MEDIZIN: Originalarbeit
Hüft- und Kniegelenkersatz in Deutschland und den USA
Auswertung deutscher und US-amerikanischer Krankenhauseinzelfalldaten von 2005 bis 2011
Hip and knee replacement in Germany and the USA—analysis of individual inpatient data from German and US hospitals for the years 2005 to 2011
; ;
Hintergrund: In vielen Industrienationen steigt die Zahl der Hüft- und Knie-Endoprothesenimplantationen. Um die Versorgungssituation in Deutschland zu evaluieren, wurden Eingriffshäufigkeiten in Deutschland im Vergleich zu den USA unter Anwendung vergleichbarer Falldefinitionen und Berücksichtigung demografischer Unterschiede analysiert.
Methode: Anhand deutscher (DRG-Statistik) und US-amerikanischer (Nationwide Inpatient Sample) Krankenhauseinzelfalldaten wurden alters- und geschlechtskorrigierte Häufigkeitsunterschiede und Determinanten der Fallzahlentwicklungen im Zeitraum von 2005 bis 2011 untersucht.
Ergebnisse: Hüft-Endoprothesenimplantationen wurden im Jahr 2011 in Deutschland mit 284 Fällen pro 100 000 Einwohner 1,4-mal häufiger durchgeführt als in den USA (standardisiert auf Deutschland 204 Fälle pro 100 000). Knie-Endoprothesen wurden dagegen in den USA 1,5-mal häufiger eingesetzt (standardisiert 304) als in Deutschland mit 206 Fällen. Im Betrachtungszeitraum wurden in beiden Ländern steigende Eingriffszahlen beobachtet. Bezogen auf elektive Hüftprothesen-Erstimplantationen stieg in Deutschland die Fallzahl insgesamt um 11 % von 140 000 auf 155 300 (von 170 auf 190 Fälle pro 100 000). Der nicht demografisch bedingte Anstieg betrug 3 %. In den USA stieg die Zahl um 28 % von 79 auf 96 pro 100 000, wobei der nicht demografisch bedingte Anstieg bei 13 % lag.
Schlussfolgerungen: In der Eingriffshäufigkeit bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den untersuchten Ländern. Die Fallzahlentwicklung bei Hüft-Endoprothesen-Erstimplantationen war in Deutschland auf hohem Niveau überwiegend demografisch bedingt, während in den USA stärkere nicht demografisch bedingte Anstiege beobachtet wurden. Bezogen auf Knie-Endoprothesen-Erstimplantationen zeigten nicht demografische Faktoren in beiden Ländern ähnliche Einflussstärken.


Die Mengenentwicklung bei Hüft- und Knie-Endoprothesen sowie die Eingriffshäufigkeit im internationalen Vergleich wird in Deutschland kritisch diskutiert. Dabei herrscht der Eindruck vor, dass die Eingriffshäufigkeit in Deutschland im internationalen Spitzenfeld liege (1–3). Die dazu publizierten Daten beziehen sich überwiegend auf die gleiche Primärquelle, nämlich auf Vergleiche der OECD (4).
Für das Jahr 2011 berichtet die OECD für Deutschland 286 Hüft-Endoprothesenimplantationen pro 100 000 Einwohner. Demnach liegt Deutschland bei der Häufigkeit des Hüftgelenkersatzes im Vergleich der OECD-Länder nach der Schweiz auf dem zweiten Platz. Bei Knie-Endoprothesenimplantationen nimmt Deutschland mit 207 Eingriffen pro 100 000 Einwohner (gemäß OECD-Zählung) nach den USA und Österreich den dritten Platz im Häufigkeitsranking ein (5). Auch die OECD-Reporte der vorangegangenen Jahre berichten für Deutschland hohe Eingriffshäufigkeiten (4, 6, 7). Die Interpretierbarkeit solcher Vergleiche ist allerdings eingeschränkt, weil unterschiedliche Bevölkerungsstrukturen unberücksichtigt bleiben und die Berechnung der Eingriffszahlen in den verschiedenen Ländern nicht einheitlich erfolgt.
Im Unterschied zu den OECD-Berichten basiert diese Arbeit nicht auf vorgefertigten Statistiken, sondern untersucht die Versorgung mit Hüft- und Kniegelenkersatz in Deutschland im exemplarischen Vergleich mit den USA anhand von Krankenhauseinzelfalldaten. Für diese beiden Länder sind formal und qualitativ vergleichbare Falldaten verfügbar und zugänglich, so dass die medizinischen Entitäten exakt definiert und fallbezogen ausgewertet werden konnten. Analysiert wurden demografisch korrigierte Häufigkeitsunterschiede sowie Determinanten der Fallzahlentwicklungen im Betrachtungszeitraum.
