ArchivDeutsches Ärzteblatt23-24/2014Finanz- und Wirtschaftskrise: Ein Zeichen der Solidarität

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Finanz- und Wirtschaftskrise: Ein Zeichen der Solidarität

Korzilius, Heike

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Gesundheit darf kein Luxusgut werden, lautete Frank Ulrich Montgomerys Appell an die Politik.
Gesundheit darf kein Luxusgut werden, lautete Frank Ulrich Montgomerys Appell an die Politik.

Patienten in den Krisenstaaten der Europäischen Union leiden unter den drastischen Kürzungen im Gesundheitswesen. Der Ärztetag fordert eine Sparpolitik mit Augenmaß.

Patientinnen und Patienten in den am stärksten von der Wirtschafts- und Finanzkrise betroffenen Staaten der Europäischen Union haben ein Anrecht auf eine ausreichende medizinische Versorgung. Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen, wie sie die Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank zur Konsolidierung der Staatsfinanzen vorgibt, dürfen dieses Recht nicht gefährden. Das hat der 117. Deutsche Ärztetag in Düsseldorf gefordert. Wirtschaftskrisen seien mit einer massiven Verschlechterung der gesundheitlichen Lage der Bevölkerung verbunden, heißt es in einem Beschluss. Deshalb müssten die Ausgaben für das Gesundheitswesen in diesen Zeiten gesteigert statt gekürzt werden. Gerade in Krisenzeiten mit hoher Arbeitslosigkeit, geringem Einkommen, mangelnder Versicherung und massenhafter Obdachlosigkeit stiegen die Anforderungen an ein funktionsfähiges Gesundheitswesen.

Mehr HIV-Infektionen

Zuvor hatte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, auf die teilweise dramatischen Entwicklungen in den betroffenen Staaten hingewiesen. Die Beschäftigung damit auf dem Deutschen Ärztetag setze ein Zeichen der Solidarität. Die Krisenbewältigung in Ländern wie Griechenland, Portugal, Spanien und Irland dürfe nicht auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden. „Die politischen Entscheidungsträger aufseiten der Geldgeber wie auch in den nationalen Regierungen und Parlamenten der Krisenstaaten fordern wir daher auf, die Bewältigung der Krise mit Augenmaß anzugehen“, sagte Montgomery. Im Zentrum der von den internationalen Geldgebern geforderten Gesundheitsreformen stehen unter anderem Kürzungen bei den Arzneimittelausgaben, Fusionen und Schließungen von Krankenhäusern, der Abbau von Krankenhausbetten, Einsparungen bei den Kosten für das medizinische Personal und höhere Selbstbeteiligungen der Patienten an den Gesundheitskosten.

Inzwischen belegten Studien die gesundheitlichen Folgen des drastischen Sparkurses, erklärte Mont-gomery und zitierte aus der Fachzeitschrift „Lancet“ vom 22. Februar. In Griechenland gebe es einen deutlichen Anstieg der HIV-Neuinfektionen durch die fehlende Betreuung von Drogensüchtigen, es gebe erheblich mehr Totgeburten bei nachlassender Schwangerschaftsversorgung, die Zahl untergewichtiger Kinder steige ebenso wie die Zahl der Suizide.

Dazu komme, dass in Griechenland die Krankenversicherung an die Beschäftigung gebunden sei. Nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit erlösche der Versicherungsschutz. Da in der Krise die Arbeitslosigkeit von 7,5 Prozent auf knapp 30 Prozent gestiegen sei, seien viele Griechen heute ohne jeden Krankenversicherungsschutz. Gleichzeitig habe der Staat die Ausgaben für die Gesundheit drastisch reduziert, um zweistellige Prozentsätze jährlich. „So etwas kann nicht ohne Folgen bleiben“, sagte Montgomery. Gerade bei den Schwächsten, bei Kindern, Alten, aber auch bei Kranken müsse bei allen berechtigten Sparbemühungen ein besonderes Augenmaß gelten. „Es ist ein Zeichen kurzfristigen Denkens, wenn aufgrund von Sparmaßnahmen keine Praxis oder Klinik in erreichbarer Nähe ist und medizinisch indizierte Therapien durch den Patienten entweder gar nicht erst begonnen oder abgebrochen werden müssen.“

Ambulanzen für Mittellose

Der Ärztepräsident hob aber auch den Beitrag der Ärztinnen und Ärzte in den betroffenen Staaten an der Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung hervor. „In erster Linie meine ich damit unzählige Überstunden, in Griechenland die Einrichtung von Straßenambulanzen für die medizinische Versorgung Mittelloser.“ Die Ärzte setzten gemeinsam mit anderen Heilberufen ein Zeichen der gesellschaftlichen Solidarität.

Mehr Solidarität forderte Prof. Dr. med. habil. Wulf Dietrich, Bayern, mit den Asylsuchenden in Griechenland: „Diese Bevölkerungsgruppe ist ganz besonders schlecht dran.“ Griechenland habe bei acht Millionen Einwohnern eine Million Asylsuchende, die dort unter fürchterlichsten Umständen lebten. „Da ist ganz dringend Hilfe nötig“, sagte Dietrich. „Wir müssen darauf drängen, dass wir mehr Flüchtlinge bei uns aufnehmen.“ Die Griechen seien mit dem Problem überlastet.

Heike Korzilius

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