THEMEN DER ZEIT
Asylleistungen in Deutschland: Flüchtlinge sind Patienten dritter Klasse
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Das deutsche Gesundheitssystem hält sich viel darauf zugute, dass Patienten dort ohne Ansehen der Person und des eigenen Geldbeutels medizinisch angemessen versorgt werden. Für Asylsuchende, Bürgerkriegsflüchtlinge oder geduldete Ausländer gilt das aber nur eingeschränkt.
Es ist ein sonniger Freitag Anfang März. Viele Menschen hat es hinaus gezogen in die milde Frühlingsluft, heraus aus den vollen Zimmern, die sie sich, wenn sie Glück haben, mit der eigenen Familie teilen oder mit bis zu zehn fremden Zimmergenossen. Die Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende (AfA) im Norden von Trier ist in den Gebäuden der ehemaligen französischen Kaserne untergebracht. Es ist nicht die beste Gegend der Stadt zwischen Verteilerkreis und Gewerbegebiet.
Zurzeit leben hier in der zentralen Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Rheinland-Pfalz 660 Asylsuchende. 80 weitere sind wegen des großen Andrangs in einer Außenstelle in Trier untergebracht. Ein dritter Standort in Ingelheim bei Mainz beherbergt derzeit 130 Flüchtlinge, im Laufe des Jahres soll er auf 500 Plätze erweitert werden. Die meisten Flüchtlinge stammen aus Syrien, Afghanistan, Iran und Somalia. Viele gelangen mit Hilfe von Schleppern ins Land. Denn Deutschland ist umgeben von sogenannten sicheren Drittstaaten. Werden Flüchtlinge in einem dieser Länder aufgegriffen, müssen sie ihr Asylverfahren dort abwickeln und haben keine Möglichkeit, nach Deutschland weiterzureisen. 127 000 Menschen stellten im vergangenen Jahr hier einen Asylantrag, 37 Prozent mehr als 2010. Dass sich dieser Trend so bald wieder umkehrt, damit rechne aufgrund der weltweiten Sicherheitslage niemand, bestätigt Margit Gottstein, Staatssekretärin im rheinland-pfälzischen Ministerium für Integration. Das Land trägt während der Zeit, die die Flüchtlinge in der Aufnahmeeinrichtung verbringen, neben den Kosten für deren Unterhalt auch die Kosten für die medizinische Versorgung. Für letztere fielen 2013 etwa 1,3 Millionen Euro an, erklärt AfA-Leiter Wolfgang Bauer. In der Trierer Einrichtung gibt es eine eigene Krankenstation. Sie ist täglich besetzt mit zwei Arzthelferinnen und drei Krankenschwestern. Dreimal pro Woche kommen Ärzte zur Sprechstunde ins Haus. Das sei praktischer und zweckmäßiger, als für 600 bis 700 Menschen einen Fahrdienst zu organisieren und letztlich auch kostengünstiger, meint Bauer.
Dr. med. Klaus Meiners (63) teilt sich den Dienst in der AfA mit zwei Kollegen. Zwei Stunden die Woche kümmert sich der Hausarzt um kranke Flüchtlinge – und das seit 20 Jahren, seit die Einrichtung besteht. Fragt man ihn, wie er seine Tätigkeit dort empfindet, antwortet er: „Ambivalent. Die zwei Punkte, die uns am meisten drücken – da kann ich auch für meine beiden Kollegen sprechen –, sind das Sprachproblem und die Diskrepanz zwischen der Erwartungshaltung der Leute und den Grenzen, die das Asylbewerberleistungsgesetz uns setzt.“
Das Gesetz beschränkt die medizinische Versorgung auf akute Erkrankungen, Schmerzen und lebensbedrohliche Gesundheitsstörungen. Bei leichten Erkrankungen wie Erkältungen falle das nicht ins Gewicht. Problematisch werde es aber dann, wenn Patienten zum Beispiel an ernsthaften Krankheiten litten, die in den Herkunftsländern nicht behandelt werden konnten oder für deren Behandlung dort die finanziellen Mittel fehlten. „Das reicht von angeborenen Fehlbildungen bis zu komplizierten Herzfehlern“, sagt Meiners. „Diese Patienten kommen häufig mit einer immensen Erwartungshaltung zu uns, so nach dem Motto: Ich bin jetzt in Deutschland, jetzt wird alles gut.“ Da setze aber das Asylbewerberleistungsgesetz Grenzen, die die Ärzte nicht ignorieren könnten, obwohl sie das Gesetz großzügig auslegten. Vor allem die Kinder tun Meiners dann leid. „Die kommen häufig mit Fehlbildungen, oder es kommen traumatisierte oder geistig behinderte Kinder. Da sind die Leistungseinschränkungen schon ein Problem.“
Die zweite große Hürde sei die Sprache, vor allem, weil es nicht genügend qualifizierte Dolmetscher gebe. „Meistens bringen die Leute irgendeinen Bekannten, Nachbarn oder Freund mit, der dann dolmetscht. Aber die Dolmetscherfähigkeiten sind ja sehr begrenzt“, erklärt Meiners. Vor allem wenn es um medizinische Fachbegriffe gehe: „Jeder Medizinstudent lernt, dass eine vernünftige Anamnese 50 Prozent der Diagnose ausmacht. Und wenn ich keine Anamnese erheben kann, ist die Diagnosestellung erheblich erschwert.“ Besonders gravierend sei dies bei psychisch traumatisierten Patienten. „Also ich kenne keinen Psychotherapeuten, der Somalisch kann“, sagt Meiners.