Methode
Daten
Für Deutschland wurde die fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik (DRG-Statistik) ausgewertet, die die Behandlungsdaten aller nach dem DRG-System abgerechneten Krankenhausfälle enthält (8). Im Jahr 2011 umfasst die DRG-Statistik rund 17,7 Millionen Behandlungsfälle in 1 600 Krankenhäusern.
Für die USA wurde die Nationwide Inpatient Sample (NIS) untersucht. Diese enthält die Daten aller stationär behandelten Patienten in einer 20-prozentigen repräsentativen Stichprobe der US-amerikanischen Krankenhäuser (9). Damit liegen pro Betrachtungsjahr Informationen zu rund 8 Millionen Krankenhausfällen in 1 000 US-amerikanischen Krankenhäusern vor.
Falldefinition
Analyseeinheiten sind Krankenhausfälle, in denen der Patient mit einem Hüft- oder Kniegelenkersatz versorgt wurde.
In Deutschland werden Eingriffe über den Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS), Diagnosen über die ICD-10-GM (International Classification of Diseases, 10th Revision, German Modification) kodiert. In den USA wird die ICD-9-CM (International Classification of Diseases, 9th Revision, Clinical Modification) verwendet, die sowohl Diagnosen als auch Prozeduren abbildet.
Die Falldefinitionen sind angelehnt an die Einschlusskriterien für die Dokumentation von Hüft- und Knie-Endoprothesen in der gesetzlichen Qualitätssicherung (10), wurden jedoch aufgrund des unterschiedlichen Detaillierungsgrades der Klassifikationssysteme modifiziert (eTabelle 1). Diese Definitionen, die Gelenkersatzeingriffe in deutschen und US-amerikanischen Daten vergleichbar abbilden, wurden für alle Betrachtungsjahre einheitlich angewandt, so dass Vergleiche auch im zeitlichen Verlauf möglich sind. Die Definition der Hüft-Endoprothesen umfasst sowohl den totalen als auch den partiellen Gelenkersatz, wobei zwischen elektiven und frakturbedingten Erstimplantationen, Prothesenwechseln und Implantationen aufgrund anderer Indikation unterschieden wird. Die Definition der Knie-Endoprothesen beinhaltet den totalen oder partiellen Gelenkersatz (ohne isolierten Patellaersatz) und differenziert zwischen Erstimplantationen und Prothesenwechseln. Einbezogen wurden jeweils Patienten mit einem Alter ab 20 Jahren.
Analyse
Für beide Länder wurden jährliche Eingriffshäufigkeiten ermittelt. Da es sich bei den US-Daten um eine Stichprobe handelt, wurden die nationalen Häufigkeiten anhand der im NIS-Datensatz vorgegebenen stratifizierten Gewichtungsfaktoren hochgerechnet (9). Neben absoluten Häufigkeiten werden rohe Raten pro 100 000 Einwohner ausgewiesen. Dafür wurden die Fallzahlen mit der jeweiligen Jahresgesamtbevölkerung (11–13) ins Verhältnis gesetzt. Zum Vergleich zwischen den Ländern wurden für die USA zusätzlich jährliche alters- und geschlechtsstandardisierte Eingriffsraten – bezogen auf die deutsche Bevölkerungsstruktur – berechnet (direkte Standardisierung nach Geschlecht und 5-Jahres-Altersgruppen für das jeweilige Betrachtungsjahr).
Die Analyse der zeitlichen Entwicklung erfolgte anhand der multiplikativen Indexzerlegung nach dem Laspeyres-Ansatz (eKasten 1). Dabei werden demografisch und nicht demografisch bedingte Komponenten der Fallzahlentwicklung von 2005 im Vergleich zu 2011 zerlegt (14, 15).
Die so ermittelten demografisch bedingten Veränderungen können einer veränderten Bevölkerungsstruktur, zum Beispiel aufgrund von Alterung oder Bevölkerungswachstum, zugeschrieben werden. Die nicht demografisch bedingten Veränderungen sind (im Sinne einer alters- und geschlechtsstandardisierten Betrachtung) das Resultat aller anderen Faktoren, die die Eingriffshäufigkeit beeinflussen.
