POLITIK
Forschung mit Routinedaten: Hürden bei Herzinsuffizienz


Eine Tagung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung belegt: Es ist kompliziert, aus Routinedaten Rückschlüsse auf die leitliniengerechte Versorgung von Patienten zu ziehen.
Herzinsuffizienz zählt zu den häufigsten Gründen für eine Einweisung von Patienten ins Krankenhaus. Ließe sich die Hospitalisierungsrate senken, wenn die Behandlung durch niedergelassene Haus- und Fachärzte leitlinienbezogener wäre? Oder orientieren sich viele von ihnen längst an entsprechenden Empfehlungen, bietet diese aber zu wenig Entscheidungshilfen für alte, multimorbide Herzinsuffizienz-Patienten? Und lassen sich solche Fragen nach der Versorgungsqualität mittlerweile schlüssig durch Forschung mit Hilfe von Routinedaten beantworten?
Darum ging es Anfang Juni bei der Tagung „Herzinsuffizienz – mit leitliniengerechter Versorgung nicht schlapp machen“! Veranstaltet wurde sie vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (ZI). Das ZI hat eine Analyse zur Herzinsuffizienz im Rahmen des Projekts „Versorgungsatlas“ abgeschlossen. Dafür wurden ambulante Abrechnungsdaten (Paragraf 295 Sozialgesetzbuch V) und Arzneimittelabrechnungsdaten (Paragraf 300) ausgewertet. „Viele Studien zum Gesundheitszustand der Bevölkerung belegen regionale Unterschiede“, erläuterte Dr. rer. nat. Burgi Riens, Mitautorin der Studie. Sie zeigten sich auch bei Herzinsuffizienz-Patienten.
So erhielten über 40-Jährige mit Linksherzinsuffizienz in den östlichen Bundesländern häufiger leitliniengerecht Medikamente verordnet als im Rest Deutschlands. Allerdings werden diese Ergebnisse für den Süden durch die Selektivverträge etwas verzerrt. In Bayern und Baden-Württemberg ist eine nennenswerte Zahl von Versicherten in Hausarztverträge eingeschrieben, häufig chronisch kranke Patienten: „Deren Diagnosen erfassen wir nicht“, so Riens. „Es könnte deshalb sein, dass wir dort eher ein gesünderes Klientel erfassen.“
Regionale Unterschiede fanden die ZI-Wissenschaftler auch im Hinblick auf die Echokardiografie: „Diese Diagnostik wird in Stadtstaaten häufiger eingesetzt als in anderen Regionen“, lautet einer von Riens‘ Schlüssen. „So wird in Hamburg bei fast 75 Prozent der Patienten mit der Verdachtsdiagnose Linksherzinsuffizienz die Echokardiografie angewendet, in Berlin bei circa 65 Prozent und in den übrigen Regionen nur bei 35 bis 50 Prozent der Patienten.“ Ein weiterer Rückschluss: Wurden die Betroffenen nicht allein vom Hausarzt behandelt, sondern zusätzlich von einem Kardiologen, wirkte sich dies positiv auf die Leitlinienorientierung aus: Sie lag dann 20 Prozent höher.
Auch geschlechtsspezifische Unterschiede lassen sich aus den Routinedaten herausfiltern. Insgesamt wurden Männer offenbar stärker leitlinienorientiert versorgt als Frauen, wenn man die Einnahme von ACE-Hemmern, AT1-Antagonisten und Betablockern analysiert. „Das bedeutet nicht, dass Frauen benachteiligt werden“, betonte Riens aber. „Vielmehr ist es so, dass Frauen Medikamente anders vertragen. Sie leiden oftmals mehr oder häufiger an Nebenwirkungen. Deshalb sind die Ärzte hier vorsichtiger beim Verschreiben.“
Mehrere Tagungsteilnehmer kritisierten die Limitationen der Studie und die Schlüsse. So seien regionale Versorgungsunterschiede möglicherweise darauf zurückzuführen, dass nicht überall ausreichend Kardiologen niedergelassen seien, hieß es. Auch habe man lediglich untersucht, welche Rezepte eingelöst wurden, nicht aber, welche Medikamente verordnet wurden.
Auf mögliche Diskrepanzen in diesem Bereich verwies auch Dr. med. Sabine Oertelt-Prigione vom Berliner Universitätsklinikum Charité in ihrem Vortrag über Gender und Herzinsuffizienz. Man wisse, dass betroffene Frauen stärker als Männer unter Nebenwirkungen einer medikamentösen Therapie litten. Dies erschwere eine leitliniengerechte Therapie. Hinzu komme, dass bei einem Medikament wie Metoprolol eine dauerhafte Gewichtszunahme die Folge sein könne, was zu Adhärenzproblemen bei herzinsuffizienten Frauen führe. „Man glaubt gar nicht, wie viele Tabletten in Nachttischen oder Sporttaschen liegen“, verdeutlichte Oertelt-Prigione das Problem.
Auf den Stellenwert und die Grenzen der Nationalen Versorgungsleitlinie Herzinsuffizienz ging Dr. med. Christiane Muth ein, die daran beteiligt war. Muth erinnerte daran, dass ein zentrales Thema die Koordination der Patientenversorgung gewesen sei. Sie hält die Forderung nach Zusammenarbeit des Hausarztes herzinsuffizienter Patienten mit diversen Disziplinen aber für zu einseitig. Bei einer Weiterentwicklung der Leitlinie sollte man ihrer Ansicht nach die Verpflichtung zur Zusammenarbeit auf den stationären Bereich ausdehnen – und Ko- und Multimorbiditäten noch mehr Beachtung schenken.
„Die Kommunikation zwischen Krankenhausarzt und niedergelassenem Arzt könnte viel besser sein“, bestätigte ein Teilnehmer. Er wünschte sich, dass Medikationsveränderungen in der Klinik begründet würden, damit der Hausarzt sie nachvollziehen könne. Umgekehrt wurde angemerkt, dass Klinikärzte ohne Hinweis auf Unverträglichkeit oder anderes nicht erkennen könnten, dass ein Hausarzt ein Medikament aus guten Gründen nicht verordne.
DMP: Fortschritte bei Arznei, Lücken bei Kooperation
Über Erkenntnisse aus Routinedaten zu Herzerkrankungen im Rahmen der Disease Management Programme (DMP) im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein berichtete Dr. rer. soc. Lutz Altenhofen, ZI. Sie seien „eine wichtige Matrix zur Verortung der hausärztlichen Versorgungsqualität und ihres Verbesserungspotenzials“. Altenhofen sieht Erfolge, zumindest was die Medikation betrifft: „Wenn Sie zeitbezogen schauen, haben Sie schon Anlass zu Optimismus, weil Sie die Leitlinienempfehlungen in den Verordnungen auch vorfinden.“ Er verwies aber darauf, dass es in Randbereichen der Region schwieriger sei, die Versorgungsziele zu erreichen – und dass „noch viel zu tun ist bei der Kooperation allein im ambulanten Sektor.“
Ein Teilnehmer wunderte sich, dass den Routinedaten zufolge nur ein Drittel der Herzinsuffizienzpatienten im DMP im Lauf eines Jahres wie empfohlen zum Kardiologen überwiesen wird. Das sei bedenklich.
Sabine Rieser