Das Problem sei für die Ärzte im Grunde nicht lösbar. „Da gilt im Prinzip das Gleiche wie mit dem Asylbewerberleistungsgesetz. Man versucht sein Bestes, aber irgendwo gibt es Grenzen, und ab einem gewissen Punkt ist es auch nicht mehr vertretbar.“ Allerdings, räumt der Hausarzt ein, funktioniere eine notwendige Überweisung von Patienten an Fachärzte oder Krankenhäuser meist problemlos.
„Wir legen das Asylbewerberleistungsgesetz sehr großzügig aus“, meint AfA-Leiter Bauer. Doch das Gesetz setzt Grenzen, insbesondere bei sehr teuren Therapien für chronische Erkrankungen. Flüchtlinge, die HIV-infiziert sind, haben beispielsweise kein Anrecht auf eine antiretrovirale Behandlung. „Wenn hier aber jemand akut an Krebs erkrankt, wird der natürlich behandelt“, bekräftigt Bauer.
Stolz ist man in Trier darauf, dass man den Flüchtlingen eine medizinische Eingangsuntersuchung (Medeus) anbieten kann. Unter anderem wird dort der Impfstatus überprüft, es finden regelmäßig Impfungen statt, außerdem U-Untersuchungen für Kinder und Schwangerenvorsorge. Hintergrund ist eine EU-Richtlinie, die bis 2015 in nationales Recht umgesetzt werden muss. Sie definiert Schutzstandards für besonders vulnerable Gruppen wie unbegleitete Minderjährige, Behinderte, Schwangere oder traumatisierte Menschen. „Diesen Schutzbedarf muss man ja erst mal erkennen, und dazu dient unter anderem das Medeus-Projekt“, sagt Staatssekretärin Gottstein. Für das Land entstehen dadurch zusätzliche Kosten, denn die Leistungen gehen über die im Asylbewerberleistungsgesetz definierten hinaus.
Im Ministerium, das von der Grünen-Politikerin Irene Alt geleitet wird, kann man die Kritik an dem Gesetz nachvollziehen. „Wir gehören zu einer Minderheit von Landesregierungen, die sagen: Wir müssen das Gesetz abschaffen“, sagt Staatssekretärin Gottstein. „Das hat vorrangig humanitäre Gründe, weil wir es für schwierig halten, eine wie auch immer definierte Personengruppe gesondert zu behandeln, wenn es um die existenzielle Grundversorgung geht, egal, ob es sich um Sozialleistungen handelt oder um medizinische Leistungen.“
Im Sommer 2012 hatte das Bundesverfassungsgericht das Asylbewerberleistungsgesetz als verfassungswidrig eingestuft, sich dabei jedoch nur auf die Höhe der Regelsätze bezogen. Diese seien zu niedrig, intransparent berechnet und trotz gesetzlicher Vorgabe nie angehoben worden, urteilte das Gericht. Gottsteins Bewertung lautet: Dem Asylbewerberleistungsgesetz, wie es 1993 formuliert wurde, lag der Abschreckungsgedanke zugrunde. Das habe Karlsruhe verworfen und eine gesetzliche Änderung gefordert. Die Länder hätten sich inzwischen in einer Übergangsregelung darauf verständigt, die Leistungssätze für die Asylsuchenden annähernd auf Sozialhilfeniveau anzuheben. Der Gesetzgeber sei allerdings noch nicht tätig geworden.
Eine Abschaffung des Sondergesetzes fordern immer wieder auch Menschenrechtsgruppen und die Kirchen. „Das Asylbewerberleistungsgesetz hat so hochschwellige Barrieren in der gesundheitlichen Versorgung gesetzt, dass Krankheitsverläufe eher verschleppt werden und dann umso schwerer behandelt werden können“, meint der Kölner Diözesan-Caritasdirektor, Dr. med. Frank J. Hensel. „Wenn Sie irgendwo eine Traumabehandlung für einen Asylbewerber durchkriegen, ist das eine absolute Ringeltaube.“ Um diese Missstände zu beseitigen, müsse das Gesetz abgeschafft werden, und jeder Flüchtling müsse vollen Zugang zum Gesundheitswesen erhalten. „Alles, was unterhalb des Existenzminimums liegt, ist inhuman, und die medizinische Versorgung von Flüchtlingen darf auch nicht auf dem Rücken von engagierten Ärzten und Pflegenden ausgetragen werden“, fordert Hensel (siehe auch „Medizin im Verborgenen“).