Ergebnisse
Bevölkerungsmerkmale und rohe Eingriffshäufigkeiten
Die Bevölkerungen in Deutschland und den USA entwickelten sich im Betrachtungszeitraum unterschiedlich. Während die Einwohnerzahl in den USA um 5 % anstieg, nahm die deutsche Bevölkerung um 1 % ab. Der Anteil der über 65-Jährigen nahm in beiden Ländern zu. Er betrug im Jahr 2011 in Deutschland 21 %, in den USA 13 %.
Die Häufigkeit von Hüft-Endoprothesenimplantationen nahm in beiden Ländern zu (Tabelle 1). Die rohe Rate pro 100 000 Einwohner stieg in Deutschland von 254 auf 284, in den USA von 129 auf 149. Bei Betrachtung der Indikation zeigt sich, dass in Deutschland etwa zwei Drittel der Eingriffe auf elektive Erstimplantationen entfielen. 21 % der Eingriffe waren frakturbedingt, und bei etwa 10 % handelte es sich um Prothesenwechseleingriffe. Die Verteilung in den USA war ähnlich.
Auch Knie-Endoprothesenimplantationen wurden im Zeitverlauf zunehmend durchgeführt. Für Deutschland wurde ein Anstieg von 164 auf 206 Eingriffe pro 100 000 Einwohner beobachtet, für die USA von 181 auf 225. In Deutschland stieg der Anteil der Prothesenwechsel von 7,2 % im Jahr 2005 auf 9,5 % im Jahr 2011, in den USA von 7,4 % auf 8,4 %.
Der Anteil der über 65-jährigen Patienten war sowohl beim Hüftgelenk- als auch beim Kniegelenkersatz in Deutschland höher als in den USA (Tabelle 1).
Alters- und geschlechtsstandardisierter Vergleich
Die in Deutschland im Vergleich zu den USA höheren Raten für Hüft-Endoprothesenimplantationen können nur teilweise durch die Bevölkerungsstruktur erklärt werden. Während die rohe (das heißt nicht hinsichtlich der Bevölkerungsstruktur korrigierte) Rate im Jahr 2011 in den USA bei 149 pro 100 000 Einwohner lag, betrug die auf die deutsche Bevölkerungsstruktur standardisierte Rate 204. Mit 284 Eingriffen pro 100 000 Einwohner wurde der Hüftgelenkersatz in Deutschland jedoch auch nach Korrektur der Bevölkerungsunterschiede noch etwa 1,4-mal häufiger durchgeführt.
Dieser Unterschied, der in allen Betrachtungsjahren beobachtet werden konnte, betrifft neben der zahlenmäßig bedeutsamsten Indikation der elektiven Erstimplantationen auch frakturbedingte Erstimplantationen und Prothesenwechseleingriffe (Grafik 1a, eTabelle 2). Grafik 2a zeigt die altersspezifischen Raten für die Erstimplantationen. Der Unterschied war in den Altersgruppen der 70- bis 79-Jährigen mit nahezu doppelt so hohen Raten besonders ausgeprägt.
Bei Knie-Endoprothesen waren die rohen Raten in den USA höher als in Deutschland. Nach Alters- und Geschlechtsstandardisierung der US-Zahlen auf die deutsche Bevölkerung vergrößerte sich dieser Unterschied weiter: Im Jahr 2011 betrug die standardisierte Rate der USA 304 Eingriffe pro 100 000 Einwohner gegenüber 206 in Deutschland. Der Kniegelenkersatz wurde in den USA also nach Korrektur demografischer Unterschiede 1,5-mal häufiger durchgeführt als in Deutschland. Dieser Unterschied wurde in allen Untersuchungsjahren beobachtet (Grafik 1b, eTabelle 3). Grafik 2 b zeigt, dass bezogen auf Erstimplantationen die Eingriffshäufigkeit in nahezu allen Altersgruppen in den USA höher war als in Deutschland.
Fallzahlentwicklungen
Die Anzahl der Hüft-Endoprothesen nahm von 2005 bis 2011 in beiden Ländern zu. Bei elektiven Erstimplantationen war der relative Anstieg in Deutschland von insgesamt 11 % (+15 300 Fälle) überwiegend demografisch, dass heißt durch die Alterung der Bevölkerung bedingt.
