ArchivDeutsches Ärzteblatt13/2014Menschen ohne Papiere: Medizin im Verborgenen

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Menschen ohne Papiere: Medizin im Verborgenen

Korzilius, Heike

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Flüchtlinge, die sich illegal in Deutschland aufhalten, sind vom Zugang zur Gesundheitsversorgung so gut wie ausgeschlossen. Werden sie krank, sind sie meist auf ehrenamtliche Helfer angewiesen.

Wohin im Krankheitsfall? Auch Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis haben ein Recht auf medizinische Versorgung. Organisationen wie das Medibüro in Berlin setzen sich dafür politisch ein. Foto: dpa
Wohin im Krankheitsfall? Auch Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis haben ein Recht auf medizinische Versorgung. Organisationen wie das Medibüro in Berlin setzen sich dafür politisch ein. Foto: dpa

Unauffällig, möglichst unsichtbar: 200 000 bis 500 000 Menschen leben Schätzungen zufolge ohne gültige Aufenthaltserlaubnis in Deutschland. Solange diese Männer, Frauen und Kinder gesund sind, mag das Leben im Verborgenen mehr schlecht als recht gelingen. Doch was passiert, wenn jemand erkrankt?

„Im Prinzip sind wir mit allem konfrontiert, was man allgemeinmedizinisch so machen kann: akute Infekte, aber auch Diabetes, unklare Erkrankungen, Erkrankungen des Bewegungsapparats“, sagt Christiane Stöter (42). Die Hausärztin betreibt zusammen mit zwei Kollegen eine Praxis in Berlin-Kreuzberg und engagiert sich seit ihrem Studium für die medizinische Versorgung von Menschen ohne Papiere. Das große Problem seien chronische Erkrankungen, die häufig weit fortgeschritten seien, meint Stöter. „Denn die Menschen schieben eine Behandlung meistens lange hinaus, weil sie sich nicht trauen, irgendwohin zu gehen oder auch nicht wissen, wo sie hingehen können.“ Die Hausärztin ist Teil eines Netzwerks des Büros der Medizinischen Flüchtlingshilfe Berlin, an dem sich neben Ärzten auch andere medizinische Fachberufe wie Hebammen, Psychologen oder Krankengymnasten beteiligen. Das Medibüro existiert seit 1996 und vermittelt Flüchtlingen ohne Aufenthaltsstatus und ohne Krankenversicherung anonyme und kostenfreie medizinische Behandlung. Das System funktioniert, weil Menschen wie Stöter auf ein Honorar verzichten. Müssen neben der Behandlung Medikamente, labortechnische Untersuchungen oder bildgebende Verfahren bezahlt werden, versucht das Medibüro, die Kosten über Spenden zu decken.

Theoretisch wäre es zwar für illegal in Deutschland lebende Menschen möglich, die Kosten für eine medizinische Behandlung bei akuten Erkrankungen oder Schmerzen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz über das Sozialamt abzurechnen. Praktisch droht ihnen dann jedoch unter Umständen die Abschiebung. Denn sobald die Krankenhausverwaltung oder der Arzt einen Antrag auf Kostenerstattung beim Sozialamt stellen, kann dieses die Daten mit der Ausländerbehörde abgleichen. Darauf weist die Bundesärztekammer in einer Aufklärungsbroschüre hin. Denn nicht in allen Fällen sei gesichert, dass die Sozialämter gegenüber den Ausländerbehörden auf die Geheimhaltung der von Ärzten und Krankenhäusern erhaltenen Daten verpflichtet seien, heißt es vonseiten der Bundesärztekammer. Zwar gewährleiste eine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung die Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht bis in öffentliche Stellen hinein, einen sogenannten verlängerten Geheimnisschutz. Das Asylbewerberleistungsgesetz ermögliche jedoch den Datenabgleich zwischen Sozialamt und Ausländerbehörde.

Als „mühsame Konstruktion, die die wenigsten durchschauen“ bezeichnet deshalb Dr. med. Ulrich Clever den verlängerten Geheimnisschutz. Das grundsätzliche Problem, wie Menschen ohne Papiere angemessen medizinisch versorgt werden können, werde damit nicht gelöst. Ein besseres Zusammenspiel der zuständigen Ministerien auf Bundesebene wäre unbedingt notwendig, sagt der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesärztekammer. „Was ich als Forderung an die Politik habe, ist, dass man für die Menschen, die kommen, Lösungen findet und nicht die Kommunen und die Ärzte, die sich engagieren, mit dem Problem alleinlässt.“

Ähnlich argumentiert auch Hausärztin Stöter, wenn man sie fragt, wie es ihr mit ihrem Engagement für die Flüchtlinge geht. „Das ist für mich ganz häufig sehr unbefriedigend“, sagt Stöter. „Ich mache das, weil ich die Notwendigkeit sehe, weil ich das wichtig finde, und weil ich sehe, dass viele Menschen nicht oder nicht ausreichend versorgt werden.“ Sie könne aber unter den gegebenen Umständen weder die Diagnostik noch die Therapie machen, die sie für notwendig halte. Das werde den Menschen ohne Papiere nicht gerecht. „Deshalb muss es eine politische Lösung dafür geben. Das ist mir das wichtigste. Dass Menschen ohne Papiere die Möglichkeit erhalten, eine Krankenversorgung zu bekommen.“

Heike Korzilius

@Die Bundesärztekammer und deren Zentrale Ethikkommission haben Informationen für die Behandlung von Menschen ohne Papiere zusammengestellt: www.aerzteblatt.de/14544

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