Unter dem Motto „Weit weg ist näher, als du denkst“ hat der Deutsche Caritasverband das Thema Flucht in den Mittelpunkt seiner diesjährigen Jahreskampagne gestellt. „Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass die westliche Welt eng verknüpft ist mit Ländern und Menschen, denen es weniger gut geht. Papst Franziskus nannte das Problem bei seiner Reise nach Lampedusa ,die globalisierte Gleichgültigkeit‘: Diese Gleichgültigkeit will die Kampagne aufbrechen“, sagt Hensel. Dafür benötige man eine „Willkommenskultur für Flüchtlinge in unserem Land“.
Dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist, verdeutlichen Kommentare wie dieser zur Caritas-Kampagne im Internet: „Leider sehen alle Gut- und Bessermenschen sowie die politisch-moralischen Selbstbefriediger nicht ein, dass wir in der kleinen BRD nicht das Leid der Welt beseitigen können“, schreibt „Frusti“.
Gisela Klinkhammer, Heike Korzilius
@Caritas-Direktor Frank J. Hensel äußert sich zur Flüchtlingskampagne unter www.aerzteblatt.de/14540
Asyl in Deutschland
Die Zahl der Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, steigt. Nach einem Tiefststand von etwa 28 000 Anträgen auf Asyl im Jahr 2008 wurden im vergangenen Jahr 127 000 Anträge erfasst. Die meisten Flüchtlinge stammten aus Russland, Syrien, Afghanistan, Iran, Irak, Pakistan, Somalia und den Balkanstaaten.
Die Flüchtlinge erhalten keine allgemeinen Leistungen der Sozialhilfe, sondern reduzierte Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Das Gesetz schränkt auch die medizinische Versorgung gegenüber dem Leistungsniveau der gesetzlichen Krankenversicherung ein: Behandelt werden nur akute Erkrankungen und Schmerzen. Im Jahr 2012 bezogen 165 000 Menschen Leistungen nach dem AsylbLG. 2012 hat das Bundesverfassungsgericht das Gesetz als verfassungswidrig eingestuft. Seither wurden zwar die Regelsätze angepasst, eine gesetzliche Neuregelung steht aber noch aus.
Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Diakonie Deutschland
3 Fragen an . . .
Aydan Özoguz, Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration
Wie kommt es, dass die Zahl der Asylsuchenden zuletzt drastisch gestiegen ist, von 48 000 im Jahr 2010 auf 127 000 im letzten Jahr?
Aydan Özoguz: Das hängt mit schweren Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen in den Herkunftsstaaten zusammen. Wer will bestreiten, dass die Menschen, die vor Krieg oder Verfolgung aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, aber auch jene, die aus Russland fliehen, gute Gründe hierfür haben. Im letzten Jahr wurde knapp 40 Prozent der Schutzsuchenden internationaler Schutz oder andere rechtliche Abschiebungsverbote zuerkannt. Aber es kommen immer auch Menschen, deren Gründe für die Gewährung von Flüchtlingsschutz nicht ausreichen, weil zum Beispiel allein wirtschaftliche Motive für das Verlassen des Herkunftslands ausschlaggebend sind.
Gesundheit gilt als Menschenrecht. Warum stehen in Deutschland Asylsuchenden lediglich eingeschränkte medizinische Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zur Verfügung?
Ösoguz: Auch ich sehe diese Regelungen kritisch. Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 das Asylbewerberleistungsgesetz als mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für unvereinbar erklärt. Deshalb müssen wir zügig zu verfassungskonformen Regelungen kommen. Ich bin zuversichtlich, dass das zuständige Bundesarbeitsministerium hier eine gute Lösung finden wird. Bis dahin muss sichergestellt werden, dass Leistungen bei akuten Krankheiten und Schmerzen gewährt werden. Dasselbe gilt nach geltendem Recht für unerlässliche Leistungen bei chronischen Krankheiten.
Wie wirken sich die Leistungseinschränkungen auf die Gesundheit der Flüchtlinge aus?
Ösoguz: Studien dazu gibt es nicht. Gesetzliche Leistungseinschränkungen für bestimmte Personengruppen sind immer problematisch und bedürfen einer Rechtfertigung. Leider gibt es immer wieder Fälle, in denen sehr lange gerungen werden muss, bis die erforderlichen Versorgungsleistungen gewährt werden. Andererseits sind die Fälle für die Behördenmitarbeiter, die nach geltender Rechtslage handeln müssen, oft schwierig zu bewerten. Um beantworten zu können, inwiefern ein schlechter Gesundheitszustand eines Leistungsberechtigten auf unser System zurückgeführt werden kann, müssten Vorerkrankungen und die Gesundheitsversorgung im Herkunftsland mit in den Blick genommen werden.
Röhlig, Ulrike
Horn, Jürgen
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