Nach demografischer Korrektur verblieb ein Anstieg von 3 %, der durch andere Faktoren verursacht wurde. In den USA war der Gesamtanstieg mit 28 % deutlich höher als in Deutschland. Demografische Determinanten erklärten hier etwa die Hälfte dieser Zunahme.
Bei frakturbedingten Hüft-Endoprothesen ergibt sich rechnerisch für Deutschland eine demografisch bedingte Zunahme um 15 %. Alle anderen Einflussfaktoren bedingten jedoch einen Rückgang um 8 %. In der Summe beider Komponenten lag der tatsächliche Anstieg bei 6 % (+2 700 Fälle). In den USA wurde ebenfalls ein nicht demografisch bedingter Rückgang der Eingriffshäufigkeit beobachtet, der die demografisch bedingte Zunahme nahezu ausglich.
Die stärksten Zuwächse beim Hüftgelenkersatz entfielen auf den Prothesenwechsel. In Deutschland nahm die Anzahl dieser Eingriffe insgesamt um 22 % zu (+4 300 Fälle). Der Einfluss demografischer und nicht demografischer Determinanten war etwa gleich verteilt. In den USA stiegen diese Eingriffszahlen insgesamt um 32 %, wobei nach demografischer Korrektur ein Anstieg von 18 % verblieb (Tabelle 2).
Die Anzahl der Knie-Endoprothesen-Erstimplantationen stieg in Deutschland insgesamt um 22 % (+27 000 Fälle), in den USA um 30 %. In beiden Ländern waren diese Anstiege sowohl durch demografische, als auch durch nicht demografische Faktoren zu erklären, wobei der nicht demografisch bedingte Anteil in Deutschland etwas überwog.
Bei den Knie-Prothesenwechseln betrug der relative Anstieg von 2005 bis 2011 in Deutschland 64 % (+ 6 200 Fälle), in den USA 50 %. Diese starken Zunahmen waren in beiden Ländern größtenteils durch nicht demografische Einflussfaktoren bedingt (Tabelle 3).
Diskussion
International vergleichende Analysen helfen, das Versorgungsgeschehen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Gesundheitssysteme einzuordnen und zu bewerten. Aufgrund der Verfügbarkeit von geeigneten Einzelfalldaten, die einen methodisch exakten Vergleich erlauben, wurde für diese Arbeit exemplarisch die USA als Vergleichsland gewählt.
Die Ergebnisse der Untersuchung, die auf einer eigenständigen Analyse von Einzelfalldaten und nicht auf einer Auswertung vorgefertigter, aggregierter Statistiken basiert, zeigen dass der Hüftgelenkersatz in Deutschland auch nach Korrektur der unterschiedlichen Bevölkerungsstruktur häufiger durchgeführt wurde als in den USA. Bei Knie-Endoprothesen lag die Häufigkeit in Deutschland jedoch deutlich unter der in den USA.
In beiden Ländern stiegen die Eingriffszahlen im Betrachtungszeitraum an. Beim Hüftgelenkersatz waren die Zunahmen in Deutschland insgesamt etwas geringer als in den USA. Bezogen auf elektive Erstimplantationen kann der Anstieg in Deutschland überwiegend durch demografische Faktoren erklärt werden.
Bei frakturbedingten Erstimplantationen, die höhere Altersgruppen betreffen, ergibt sich nach Korrektur demografischer Faktoren sogar ein Rückgang, der möglicherweise mit veränderten Behandlungsstrategien zusammenhängt. Die Zunahme der Prothesenwechseleingriffe dürfte als nachlaufende Entwicklung aufgrund früherer Anstiege der Erstimplantationsrate zu interpretieren sein. In den USA wurden bei niedrigerem Ausgangsniveau bei elektiven Erstimplantationen und Prothesenwechseln deutlich höhere nicht demografisch bedingte Anstiege beobachtet als in Deutschland.
Bei Knie-Endoprothesen stiegen die Eingriffszahlen in Deutschland im Betrachtungszeitraum ebenfalls an, wobei sich in den Jahren 2010 und 2011 jedoch eine leicht rückläufige Tendenz zeigte. Hier spielen nicht demografische Faktoren im Vergleich zum Hüftgelenkersatz eine größere Rolle bei der Mengenentwicklung. Prothesenwechseleingriffe wurden in Deutschland unabhängig von Alterungseffekten im Jahr 2011 etwa 1,6-mal häufiger durchgeführt als im Jahr 2005, was als nachlaufender Effekt früherer Anstiege der Erstimplantationen interpretiert werden kann.
