ArchivDeutsches Ärzteblatt37/2014Genitalbeschneidung: Engagement für Kinderrechte

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Genitalbeschneidung: Engagement für Kinderrechte

Bühmann, Wolfgang

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Manchmal genügt ein Funke – so hat ein eigentlich völlig unspektakuläres Urteil des Kölner Landgerichts vom Mai 2012 die Auseinandersetzung um die rituelle, medizinisch nicht begründete Genitalbeschneidung nicht einwilligungsfähiger Jungen hierzulande angefacht. Unspektakulär deshalb, weil bereits seit Anerkennung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 geklärt war, dass die so begründete Beschneidung rechtswidrig ist. Für Ärzte galt dies ohnehin schon immer, da ihnen ihr Gelöbnis wie auch die Berufsordnung Eingriffe ohne Willen des Betroffenen, die keinen gesundheitlichen Schaden abwenden oder nicht die Gesundheit fördern, unter Strafbewehrung untersagt.

Offensichtlich bedurfte es einer neuen gesellschaftlichen Diskussion, die sich im Spannungsfeld der Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit einerseits und auf Religionsfreiheit andererseits bewegt. Die Heftigkeit der Debatte lässt auf tiefgreifende Ängste und Konflikte schließen. Es geht um die Frage, ob es heute in einer säkularen Demokratie noch angemessen ist, kleinen Jungen zur Absicherung der religiösen Identität von Erwachsenen Schmerzen und Ängste zuzufügen, sie erheblichen Gesundheitsrisiken und irreversibler Verletzung der Intimzone auszusetzen. Leidvolle körperliche, sexuelle und seelische Langzeitfolgen der Beschneidung sind möglich und belegt. Zu allem Überfluss ist aus dieser Diskussion im ohnehin kinderfeindlichen Deutschland ein interfraktionell konsentiertes Gesetz (§ 1631 d BGB) gestrickt worden, das es erlaubt, Jungen unter sechs Monaten auch von Nichtärzten beschneiden zu lassen, ältere nur unter „ärztlichem Standard“ – völlig unsinnig, weil diese Altersgrenze komplett willkürlich gesetzt ist und das ganze Gesetz den Grundrechten diametral und offensichtlich widerspricht.

Unter Herausgeberschaft von Matthias Franz äußern sich kompetente und exponierte Ärzte, Juristen, Psychoanalytiker, Politiker, aber auch Betroffene kritisch zur Jungenbeschneidung und engagieren sich für den Kinderschutzgedanken. Sie werben für eine Debatte auf wissenschaftlicher und rechtlicher Grundlage, vor allem aber dafür, dass Kinderrechte nicht gegen Religionsfreiheit aufgewogen werden müssen, Religion gleichsam auch durch Aufgabe verstümmelnder Riten nicht diskreditiert wird. Schließlich wird die weibliche Beschneidung zu Recht weltweit unstreitig geächtet.

Für jeden Arzt wie auch jeden engagierten Bürger stellt dieses Buch eine hochinteressante Pflichtlektüre dar, um sich als Teil einer der heutigen Zeit angemessenen, wahrhaftig integrierenden Gesellschaft zu begreifen. Wolfgang Bühmann

Matthias Franz (Hrsg.): Die Beschneidung von Jungen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014, 448 Seiten, kartoniert, 29,99 Euro

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