenenfalls unterschiedliche Versorgungspfade zu entwickeln“, sagte Marschall. Dafür seien allerdings Daten notwendig, die diese Unterschiede zweifelsfrei belegen: „So weit sind wir noch nicht.“

Eugenie Ankowitsch, Sabine Rieser

GENDERMEDIZIN: MEHr INFOS ZUM THEMA

  • Das Netzwerk „Gendermedizin & Öffentlichkeit“ sowie die Deutsche Gesellschaft für Geschlechterspezifische Medizin veröffentlichen regelmäßig den Anna-Fischer-Newsletter. Er enthält Interviews, Hintergrundtexte und Links zum Thema. Bezug: www.gendermed.info
  • Das Institut für Geschlechterforschung in der Medizin an der Charité weist auf „GenderMedDB“ hin, eine unentgeltlich zu nutzende Zusammenstellung von geschlechtsspezifischer medizinischer Literatur: „Die Publikationen sind in Fachrichtungen und Erkrankungen unterteilt und können nach individuell definierten Kriterien komfortabel aufgerufen und zusammengestellt werden“. Info unter: gendermeddb.charite.de
  • „Gendertrends in den Gesundheitsberufen“ war Tagungsthema der Heinrich-Böll-Stiftung: www.boell.de/de/demokratie/gesundheit-16185.html.
  • Dr. Martina Kloepfer bloggt zu gendermedizinischen Themen: female-resources.blogspot.com.

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