In den USA waren insbesondere in den Jahren 2006 bis 2008 starke Anstiege bei den Knie-Totalendoprothesen zu verzeichnen, wobei diese sowohl durch demografische als auch nicht demografische Faktoren determiniert waren.
Im Vergleich zu anderen fallbezogen ermittelten Häufigkeitsangaben erscheinen die Ergebnisse plausibel. Die auf Grundlage der DRG-Statistik berechneten Fallzahlen für Deutschland waren unter Berücksichtigung der abweichenden Definitionen vergleichbar zu denen der gesetzlichen Qualitätssicherung (16).
Auch mit Hochrechnungen auf der Grundlage von Krankenkassendaten (17, 18) zeigt sich eine gute Übereinstimmung, wenn man vergleichbar definierte Entitäten gegenüberstellt. Arbeiten aus den USA kommen ebenfalls zu ähnlichen Schätzungen der dortigen nationalen Häufigkeiten (19–21).
Verlässliche Erkenntnisse aus internationalen Vergleichen lassen sich nur gewinnen, wenn gewisse methodische Anforderungen erfüllt werden: Neben der Berücksichtigung von Unterschieden in der Bevölkerungsstruktur der betrachteten Länder müssen medizinische Entitäten unter Beachtung von Besonderheiten der jeweiligen Klassifikationssysteme sachgerecht operationalisiert werden. Entsprechende Analysen können nur auf der Basis repräsentativer, vergleichbarer Einzelfalldaten durchgeführt werden. Eine nicht fallbezogene Zählung von Prozedurenschlüsseln kann Ergebnisse durch Mehrfachzählung erheblich verfälschen.
Aufgrund der Verfügbarkeit geeigneter Daten wurden für die vorliegende aufwendige, fallbezogene Analyse die USA als exemplarisches Vergleichsland gewählt. Vergleiche auf der Grundlage von Einzelfalldaten weiterer Industrienationen konnten im Rahmen dieser Studie nicht vorgenommen werden. Für weitere Länder wurden aber ergänzend publizierte Raten zusammengestellt und in den eTabellen 4 und 5 hinsichtlich der Vergleichbarkeit bewertet. In der rohen Betrachtung erscheint die Häufigkeit des Hüftgelenkersatzes in Deutschland im Vergleich zu Schweden, Norwegen, den Niederlanden, England und Australien höher, im Vergleich zur Schweiz jedoch geringer. Bezogen auf den Kniegelenkersatz findet man sich im Vergleich zu Deutschland ähnliche Raten in der Schweiz.
Aus England, den Niederlanden, Dänemark und Norwegen werden dagegen geringere, aus Australien höhere Raten berichtet. Nahezu alle Quellen weisen auf steigende Eingriffszahlen im Zeitverlauf hin. Auch Günther et al. (22) haben Raten aus verschiedenen Ländern zusammengestellt und kommen zu dem Schluss, dass Deutschland im internationalen Vergleich sowohl beim Hüft- als auch beim Kniegelenkersatz im oberen Drittel der Industrienationen liege. Beachtet werden muss jedoch, dass die Interpretierbarkeit roher Zahlen durch Unterschiede in den Bevölkerungsstrukturen stark eingeschränkt ist. Deutschland hat von allen betrachteten Ländern den höchsten Anteil an Personen, die 65 Jahre und älter sind (eTabellen 4 und 5).
Über die Ursachen der – unabhängig von der Bevölkerungsstruktur – unterschiedlichen Häufigkeiten von Hüft- und Knie-Endoprothesen in Deutschland und den USA, die in der vorliegenden Arbeit beobachtet wurden, kann nur spekuliert werden. Denkbar ist, dass Unterschiede in den Gesundheitssystemen den Zugang zu Gelenkersatzeingriffen beeinflussen. Aufgrund höherer Anteile von Nichtversicherten sowie deutlich höherer Zuzahlungen für stationäre Behandlungen in den USA würde man dort – wie bei den Hüft-Endoprothesen beobachtet – niedrigere Zahlen erwarten. Für den Kniegelenkersatz trifft dies allerdings nicht zu. Hier könnten Unterschiede in der Epidemiologie von Risikofaktoren eine Rolle spielen. So ist zum Beispiel der Anteil Übergewichtiger, bei denen das Risiko für einen Kniegelenkersatz erhöht ist, in den USA höher als in Deutschland (23).
Die Mengenentwicklung in beiden Ländern wurde nicht allein durch demografische Faktoren getrieben. Die nicht demografisch bedingten Veränderungen bei elektiven Erstimplantationen könnten durch epidemiologische Faktoren bedingt sein. So findet man sich sowohl für Deutschland als auch für die USA Hinweise auf eine zunehmende Arthroseprävalenz (24–26). Zu vermuten ist jedoch auch eine Ausweitung der Indikationsstellung aufgrund des medizinisch-technischen Fortschritts. Insbesondere ist hier an geringere Operationsrisiken zu denken (zum Beispiel durch schonendere Operations- und Anästhesietechniken), die es ermöglichen, auch Patienten mit mäßig erhöhten Risiken entsprechend zu versorgen. Auch ein verändertes Nachfrageverhalten seitens der Patienten, unter anderem aufgrund einer geringeren Risikoeinschätzung für solche Eingriffe, ist möglich. Ein häufig diskutiertes verändertes Angebotsverhalten der Leistungserbringer, beispielsweise in Folge der DRG-Einführung, kann einen weiteren Teil der nicht demografischen Veränderungen ausmachen, jedoch allenfalls einen Teil des Gesamtanstiegs erklären.
Limitationen
Aufgrund der Verfügbarkeit von geeigneten Daten beschränkt sich diese Arbeit auf den Vergleich der deutschen Eingriffshäufigkeiten mit denen der USA.
Zur besseren Einordnung der Ergebnisse müssten – soweit Einzelfalldaten zugänglich sind – weitere Vergleiche mit anderen Industrienationen vorgenommen werden.
Die nicht demografisch bedingten Ursachen von unterschiedlichen Eingriffshäufigkeiten in den untersuchten Ländern können anhand des gewählten Studiendesigns nicht näher analysiert werden. Außerdem sei an dieser Stelle auf die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem US-amerikanischen Gesundheitssystem hingewiesen, die bei der Interpretation der Ergebnisse bedacht werden müssen.
Resümee
In der Querschnittsbetrachtung sind die Unterschiede in der Eingriffshäufigkeit sowohl beim Hüft- als auch beim Kniegelenkersatz erheblich. Während in Deutschland mehr Personen mit einem Hüftgelenkersatz versorgt wurden, war die Häufigkeit der Kniegelenkersatzeingriffe in den USA deutlich höher.
In beiden Ländern nahmen die Eingriffszahlen, ausgehend von unterschiedlichen Ausgangsniveaus, im Betrachtungszeitraum zu. Die Fallzahlentwicklung bei Hüft-Endoprothesen-Erstimplantationen war in Deutschland überwiegend demografisch bedingt, während in den USA stärkere nicht demografisch bedingte Anstiege beobachtet wurden. Bezogen auf Knie-Endoprothesen-Erstimplantationen zeigten nicht demografische Faktoren in beiden Ländern ähnliche Einflussstärken.
Ob in Deutschland oder den USA zu viele oder zu wenige Endoprothesen eingesetzt werden, kann diese Analyse nicht klären. Inwieweit Über-, Unter- oder Fehlversorgungen vorliegen, muss mit Langzeitstudien untersucht werden, die den medizinischen Nutzen an Zielgrößen wie funktionalem Ergebnis oder Lebensqualität messen. Generelle Aussagen, dass in Deutschland zu viele Endoprothesen eingesetzt würden, sind im Kontext der Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung mit Vorsicht zu bewerten. In der Diskussion um die Mengenentwicklung muss der Einfluss demografischer Faktoren stärker berücksichtigt werden.
Interessenkonflikt
Das Fachgebiet Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen ist eine Stiftungsprofessur der Helios-Kliniken GmbH.
Manuskriptdaten
eingereicht: 11. 12. 2013, revidierte Fassung angenommen: 7. 4. 2014
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Thomas Mansky
Fachgebiet Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement
im Gesundheitswesen
Technische Universität Berlin
Steinplatz 2
10623 Berlin
thomas.mansky@tu-berlin.de
Zitierweise
Wengler A, Nimptsch U, Mansky T: Hip and knee replacement in Germany and the USA—analysis of individual inpatient data from German and US hospitals for the years 2005 to 2011. Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 407–16. DOI: 10.3238/arztebl.2014.0407
@Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
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eTabellen und eKästen:
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www.aerzteblatt-international.de
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